K.Panster 19.02.95
Das Papier ist als Beitrag
zur Diskussion gedacht, die zunächst unter uns zu führen ist.
Thesenartig, ohne die Punkte
schon auszuarbeiten und zu begründen, will ich eine Annäherung an das Problem
versuchen.
Ausgangspunkt ist meine
Überzeugung, daß durch uns eine kritische und selbstkritische politische und
geistige Auseinandersetzung mit unserer Geschichte zu leisten ist. Dies unter
Umständen, unter denen von interessierten Seiten jeder von uns gebotene Ansatzpunkt
genutzt wird, gegen uns vorzugehen.
Bewußt wird an den Entwurf
des Insiderkomitees von 1994 "Arbeitsthesen zur Auseinandersetzung mit der
Geschichte des MfS" angeknüpft ( speziell an 10., auch an 7.-9. ).
1.
Rund fünf Jahre Leben im
realen Kapitalismus bestätigen, daß er nicht in der Lage ist, die dringenden
Probleme der Menschheitsexistenz zu lösen. Die bestimmenden politischen Kräfte
der BRD ebenso wie der anderen kapitalistischen Hauptmächte sind weder fähig
noch gewillt, Lösungen im Interesse der Mehrheit des Volkes auch nur
anzudenken.
Es ist dringlicher denn je,
nach einer Alternative zu dieser Wirtschafts- und Staatsordnung zu suchen.
2.
Die DDR war der Versuch einer
solchen Alternative.
Nach der Katastrophe, die der
deutsche Faschismus für Deutschland und die Welt bedeutete, war dieser Versuch
nicht nur legitim, er war überfällig.
Dieser Versuch ist
gescheitert.
3.
Als ehemalige Mitarbeiter des
MfS der DDR waren wir keine Beamten und auch nicht vorrangig Soldaten, sondern
haben uns selbst als politische Menschen verstanden, die bewußt die Entwicklung
der sozialistischen Gesellschaft mitgestalten und gegen Versuche, sie zum
Kapitalismus zurückzuzerren, schützen.
Vor dem Scherbenhaufen dessen
stehend, was wesentlicher Inhalt unseres Wollens und Lebens war, wäre es klein,
uns auf die Befehle zu berufen, an die wir gebunden waren. Es ist an uns, uns
Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen, warum es so gekommen ist und
wie weit wir Schuld ( Schuld nicht im strafrechtlichen Sinne, sondern als
moralische Kategorie ) daran tragen.
So wie es ahistorisch ist,
nachträglich das MfS zur eigentlichen Machtzentrale der DDR umzudeuten und ihm
für alles und jedes, was in der DDR geschah oder nicht geschah, die
Verantwortung anzulasten, so wäre es ahistorisch, wollten wir auf "die
SED" ( oder ihre Führungsspitze ) zeigen in dem Bestreben, Verantwortung
von uns zu weisen.
Das MfS spielte im Leben der
DDR eine herausgehobene Rolle. Wir haben vieles gewußt. Genug,
um uns vor allem in den
achtziger Jahren im Gespräch unter Vertrauten immer öfter darüber
auszutauschen, daß "es so doch nicht gut gehen kann".
Wir haben uns zu fragen - aus
Gründen der Ehrlichkeit vor uns selbst und vor den ehemaligen Bürgern der DDR,
die nun ein Beitrittsgebiet geworden ist - was uns gehindert hat,. solche
Gedanken zu Ende zu denken und daraus Schlüsse zu ziehen im Sinne unseres
politischen Wollens für das Wohl des Volkes, dem wir durch unseren Diensteid
verpflichtet waren.
4.
Kein Tag vergeht ohne das
Thema "Stasi". Absichtsvoll wird von den herrschenden politischen
Kräften und auch von anderen Interessierten an der Legende von dem Moloch MfS
gebastelt. In den Medien wird wenig Wahrheit mit vielen Spekulationen und auch
Lügen vermengt und serviert. Ein Heer von Geheimdienstlern, Polizisten,
Staatsanwälten und Richtern ist ausschließlich damit beschäftigt, die
justizielle Verfolgung ehemaliger hauptamtlicher und inoffizieller Mitarbeiter
des MfS zu betreiben. Dabei wird massenhaft das Recht der BRD gebeugt.
Die Herausarbeitung und
Verbreitung der Wahrheit über das MfS, die auch die Schattenseiten
einschließt, ist dieser Dauerkampagne entgegenzusetzen.
Dabei ist von besonderer
Bedeutung, politische und moralische Verantwortung einerseits und
strafrechtliche Schuld voneinander abzugrenzen.
Wir verlangen, Schluß zu
machen mit strafrechtlicher, arbeits- und dienstrechtlicher sowie
renten-strafrechtlicher Verfolgung und Diskriminierung, denen insbes. ehemalige
inoffizielle Mitarbeiter des MfS ausgesetzt sind, und zwar
im Regelfall allein aufgrund der Tatsache ( und nicht selten nur der Behauptung
), irgendwann einen irgendwie gearteten Kontakt zum MfS unterhalten zu haben.
.
Welches waren unsere Irrtümer
und Fehler ?
5.1.
Der Leninsche theoretische
Ansatz, daß der Staat der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus nur
ein Staat der Diktatur des Proletariats sein kann, daß der Staatsapparat
Instrument dieser Diktatur sein muß, daß dies Demokratie für die überwiegende
Mehrheit des Volkes einerseits und notwendig Ausschließung der Minderheit der
politischen Gegner von der Demokratie bedeutet, war Bestandteil unseres
geistigen Rüstzeugs. Er wurde nicht in Frage gestellt.
Bestandteil dieser
Auffassungen war, im Recht vorrangig ein Instrument der Macht zu sehen und es
auch als solches zu handhaben, aber kaum ein Maß staatlichen Handelns.
5.2.
Erzogen in einem Denken, das
verlangte, die persönlichen Interessen hinter die
"gesellschaftlichen" Interessen zurückzustellen, zumindest sie den
"allgemeinen" Interessen niemals entgegenzusetzen ( wobei als
"gesellschaftliche" Interessen in der tatsächlichen Entwicklung der
DDR zunehmend die jeweils aktuellen politischen Postulate der Partei- und
Staatsführung genommen wurden ) projizierten wir einen solchen Anspruch an uns
selbst auf die Gesamtheit der Bürger. Individuelle Interessen hatten für uns
einen geringen Stellenwert.
Überzeugt zu wissen, was gut
für das werktätige Volk ist, fühlten wir uns als der "Avantgarde"
zugehörig nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, für andere Menschen
zu ihrem Besten zu entscheiden. Unser Verhältnis zu Persönlichkeits- und
Freiheitsrechten des Einzelnen war nicht oder fehlentwickelt. Individualismus
galt uns als Relikt kleinbürgerlichen Denkens und Verhaltens.
Unsere Unbildung im Hinblick
auf Errungenschaften der Menschheitsentwicklung, wie sie sich in den Kategorien
von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit ausdrücken, war sträflich.
5.3.
In der
Systemauseinandersetzung, deren Bestandteil der geheimdienstliche Kampf war,
wurden von der westlichen Seite, allen voran von der BRD, mit dem erklärten
Ziel der Destabilisierung und schließlichen Liquidierung der DDR alle Register
gezogen. Gegen die DDR wurde mit schmutzigsten Mitteln und Methoden gewühlt.
Disponiert durch die unter 5.1. skizzierten Auffassungen, ließen wir uns dazu
herab, unter Berufung auf die Härte der Klassenauseinandersetzung unsererseits
Mittel und Methoden anzuwenden, die nicht im Einklang mit unseren
humanistischen Idealen standen.
Wir rechtfertigten dies vor
uns selbst damit, daß die Interessen des Volkes verlangen, nicht zu
unterliegen.
Mittel und Methoden, die sich
bei der Abwehr geheimdienstlich gesteuerter Spionage gegen die DDR als
unverzichtbar und als erfolgreich erwiesen, wurden durch uns auf andere Felder
der Tätigkeit des MfS übertragen. Sie wurden angewandt z.B. bei der Kontrolle
und Versuchen zur Zurückdrängung politischer Opposition ebenso wie beim Versuch
der Verhinderung illegalen Verlassens der DDR. Generell gingen sie in das
Instrumentarium der Arbeit des MfS ein. Eine Verhältnismäßigkeit in der
Anwendung dieser Mittel und Methoden angesichts der jeweiligen Problemstellung
wurde wohl geprüft, aber unter pragmatischen Gesichtpunkten, "ob der
Aufwand lohnt", nicht unter rechtlichen Aspekten.
Damit war die Tür geöffnet
für Verletzungen verfassungsmäßiger Rechte von Bürgern der DDR und auch von
anderen Menschen.
5.4.
Ausgehend von der Losung,
"jeden Auftrag von Partei und Regierung in Ehren zu erfüllen" und von
der Selbstbetrachtung als "Treueste der Treuen" hat sich das MfS in
eine Rolle drängen lassen, das Feld seiner Tätigkeiten und Einflußnahmen im
Innern der DDR ständig auszuweiten.
Je spürbarer die Unfähigkeit
der politischen und Wirtschaftsführung wurde, die gesellschaftlichen Prozesse
in der DDR zu erfassen und zu lenken, desto öfter wurden die Mitarbeiter des
MfS als Lückenbüßer losgeschickt und ließen sich losschicken. Zwar hat dies bei
uns selbst Unbehagen ausgelöst und es gab auf verschiedenen Ebenen Versuche,
Leitungskader der Partei, der Wirtschaft und staatlicher Einrichtungen auf ihre
Verantwortung zu verweisen, je hinhaltender diese sich aber der Wahrnehmung
ihrer Aufgaben entzogen, desto öfter trat das MfS auf seinen Aufgaben
fernliegenden Gebieten in Erscheinung - geleitet von dem Denken: "wenn
sich sonst keiner kümmert, müssen wir es doch wenigstens tun; schließlich
können wir nicht zusehen, wie die Sache an den Baum geht".
Beispiele sind die
erheblichen Aktivitäten des MfS im Zusammenhang mit Übersiedlungsersuchen von
Bürgern nach der BRD oder gegenüber politisch Andersdenkenden. Nicht
Parteifunktionäre, nicht Dienstvorgesetzte, nicht Polizisten traten diesen
Menschen gegenüber, sondern Mitarbeiter des MfS - ein Nährboden dafür, daß sich
Unmut und Haß gegen das MfS kanalisierten.
5.5.
An besorgten und an
kritischen Gedanken zur inneren Entwicklung der DDR hat es bei vielen
Mitarbeitern des MfS nicht gefehlt, und in engsten Kreisen wurden sie
debattiert. Gefehlt hat es an der geistigen Konsequenz, die Kritik zu Ende zu
denken und an der Courage, sie in Handeln umzusetzen. Soweit es Versuche gab,
z.B. Kräfte gegen die verheerende Mittagsche Wirtschaftspolitik zu formieren,
blieben diese zaghaft und verdeckt. Wesentlich bedingt war das durch die
Erkenntnis, daß es eine andere reale Alternative in Deutschland zur DDR als die
BRD nicht gab, und der in die Hände zu arbeiten war für uns a priori undenkbar.
So wurde von Parteitag zu Parteitag auf die Änderung von oben gehofft,
zeitweise auch - zumindest von nicht wenigen - auf Gorbatschow.
In nüchterner Rückschau muß wohl davon ausgegangen werden, daß auch ein Versuch aus dem MfS heraus oder unter Beteiligung des MfS, die Fehlentwicklungen in der DDR zu korrigieren, nichts am schließlichen Scheitern des realsozialistischen Versuchs DDR geändert hätte. Eine Ehrenrettung wäre es vielleicht gewesen.
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