RotFuchs /
April 2008, RF-Extra Seite I – IV
Herbert Kierstein:
Wie Alt-Bundespräsident von Weizsäckers Mahnung in den Wind geschlagen wird
Die Psychopharmaka von Dr. Knabe & Co.
Als amtierender Bundespräsident schrieb Richard von
Weizsäcker am 20. Februar 1992 in das Gästebuch der Stadt Bautzen: „Die
Menschen wollen Aufklärung, nicht Abrechnung. Die Wahrheit soll ans Licht,
damit Aussöhnung und Frieden möglich werden. Das geht nur durch
Differenzierung. Pauschalurteile führen nicht zur Einsicht, sondern zur
Verstockung."
Wie ist, 16 Jahre danach, die Realität in Deutschland?
Die Delegitimierung der DDR wird
wie eh und je betrieben. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und seine
Mitarbeiter sind noch immer eine Hauptzielgruppe von Diffamierung und Kriminalisierung.
Die schwerwiegendsten Unterstellungen sind Mord, Folter, Erpressung,
Einweisung in psychiatrische Anstalten, Zwangsadoption, Mißhandlung
und natürlich flächendeckende Überwachung der Bürger der DDR.
Wie ist das möglich, worauf basieren die Greuelmärchen
und Horrorstories, wo doch das „Haus" Birthler
seit Jahren nichts Neues zu liefern vermag? Eine recht plausible Antwort hat
der Satiriker Matthias Wedel in der „jungen Welt" vom 1. Dezember 2006
gegeben: „Das Böse ist natürlich - seitdem es die Gestapo nicht mehr gibt und
weil die Existenz Satans nicht zweifelsfrei bewiesen ist - die
Staatssicherheit. Sie hat in den letzten 16 Jahren so viele Verbrechen begangen
wie in all den Jahren zuvor nicht. Auch zahlreiche psychische Zerrüttungen seit
der Einführung des Euro und der letzten Umstellung auf die Winterzeit - früher
für normale Herbstdepressionen gehalten - gehen aufs Stasikonto. Die Stasi
selber hat dazu keinen wesentlichen Beitrag mehr leisten können, dafür aber die
Organe, die sie offenbar fest im Griff hat - Spiegel, Bild, Focus und Super-illu. Auf diese Weise konnte das MfS nicht nur
glauben machen, daß es weiter existiert, sondern
fortgesetzt Angst und Schrecken säen."
Zugang zu Fleischtöpfen
Es würde aber zu kurz greifen, wollte man es dabei bewenden
lassen. Die Delegitimierung bedarf ständiger Wiederholung
und Aktualisierung, sonst würde sie ihre
Wirkung verlieren. Betrachtet man z. B. die Entwicklung multimedialer Berichte
über Folter und Erpressung von Geständnissen, so stellt man mit Erstaunen
fest, daß heute von mehreren tausend ermordeten und
in den Selbstmord getriebenen Häftlingen, von mit Blut und Urin verunreinigten
Folterzellen oder
Da kommen zunächst diejenigen ins Blickfeld, die nach dem
Motto „Wes Brot ich eß, des Lied ich sing"
handeln und leben. Ihnen ist bewußt, daß sie Zugang zu den Fleischtöpfen nur erhalten, wenn sie
das Gewünschte liefern. Das Spektrum dieser Kräfte ist breit, aber nicht beständig.
Versiegen finanzielle Quellen, kann es an der einen oder anderen Stelle zum
Sinneswandel kommen. Ausdauernd sind dagegen fanatische Antikommunisten.
Bereits geringste Anzeichen einer Rückbesinnung auf gute Seiten der DDR
veranlassen sie zu blindwütigen Reaktionen.
Diese Kräfte bilden die Basis des politischen Systems und ermöglichen
es, die öffentliche Meinung zu manipulieren und von der immer unsozialer
werdenden Politik der Herrschenden abzulenken. Eine sachliche und
differenzierte Betrachtung der DDR-Geschichte würde zu einem gesellschaftlichen
Dammbruch führen, der um jeden Preis verhindert werden muß.
Bereits lokale Ereignisse bewirken eine konzertierte Reaktion aller
Antikommunisten, wie das Beispiel der Konferenz gezeigt hat, die am 17. und 18.
November 2007 in der dänischen Stadt Odense durchgeführt wurde. Ihr Thema
waren die Rolle und die Geschichte der Auslandsaufklärung (HVA) des MfS.
Obwohl der erste Versuch, diese Konferenz im Juni 2007 in Deutschland
abzuhalten, von Birthler, Knabe und Co hatte verhindert werden können, kamen
namhafte Wissenschaftler und Experten aus Dänemark, Schweden, Holland, England
und den USA nach Odense.
Vom ersten Tag an standen die an der Konferenz teilnehmenden
ehemaligen DDR-Bürger, nicht nur Mitarbeiter des MfS, im Focus der deutschen
Medien. In infamster und niedrigster Weise wurden sie diffamiert und beleidigt.
Sachliche Beiträge ausländischer Teilnehmer entgingen den gleichgeschalteten
Medien. Präsenz erlangten indes die dürftigen Ausführungen des Leiters des
„MfS-Museums Normannenstraße", Bernd Lippmann, dessen Vortrag von Sachkenntnis
nicht getrübt war, dafür aber auf plumpe Verächtlichmachung
der HVA und deren Zusammenarbeit mit der Abwehr (HA II) des MfS abhob.
MfS-gesteuerte Quellen
Nach meinem Eindruck konnten die ausländischen Teilnehmer
den Sinn dieser unqualifizierten Attacken nicht erkennen, bestand doch bei
allen Sachkundigen darin Einigkeit, daß gerade die
gute Zusammenarbeit zwischen beiden Linien des MfS dessen erfolgreiche
Tätigkeit begründete. Durch die Quellen beider Diensteinheiten und den
Austausch der gewonnenen operativen Erkenntnisse wurde die Aufdeckung der
Absichten und Pläne der Gegner sowie das Erkennen und
Das belegte auch die vom BND-Experten Erich Schmidt-Eenboom in Odense vorgetragene Bilanz, wonach 1988 von 180 für den BND tätig gewesenen Quellen 160 durch das MfS gesteuert worden seien. Der langjährige Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes CIA, Benjamin B. Fisher, der zuletzt als dessen Chefhistoriker tätig war, bestätigte, daß alle Agenten der CIA in der DDR Doppelagenten der HVA waren. Die CIA hätte den Professionalismus der HVA unterschätzt.
Die Konfrontation der Geheimdienste bis 1961 beschrieb Paul Madrell von der Universität Aberystwyth (Wales). Er bekundete, daß in Deutschland ein echter Kampf zwischen ihnen stattgefunden habe. Seit dem Tag ihrer Geburt wurde gegen die DDR unter bundesdeutscher, französischer, englischer und amerikanischer Flagge ein verdeckter Krieg geführt, in den auch die Ostbüros westdeutscher Parteien und Gewerkschaften sowie eigens zu diesem Zweck gegründete und finanzierte Organisationen einbezogen waren. Sein Ziel bestand darin, die Existenzgrundlagen der „Brüder und Schwestern" im Osten systematisch zu zerstören, T'error- und Sprengstoffanschläge in Industrie und Landwirtschaft mit Todesfolgen für Bürger der DDR, Behinderung der wirtschaftlichen Entwicklung durch Sabotage im Inneren und von außerhalb, Abwerbung von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Facharbeitern, Einsatz fön Kriegsfall-Funkern sowie Pläne zur gewaltsamen Beseitigung der DDR sind durch Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen 5000 Spione rechtsgültig bewiesen. Die Grundlage dafür bildete die enge Zusammenarbeit zwischen Aufklärung und Abwehr des MfS. Sich gegen solche Angriffe zur Wehr zu setzen, war das legitime Recht der DDR. Dies wird sich nicht auf Dauer verschweigen oder ausblenden lassen. Es dürfte sich erweisen, daß die westlichen Angreifer gerade für das haftbar zu machen sind, was die BRD heute der DDR und insbesondere dem MfS vorwirft.
„Flächendeckende Überwachung"
Die Täter von damals wurden inzwischen ausnahmslos zu Opfern erklärt und finanziell entschädigt.
Professionelle Antikommunisten wie Wilhelm Fricke benennen die Gründe: Die Rehabilitierten seien Freiheitskämpfer gewesen. Es versteht sich natürlich von selbst, daß die Sieger dieser Runde der Geschichte ihre Agenten aus dem nunmehr gesamtdeutschen Strafregister streichen. Sie bestätigen damit aber auch ihre rechtliche und politische Verantwortung für die in westlichem Auftrag erfolgten Attacken auf die DDR. Die von ihnen so rehabilitierten Agenten werden indes nicht zu Opfern; weder juristisch noch politisch.
Die Zusammenarbeit mit der Abwehr hält man in Deutschland offenbar noch immer zur Diffamierung der HVA für besonders geeignet, weil diese Strecke des MfS – wie die entsprechenden Dienste aller Länder eine geheimdienstliche Informationsbeschaffung betrieben hat. Zu den dabei angewandten Mitteln und Methoden gehörten - neben der Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern - auch Funk- und Telefonüberwachung, Audio-, später auch Videoüberwachung von Räumen, Postkontrolle, Observation und Personenfahndung gegenüber Verdächtigen. Das daraus schon 1989 konstruierte Propagandakonzept einer angeblich flächendeckenden Überwachung der DDR-Bürger geistert noch immer umher. Es entbehrt jeder Grundlage.
Eine sachliche Aufarbeitung der Tätigkeit der Abwehr würde zeigen, wieviel Kapazitäten der vorgenannten Mittel und Methoden für die Aufklärung von Spionen und Saboteuren gebunden wurden. Addierte man dazu jene Ressourcen, welche von anderen Diensteinheiten des MfS - z. B. für die Bekämpfung des Menschenhandels, die in der Zuständigkeit der Abwehr lag - beansprucht wurden, ergäben sich unstrittige Belege, daß für eine flächendeckende Überwachung weder die technischen noch die personellen Kapazitäten ausgereicht hätten. Es wäre sinnvoll, solche Fragen in geeigneten Foren zu thematisieren. Gleiches gilt für die Gedenkstätten- und Opferpolitik, in deren Zentrum die Angriffe gegen das Untersuchungsorgan (HA IX) des MfS stehen. Da die „Gedenkstätte" Berlin-Hohenschönhausen eine exponierte Stellung einnimmt und einen erheblichen Teil der für diese Zwecke bereitgestellten Steuergelder verschlingt, möchte ich einiges zu dort in führenden Positionen untergebrachten Personen mitteilen.
Das Obristen-Märchen
Leiter der „Gedenkstätte" und graue Eminenz für Opferverbände, politische Parteien und staatliche Einrichtungen ist Hubertus Knabe. Zu seiner „Qualifikation" haben sich Kompetentere als ich bereits geäußert. Auch zu den Inhalten des in der „Gedenkstätte" vermittelten „Geschichtsbildes" gibt es fundierte Kritiken. Neu für mich war die Diktion Knabes bei der Verarbeitung von Sachverhalten in Publikationen. In seinem Buch „Die Täter sind unter uns" wurde ich namentlich als „Täter" bezeichnet. Laut Klappentext soll Knabe zu den profiliertesten Historikern der Bundesrepublik gehören. Umso bemerkenswerter ist sein Umgang mit Tatsachen. Im Kapitel „Die Hohenschönhausenlüge" findet sich auf S. 294 folgende Aussage: „In Publikationen wie der des Ex-Vernehmers Herbert Kierstein schütteten die Obristen anschließend Hohn und Spott über die Opfer des Staatssicherheitsdienstes aus, deren Leidensgeschichten sie kurzerhand zu Phantasieprodukten erklärten." Unter der dazu angegebenen Fußnote 78 findet sich der Hinweis auf das Buch „Verheizt und vergessen", welches Dr. Sieberer und ich gemeinsam geschrieben haben. Es entsteht dadurch der Eindruck, Kierstein und Sieberer seien Obristen, welche die Opfer - nach Ansicht von Knabe - verhöhnten und verspotteten. Nun gehört aber Dr. Hannes (nicht Manfred, wie es in der Bibliographie bei Knabe heißt) Sieberer nach Sichtweise des „Gruselkabinett"-Betreibers zu den Opfern. Als österreichischer Staatsbürger hat er für den militärischen Geheimdienst der USA gearbeitet und wurde dafür von einem ordentlichen Gericht der DDR zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Für einen normal Denkenden dürfte es nur schwer vorstellbar sein, daß sich ausgerechnet Dr. Sieberer an einem Buch beteiligt, in dem er selbst und andere ehemalige Untersuchungs- oder Strafgefangene der DDR verhöhnt und verspottet werden. Mutmaßlich wollte sich Knabe für die im besagten Buch nachgewiesene Folterzellen-Lüge eines Zeitzeugen der „Gedenkstätte" revanchieren. Im Abschnitt „Das Bündnis mit der PDS" auf S. 326 findet sich bei Knabe die nächste Erwähnung meines Namens. Sie hat folgenden Wortlaut: „Im April 2006 moderierte der sächsische PDS-Fraktionsvorsitzende Peter Porsch persönlich eine Veranstaltung in Dresden, auf der die Stasi-Offiziere Schramm und Kierstein im Abgeordneten-Büro der PDS über Geheimdienste und Demokratie diskutieren durften. Der Obristen-Abend wurde von der Linkspartei auch im Internet beworben."
Wahr ist, daß von der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Vorstellung des Buches „Verheizt und vergessen" in Leipzig, Dresden und Chemnitz organisiert und wahrscheinlich auch im Internet angekündigt wurde. Der Hauptgrund war sicher der Umstand, daß dieses Buch von zwei einstigen Gegnern gemeinsam geschrieben worden ist. Als Referent fungierte auch Dr. Hannes Sieberer, den Knabe sicher nicht zufällig in der Versenkung verschwinden ließ. Wäre doch sonst seine These vom Obristen-Abend in Frage gestellt worden. Aber auch in anderer Hinsicht hat Knabe „Enten" gezüchtet. Die Veranstaltung in Dresden fand weder im Abgeordneten-Büro der PDS statt, noch haben Schramm oder ich dessen Räume überhaupt betreten. Die Moderation durch Peter Porsch, der ja selbst Österreicher ist, kam durch dessen persönliche Bekanntschaft mit seinem Landsmann Dr. Sieberer zustande. So viel zum „Arbeitsstil" eines der angeblich profiliertesten Historiker der Bundesrepublik. Was bliebe von Knabes Machwerk übrig, wenn sich sämtliche Betroffenen der Mühe unterzögen, es zu lesen und die notwendigen Korrekturen einzufordern?
„Auschwitz der
Seelen"
Hans Eberhard Zahn, ein Beiratsmitglied der „Gedenkstätte"
Hohenschönhausen, mit dem ich bei
verschiedenen Veranstaltungen persönliche
Gespräche führte, profiliert sich auf
seine Weise. Als bekennender Antikommunist bezeichnet auch er - obwohl selbst im 80. Lebensjahr stehend
- die Mitarbeiter des MfS als „alte Männer".
Zahn war von 1953 bis 1960 in der
DDR inhaftiert. Die in den Medien
dafür angegebenen Gründe sind widersprüchlich und reichen von der Tätigkeit bei einer „privaten Hilfsorganisation" bis zur „unterstellten" Spionage. Ist das ein triftiger Grund
dafür, daß er seine Ermittlungs- und Gerichtsakten
nicht öffentlich macht? Nach seiner Haftentlassung studierte Zahn in
Berlin-West Psychologie und vertritt -
bezogen auf angebliche Folter durch das MfS – ein Konzept des „Auschwitz der Seelen".
So hätten „die Stalinisten" sozusagen das mit sauberen Händen erreicht, was die Nazis auch mit Blut nicht zu bewerkstelligen vermochten, kommentierten bundesdeutsche Medien Zahns famose Erfindung. Der obligatorische Zusammenhang zwischen Nazistaat und „Unrechtsstaat DDR" ist somit hergestellt. Welche schrecklichen Geheimnisse des MfS hat dieser Mann offengelegt, fragt man sich unwillkürlich. Die Antwort lautet: keine. Er hat nur alten Wein in neue Schläuche gegossen. Bereits Anfang der 70er Jahre tauchte in den bürgerlichen Medien der Begriff der psychologischen Folter auf. Er wurde insbesondere auf entsprechende Praktiken westlicher Geheimdienste bezogen. Im Verlauf einiger Jahre entstanden Begriffe wie Gehirnwäsche, Psychotechniken, Psychiatrisierung und Einsatz von Psychopharmaka. Darüber hinaus haben amerikanische, britische und auch kanadische „Experten" Forschungen zu Vernehmungsmethoden betrieben, die man - nach westlichem Veständnis - nicht als physische Folter bezeichnen kann. Seit Bilder aus Guantanamo zur Verfügung stehen, gibt es klare Vorstellungen vom Resultat dieser „Forschungen". Man sieht in rote Overalls gekleidete Gefangene, denen undurchsichtige Taucherbrillen und schalldichte Kopfhörer aufgesetzt sind. Der dadurch bewirkte Entzug von Sinnesreizen führt zu einer psychischen Desorientierung, die wirksamer sein soll als Schläge oder Nahrungs- und Schlafentzug. Damit wäre das Instrumentarium beschrieben, auf welches Zahn für sein Konzept zurückgreifen konnte. Psychiatrisierung und Psychopharmaka mußte er aus dem Programm streichen, da die zunächst unterstellte Anwendung solcher Methoden und Mittel seitens des MfS bereits durch die BRD-Justiz widerlegt worden war. Ausrüstungen zur Entzugsfolter a la Guantanamo wurden nirgends gefunden. Gehirnwäsche war medial bereits durch Aktivitäten von Sekten besetzt, also auch nicht sonderlich brauchbar.
Der Terminus Psychotechniken soll bereits 1903 von Wilhelm Stern eingeführt und als Oberbegriff für therapeutische Verfahren benutzt worden sein. In neueren Betrachtungen wird er auch auf Telepathen und Wunderheiler angewandt. Ein ausgebildeter Psychologe, der Zahn ja ist, kann sicher auch Ableitungen für die Untersuchungsarbeit (Aufklärung von Straftaten) herstellen, aber nicht damit rechnen, daß Untersuchungsführer - mangels psychologischer Fachausbildung - dazu in gleicher Weise fähig sind. Also mußte der Anschein erweckt werden, die Untersuchungsführer verfügten über eine psychologische Fachausbildung. Blieb am Ende noch zu überlegen, inwieweit die Haftbedingungen in den UHAs des MfS als Ersatz für Folter durch Entzug von Sinnesreizen geeignet waren. So ist es dann auch geschehen.
Schuß in den Ofen
In seinem 2005 in 4. Auflage erschienenen „Werk" zum Thema: „Haftbedingungen und Geständnisproduktion in den Haftanstalten des MfS" stellt Zahn zunächst fest: „Zur Perfektionierung des psychologischen Drucks in Vernehmungssituationen forschten die .Gelehrten' einer ganz speziellen Hochschule - jener vom MfS betriebenen juristischen Hochschule' in Potsdam-Eiche. Hier erhielten MfS-Vernehmer ihren Schliff, um auf elegantere Weise als mit der groben Faust Verhaftete dazu zu bringen, sich selbst zu belasten." Anzumerken ist hier zunächst, daß - geschätzt - an der erwähnten Hochschule etwa 40 % der Vernehmer tatsächlich studiert haben. Hinsichtlich der Forschungsergebnisse der Wissenschaftler dieser Institution gelangt Zahn - nach Auswertung themabezogener Dissertationen - zu der Einschätzung: „Um es gleich zu sagen: Ich habe nichts, fast nichts, gefunden. In diesen dickleibigen Wälzern liest man Ähnliches wie diese Tiraden, die man etwa aus vierseitigen Honecker-Reden im ,Neuen Deutschland' kennt. Ich habe mich überwunden, mich durch solche Bleiwüsten regelrecht hindurchzukämpfen. Dabei begegnete ich furchtbar vielen Phrasen, Leerformeln, sehr ausgeprägtem Partei-Chinesisch - aber relativ wenig Substanz."
Volkstümlich gesagt also ein Schuß in den Ofen. Wie konnten auf einer solchen Grundlage die Vernehmer des MfS psychologisch geschliffen werden? Daß er ein ganz anderes Ziel verfolgte, offenbart Zahn selbst: „Wenden wir uns also weg von diesen Elaboraten und überlegen uns: Wie müßte ein psychologisch ausgebildeter Vernehmer handeln, damit er mit möglichst geringem Aufwand einen möglichst großen Ertrag erzielen kann? Ertrag ist für den Vernehmer als höchstes Gut die ,Aussagebereitschaft' des Häftlings. Dieser Begriff kommt in den .Dissertationen' einige tausend Male vor. Wir können uns jetzt etwas konkreter die folgende Frage stellen: Wie muß die Welt eines Untersuchungshäftlings gestaltet werden, damit der Vernehmer möglichst viel an Geständnissen oder Selbstbezichtigungen aus ihm herausholen kann? Zur Beantwortung stehen uns jetzt einige Werkzeuge zur Verfügung, die physische Folter im engeren Sinne, also etwa Schläge oder Hunger, weitgehend entbehrlich machen. Weil die DDR ja schließlich als ein richtiger .normaler' Staat anerkannt sein wollte, sollte das Untersuchungsverfahren ,human' sein und allein mit der - im übrigen viel wirksameren - psychischen Folter arbeiten."
Es geht also nicht mehr um die tatsächlich erfolgte Ausbildung der Untersuchungsführer des MfS, sondern um die Vorstellungen des Hans Eberhard Zahn, wie psychologische Folter ins Spiel gebracht werden könnte.
Er übersieht dabei geflissentlich - es muß hier noch einmal wiederholt werden -, daß die von ihm verarbeiteten psychologischen Kategorien Deprivation, Reduktion kognitiver Dissonanz, Senkung des Adaptationsniveaus, Hospitalismussyndrom oder Mentizid ausschließlich Bestandteile eines psychologischen Fachstudiums sind. Sie spielten in der Ausbildung der Untersuchungsführer keine Rolle. Zu dieser gehörten lediglich Grundkurse in Psychologie. Hätte er sich an deren Programme gehalten, wäre ihm die Substanz seiner Thesen zerronnen.
Zahn um Zahn
Mit der Wiedergabe von Äußerungen der Untersuchungsführer des MfS in Vernehmungssituationen bestätigt Zahn ungewollt, daß diese entsprechend ihres jeweiligen intellektuellen Niveaus reagiert haben und nicht durch psychologische Vorgaben einer beabsichtigten Folter gesteuert wurden. Woraus beispielsweise ist aus der von Zahn zitierten Formulierung eines Untersuchungsführers: „Wer A sagt, sollte auch B sagen. Nun haben Sie schon etliches zugegeben, geben Sie doch auch das andere noch zu!", eine psychologische Folterung abzuleiten? Absoluten Neuigkeitswert hatte für mich als langjähriger Untersuchungsführer des MfS das folgende Zitat aus Zahns Buch: „Mensch, bilden Sie sich doch nicht ein, daß Ihre Freundin nicht fremdgeht. Natürlich geht die fremd, wenn Sie hier so lange sitzen. Das ist doch menschlich. Sie brauchen ja schließlich auch mal ne Frau. Wir hätten da natürlich Möglichkeiten, Sie auf andere Weise zu versorgen. Aber das hängt sehr davon ab, wie Sie sich uns gegenüber verhalten. Und jetzt ab in die Zelle!"
Ein Untersuchungsführer des MfS als Kuppler und Zuhälter - das gäbe Stoff für eine knallige Schlagzeile. Das Konzept von Zahn setzt offensichtlich darauf, daß die Unterstellung psychischer Folter schwerer zu widerlegen ist als die physischer Gewalt. Bei einer differenzierten und allseitigen Prüfung solcher Anschuldigungen würden sich aber auch diese als haltlos erweisen. Unter allseitiger Prüfung verstehe ich überdies, nach Deliktgruppen gegliederte Vergleiche der vernehmungstaktischen Konzepte und Methoden auf nationaler und internationaler Ebene vorzunehmen. Die Frage, warum solche Möglichkeiten von Zahn und Gleichgesinnten nicht in Anspruch genommen werden, beantwortet sich aus ihren Motiven. Für sachlich Interessierte gibt es heute aber Möglichkeiten, Informationen aus dem Internet zu beziehen. Unter dem Stichwort „Vernehmungsmethoden" sind dort - neben den Diffamierungskonzepten von Zahn und Co. - seriöse Informationen über Theorie und Praxis polizeilicher Befragungen und Vernehmungen zu finden, die sich von denen des MfS in der Substanz nicht unterscheiden. Bedauerlicherweise sind die Ausbildungsprogramme der Untersuchungsführer des MfS wie auch die Dissertationen der Juristischen Hochschule in Potsdam-Eiche, auf die sich Zahn bezieht, nicht verfügbar. Dafür findet man aber ausreichendes Informationsmaterial über Haftbedingungen in der Bundesrepublik und anderen Ländern. Vergleicht man dieses mit Sachverhalten, die den Diffamierungskonzepten gegen das MfS zugrunde liegen, dann zeigt sich, daß diese Konzepte auch auf die Bundesrepublik oder andere westliche „Demokratien" übertragbar sind. Ziehen wir das Fazit: In der BRD werden die 1992 niedergeschriebenen Gedanken Richard von Weizsäckers auf unbestimmte Zeit kein Echo finden. Es geht den politisch und ökonomisch Herrschenden wie deren Medien nicht um Aufklärung, sondern um Abrechnung, nicht um Aussöhnung und inneren Frieden, sondern um soziale Revanche, nicht um Differenzierung, sondern um Pauschalisierung. Wie die Konferenz in Odense gezeigt hat, formieren sich aber international renommierte Historiker und gehen zu Sachlichkeit über. Es gibt demnach gewisse Chancen, daß die Erwartung des BND-Experten Erich Schmidt-Eenboom nicht illusionär ist: „Ich hoffe, daß diese neue Sachlichkeit auch nach Deutschland hinüberschwappt." - ein Ansporn für die heute immer noch diskriminierten „alten Männer", ihr Wissen verläßlich zu dokumentieren und künftiger historischer Bewertung zur Verfügung zu stellen.