Die ostdeutschen Strafverfahren wegen NS-Tötungsverbrechen –
Ein Fachgespräch. Berlin 25. Oktober 2002
Auszüge aus der Pressedokumentation des Vortrages von Prof.
Dr. C. F. Rüter, Universität Amsterdam, Herausgeber einer Urteilssammlung mit
dem Titel "DDR-Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung ostdeutscher
Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen"
"... Die
Eckdaten
Jetzt zu den Eckdaten der deutsch/deutschen Ahndung:
ÜBERSICHT 01
Abgeurteilte Personen
pro 100.000 Einwohner
... 3 (BRD)
... 7(DDR)
Verfahren bis 1960 55%
88%
Verfahren ab 1960 45%
12%
Todesstrafe
0,7%
6%
lebenslänglich
8%
8%
zeitige Freiheitsstr.
45%
67%
keine Bestrafung
46%
19%
Angewandtes Recht NAT.
INT.
Wie Sie sehen, wurden in
Ostdeutschland in der Bevölkerungsrelation mehr als zweimal soviel Personen
wegen NS-Tötungsverbrechen abgeurteilt als in Westdeutschland. Und diese
Masse bewältigte man in Ostdeutschland wesentlich schneller als im Westen: bis
1960 sind in der DDR 87% der Verfahren abgeschlossen, im Westen rund die Hälfte,
55%. Und die SBZ macht schon bald Tempo: bis zum 1.1.1947 hatte sie pro 100.000
Einwohner 9mal soviel Personen wegen NS-Tötungsverbrechen abgeurteilt als
in den drei Westzonen[1].
Die Strafen sind im Schnitt im Osten höher, der Prozentsatz der Freisprüche und
Einstellungen um die Hälfte niedriger. Und es gibt weit mehr Todesstrafen. SBZ und DDR wandten Völkerrecht und damit
die Straftatbestände "Kriegsverbrechen" und "Verbrechen gegen
die Menschlichkeit" an. Der westdeutsche Richter wandte bis 1951 mal deutsches,
mal Völkerrecht an; aber ab 1951 nur noch das nationale deutsche Recht. ...
Zentrale Ermittlung: Zentrale Stelle und Stasi
Jetzt, abschliessend, ein Blick auf die beiden zentralen
Ermittlungsbehörden. In Westdeutschland ist das die Zentrale Stelle in
Ludwigsburg und in der DDR das Ministerium für Staatssicherheit. Das MfS war
schon seit Anfang der fünfziger Jahre im Geschäft, aber mit einer anderen
Ausgangslage: wegen NS-Verbrechen wird von ihm in den frühen fünfziger
Jahren vornehmlich dann ermittelt, wenn jemand wegen gegen die DDR gerichtete Taten oder Bestrebungen aufgefallen ist.
Die Masse der Verfahren der Jahre 1950 bis 1955 sind
allerdings noch solche die von der Polizei und nicht vom MfS bearbeitet worden
sind. Erst ab 1956 verdrängt das MfS die Polizei definitiv aus den
Ermittlungsverfahren[2].
Wer also zum Beweise dafür, dass die ostdeutschen NS-Verfahren nichts
taugen können, "Stasi, Stasi" rufend durchs Land zieht, hat eine im
bereits erwähnten Urteilslabyrinth versteckte Tretmine erwischt. Denn in über
94% aller ostdeutschen NS-Verfahren war die Stasi überhaupt nicht involviert.
Seit Anfang der sechziger Jahre
sind NS-Verbrechen für das MfS aber nicht mehr ein Zufalls- oder
Nebenprodukt von Staatsschutzverfahren, sondern ein eigenes, selbständiges
Ermittlungsziel. Damit ändert sich auch ihre Kundschaft. Vor Gericht
erscheinen nicht mehr Leute, die Ostmark nach Westberlin geschafft, die LPG
bestohlen, für Herrn Gehlen spioniert, SEDBürgermeister verprügelt oder gegen
die Sowjet Union gehetzt haben - und dann, wie sich herausstellt, auch
noch eine NSVergangenheit haben. Jetzt kommen angepasste, desöfteren wegen
ihrer beruflichen und gesellschaftlichen Arbeit in der DDR mehrfach
ausgezeichnete DDR-Bürger vor Gericht, die sich nicht selten, wie es in
den Urteilen heisst, "in die Partei der Arbeiterklasse einschlichen",
also SED-Mitglied geworden sind.
Die Auswahl der Verfahren
Als zentrales Ermittlungsorgan
liegt bei dem MfS auch die erste Auswahl. Was das MfS nicht aufgreift, kommt
nicht zur Anklage.
Es gibt Leute, die darin etwas Besonderes - und dann
meistens etwas besonders schlechtes - erblicken. Das ist - mit
Verlaub - Unsinn. wie ich Ihnen bereits sagte: eine Auswahl ist unvermeidlich
und sie findet in der ganzen Welt statt. Und die, die die erste Auswahl
treffen, sind immer die Ermittler. Die entscheidende Frage ist nicht ob,
sondern wie, d.h. nach welchen Kriterien
die Auswahl stattfindet. Verfahren gegen Leute, die aus rechtlichen, beweis-
oder gesundheitlichen Gründen nicht verurteilungsfähig sind, werden
selbstverständlich eingestellt. Wenn man zuwenig Ermittler und Geld hat -
und das ist fast immer so - stellt man auch die leichteren und die
weniger aussichtsreichen, aber sehr arbeitsaufwändigen Strafsachen ein und
konzentriert sich auf die schwersten, erfolgversprechenden Fälle. Und man
stellt manchmal Verfahren gegen verurteilungsfähige kleine Fische ein, wenn
man damit den grossen Fisch fangen kann. Bei der Drogenbekämpfung z.B. ist
diese Praxis gang und gäbe, weil man sonst nie an die Dealer herankommt. Wenn
das MfS in solchen Fällen eingestellt hat - und das wird es sicher getan
haben - ist das normales professionelles Handeln. In manchen Staaten
sind solche Einstellungen gesetzlich normiert, andere - solche mit dem
gesetzlichen Verfolgungszwang - tun sich damit theoretisch schwer. Aber die Praxis
ist überall dieselbe. Der Verfolgungszwang lässt sich leicht umgehen.
Darüber gleich mehr.
Was man der Stasi vorwirft ...
Nun wird aber seit Jahren erzählt,
das MfS habe nicht einzelne, sondern Hunderte von verurteilungsfähigen NS-Verbrechern
der Strafverfolgung entzogen. Dass eine Ermittlungsbehörde in langwierigen und
kostbaren Nachforschungen Hunderte von Leuten durchermittelt um sie dann,
nachdem man fündig geworden ist, mit den besten Empfehlungen an die Frau
Gemahlin nach Hause zu schicken, erstaunt ein wenig. Dies wird aber durch eine
weitere These erklärt: die DDR habe NS-Täter nicht aus einem inneren
Bedürfnis heraus verfolgt, sondern nur um Westdeutschland international
blosszustellen. Dazu habe man ein Reservoir angelegt, aus dem bei Bedarf ein
passender Angeklagter herausgezogen wurde. Wer dazu nicht tauglich war, blieb
unbehelligt. Diese beiden Thesen haben allerdings eine gemeinsame und recht
entscheidende Schwachstelle: 12 Jahre nach der Wende sind diese vielen Hunderte
von Namen und Fällen noch immer nicht aufgetaucht. Auch ich bin bei den 40
Behörden, vom BMJ über die Gauckbehörde bis zum letzten Landesarchiv, die ich
bei meiner Arbeit bemüht habe, nicht auf sie gestossen. Und die Staatsanwälte
der Zentralen Stelle, die immerhin jahrelang die Archive des MfS durchforscht
haben, haben sie ebensowenig zutage fördern können. Niemand von diesen
Hunderten ist nach 1990, als alles anders und besser gemacht werden sollte, vor
Gericht erschienen. All dies müsste, so würde man meinen, doch einigen Leuten
aufgefallen sein. Aber die Reservoirthese erfreut sich nach wie vor breiter
Beliebtheit. Genauso wie die abgrundtiefe Schlechtheit des MfS, die es ihr
verwehrt haben sollte in NS-Sachen
professionell zu ermitteln. Und so lesen sich dann auch manche Betrachtungen
zur DDR-Ahndung wie Waldheimurteile: die Sachverhaltsfeststellung ähnelt
einem Thesenpapier - Gegenbeweis nicht zugelassen -, die
Rechtswidrigkeit wird vorausgesetzt - aus der DDR kann nichts rechtes
kommen die Schuldfrage wird floskelhaft abgehakt und schon eilt man
"schuldig, schuldig" rufend zum Urteilsspruch.
... macht man im Westen.
Zeit ihres Lebens hat die DDR die
andere deutsche Zentralbehörde, die Zentrale Stelle in Luwigsburg, heftig
angegriffen und kaum mit ihr kooperiert. Wieland ist deswegen mit seinen
Landsleuten bereits früher ins Gericht gegangen. Und mit Recht. So war die
Zentrale Stelle nicht, wie behauptet, "ein Aktenfriedhof". Die meisten
dort Arbeitenden waren prima in Ordnung und es ist hauptsächlich ihnen zu
verdanken, dass es nach 1960 überhaupt noch zu NS-Verfahren kam. Gegen
immerhin 868 Angeklagte. Ich bin stolz darauf, dass die Zentrale Stelle in der
Redaktion unserer west- und ostdeutschen Urteilsserie vertreten ist. Dass
die DDR anfänglich der Zentralen Stelle nicht so recht traute, kann man ihr
allerdings schlecht zum Vorwurf machen. Denn die Zentrale Stelle passte
überhaupt nicht in die westdeutsche politische Landschaft jener Zeit. Es ist
die Zeit der Nierentische und Heimatfilme, der heilen Welt, der vergessenen
Vergangenheit und der - wie durch ein Wunder - verschwundenen
Nazis. Die Alliierten hatten gerade die letzten sog.
"Kriegsverurteilten" entlassen. Es geht wirtschaftlich ständig
besser und die Vergangenheit - die soll man ruhen lassen. Die Zahl der NS-Verfahren
geht rapide zurück, die Strafen für NS-Tötungsverbrechen sind inzwischen
auf dem Niveau eines Einbruchdiebstahls angelangt. Und es hagelt Freisprüche.
Darunter auch für den Geschäftsführer der Degesch, der Zyklon-B-Lieferfirma.
Es sei, so das LG Frankfurt/M, nicht nachzuweisen, dass das nach Auschwitz
gelieferte Giftgas tatsächlich für die Tötung von Juden verwendet worden sei[3].
Dass die Bundesregierung sich jetzt zur umfassenden Verfolgung noch
ungeahndeter NS-Verbrechen entschlossen hatte, wollte die DDR nicht
glauben. Und mit Recht. Denn das wollte sie auch gar nicht. Das, was man der
Stasi unbelegbar vorwirft, passierte im Westen: ganze Tätergruppen wurden der
gerichtlichen Bestrafung entzogen. Und dazu - oder besser: auch dazu - wurde die Zentrale
Stelle errichtet. Kurzum: nicht in, sondern an der Zentralen
Stelle ist was faul...
...Komische und weniger komische Rehabilitierungsentscheidungen
Manche Reha-Entscheidungen sind vor allem komisch. So
dann, wenn man uns glauben machen will, dass eine 2jährige Freiheitsstrafe
rechtsstaatswidrig, eine einjährige aber rechtsstaatsgemäss ist[4]
Oder wenn man feierlich nicht existierende, in der DDR nie rechtskräftig
gewordene oder dem Rehagericht gar nicht vorliegende Entscheidungen aufhebt[5]
oder wenn man meint, in der DDR ansässige Angeklagte dürften, wenn die Sache
auch in Westdeutschland angeklagt ist, von der DDR "wegen
Rechtshängigkeit" nicht abgeurteilt werden[6].
Ein wenig komisch auch ist die wohl unbeabsichtigte Aufwertung des
Oberländerurteils[7]
Dieses sei, sagt das LG Berlin, rechtsstaatswidrig, führt dazu aber nur ein
einziges, formales und zudem noch falsches Argument an: die Verhandlung in
Absentia sei gesetz- und somit rechtsstaatswidrig gewesen. Ein solches
Abwesenheitsverfahren
war aber nach § 326 Abs.2 StPO DDR gesetzeskonform. DDR-ähnliche
Absentia-Regelungen haben zahlreiche westeuropäische Staaten und sie
sind nach der Strasburger Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der Eur.
Menschenrechtskonvention. Weniger komisch ist, dass die Verurteilung von SA-Wachposten,
die das KZ Hohnstein bewachten, für rechtsstaatswidrig erklärt wurde, weil
eine solche Verurteilung Ausdruck einer Kollektivschuld sei[8].
Man staunt, denn wer Menschen, die schwer
misshandelt und sogar erschlagen werden, daran hindert sich dem
zu entziehen, ist doch zu allermindest Gehilfe. Und gar nicht
komisch sind vereinzelte Reha-Ansichten zum Partisanenkrieg.
Wehrmachtseinheiten brennen, um den Partisanen potentielle Stützpunkte zu
nehmen, Dörfer nieder, erschiessen die Einwohner oder treiben sie im tiefsten
Winter zum Erfrieren und Verhungern auf die nackte Steppe hinaus. Was dazu -
und zur Geiselerschiessung - unter Berufung auf westdeutsches Schrifttum
und Rechtsprechung der fünfziger Jahre ausgeführt wird[9]
enthüllt
vor allem unerfreuliches über offenbar noch immer in der westdeutschen
Richterschaft bestehende Ansichten, die man
doch
spätestens seit den siebziger Jahren verschwunden wähnte.
Die ostdeutschen Urteile - zwei Kritikkomplexe
Jetzt zu den ostdeutschen Urteilen. Was ist von ihnen zu
halten? Zur Beantwortung dieser Frage werde ich vor allem auf zwei
Kritikkomplexe eingehen, dabei noch einiges aus der Reharechtsprechung
einflechten und schliesslich, aber ganz kurz, ein wenig meine eigenen Ansichten
beisteuern.
Alles nur
Waldheimverfahren ?
Zuerst die Einschätzung der ostdeutschen Ahndung durch eine
hoch angesehene westdeutsche Juristin[10].
Waren
- so sagt die berühmte
Juristin - die westalliierten und
westdeutschen Gerichte im Umgang mit NS-Straftätern mitunter zu
halbherzig, so sind die Sowjets und ostdeutsche Gerichte vielfach leichtfertig
mit der Unschuldsvermutung und dem Gebot eines rechtsstaatlichen Verfahrens umgegangen.
Das sei an den sog. Waldheimprozessen belegt. Der übergrossen Mehrheit der dort
Verurteilten war eine strafrechtlich relevante Schuld nicht nachzuweisen."
[Ende Zitat.] Die verehrte
Autorin hat mal bessere Texte produziert. Ob der übergrossen Mehrheit der
Waldheimangeklagten eine strafrechtlich
relevante Schuld nachzuweisen war, weiss niemand, einfach deshalb, weil man
sich damals in Waldheim gar nicht die Mühe gemacht hat. Dass ostdeutsche
Gerichte vielfach leichtfertig mit der
Unschuldsvermutung umgegangen seien, kann man nur an Hand einer stattlichen
Anzahl repräsentativer Entscheidungen beurteilen. Nach Aktenlage kann ich Ihnen
versichern: diese Entscheidungen hat Frau Limbach nie gesehen. Weit schlimmer
aber ist, dass sie auf dieser Basis suggeriert, die ostdeutschen Urteile seien
vielfach nichts anderes als eine Art Waldheimurteile oder diesen doch
wenigstens sehr ähnlich. Diese Gleichstellung ist unhaltbar. Die
Waldheimverfahren waren, rechtlich gesehen, ein absolutes Desaster. Sie beruhten
auf einer Fülle von Verstössen gegen die elementarsten Rechtsprinzipien. Das
gilt jedoch nicht für die seit 1945 ergangenen Urteile wegen NS-Tötungsverbrechen,
die ich inzwischen alle gelesen habe. Gewiss: diese Rechtsprechung ist nicht
ohne Fehl und Tadel, aber Waldheimverfahren sind sie wirklich nicht. Was die
SBZ-Verfahren betrifft könnte ich mich dazu auch auf MeyerSeitz
berufen. Ich könnte Ihnen auch darauf hinweisen, dass in keinem der
Rehaverfahren der Betroffene mit seiner Behauptung, auch sein DDR-Verfahren
sei eine Art von Waldheimverfahren, durchgedrungen ist.[11]
Aber überzeugen Sie sich selbst. Vergleichen Sie 3 Standard-Waldheimurteile
mit den übrigen Urteilen in unserer Sammlung. Ziehen Sie, wenn erwünscht, die
Strafakten bei und schauen Sie sich die Protokolle an. Soviel zum
Waldheimcharakter der ostdeutschen Rechtsprechung. Alles weitere wäre
Zeitverschwendung.
DDR-Richter nur weisungsgebundene "Zeremonienmeister" ?
Interessanter ist eine andere These, die kurz
zusammengefasst, besagt, die ostdeutsche Rechtsprechung sei im Grunde nichts
anderes, als die justizförmige Absegnung ausserhalb der Justiz, insbes. vom ZK
der SED, getroffener Entscheidungen. Sie hat grosse Ähnlichkeiten mit der heute
morgen besprochenen These, dass die braune Elite eine angemessene Verfolgung
von NSVerbrechen im Westen verhindert hat. Beide Thesen bringen drei
Komponenten ins Spiel, die - insbesondere in dieser Kombination -
fast immer ziehen: eine bitterböse Elite, der man alles zutraut, eine grosse,
geheimnisvolle Verschwörung und ein starkes Eigeninteresse. Aber auch die Ost-These,
die so viel so einfach, stimmungskonform und politisch korrekt erklärt, hat
eine bedeutende Schattenseite: sie ist zu absolut, erklärt zu monolithisch,
übersieht andere entscheidungsbestimmende Kräfte und negiert ziemlich
beharrlich der These entgegenstehende Fakten.
Staatsschutzdelikte
Ist an dieser These denn nichts
dran ? Doch. Wie bei der braunen Elite-These: völlig daneben liegt sie
nicht. Dort wo es um Staatsschutzverfahren geht, will ich nicht ausschliessen,
dass es Fälle gibt - und vielleicht gar nicht so wenige - wo die These
viel Wahres enthält. Nach zehn Jahren Amnesty Erfahrung in einer Reihe
demokratischer und weniger demokratischer Staaten und nach meinen Erfahrungen
in zwei politisch sensitiven Verfahren, in denen das sonst so umgängliche
niederländische
Justizministerium mit Lug und Trug die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen und
so eine Verurteilung herbeizuführen suchte, traue ich keinen Staat wenn es um
Staatsschutzsachen geht. In diesen Fällen, wo sich der Staat bedroht und der
Richter als Teil der staatlichen Ordnung sich selbst angegriffen wähnt, ist
eine rechtsstaatliche Rechtsprechung akut gefährdet. Je heftiger die Bedrohung
empfunden wird, umso schlechter die strafrechtlichen Manieren.
NS-Verbrechen und Staatsschutzdelikte
Auf NS-Verbrechen trifft dieses Muster aber nicht oder
nur sehr unvollkommen zu. Was ist denn das grosse Eigeninteresse des ZK,
hunderte von Leuten für nie begangene NS-Verbrechen verurteilen zu lassen
? Insbesondere nach 1950, wo die DDR mit der Verfolgung dieser Verbrechen
eigentlich Schluss machen wollte. Am ehesten würde man Unsauberkeiten dann noch
bei den sog. gemischten Verfahren erwarten, also dort wo NS-Verbrechen zusammen mit Staatsschutzdelikten angeklagt worden sind. Das spielt, wie ich
Ihnen bereits heute morgen sagte, in den fünfziger Jahren. Zweiundzwanzig
solcher Verfahren gibt es. Mit 23 Angeklagten. 5 Verurteilte stellen einen
Rehaantrag. Das ist viel, wenn Sie bedenken, dass hier jeder 5., und sonst nur
jeder 14. Verurteilte einen Rehaantrag stellt. Ein Antrag hat Erfolg[12],
ein Antrag wird voll abgelehnt[13]
und bei drei Anträgen wird die Verurteilung für das Staatsschutzdelikt für rechtsstaatswidrig erklärt, die Verurteilung
wegen NS-Verbrechen aber
aufrecht erhalten[14].
Was besagt
die Rehabilitierungsrechtsprechung ?
Auch sonst bieten die
Rehaverfahren nun nicht gerade den schlagenden
Beweis für die Richtigkeit dieser These.
ÜBERSICHT 4
Reha-Anträge insgesamt
106
davon
Nicht rechtsstaatswidrig
43
Nur Vermögenseinziehung rechtsstaatswidrig
33
Strafe reduziert
9
Verfahren eingestellt
2
Freispruch
3
Teilweise rechtsstaatswidrig, Strafe aber unverändert
3
voll rechtsstaatswidrig
13
Wie Sie wird bei 3/4 der Anträge höchstens die
Vermögenseinziehung aufgehoben, die Freiheits- oder Todesstrafe bleibt
aber bestehen[15]. In 9% der
Fälle wird die Strafe reduziert, die Verurteilung an sich bleibt aber auch hier
bestehen[16]. Zwei
Verfahren werden eingestellt und es gibt drei Freisprüche.[17]
Drei Verfahren sind teilweise rechtsstaatswidrig, aber die DDRStrafe bleibt
bestehen[18] und ganze
13 Verfahren sind lt. Reharechtsprechung voll rechtsstaatswidrig[19].
Und davon sind dann noch mindestens 3 aus völlig unsinnigen Gründen für
rechtsstaatswidrig
erklärt worden[20]...
... Die letzten 25 Jahre der DDR
Fangen wir
mit den letzten 25 Jahren der DDR an. Sie will, das scheint
mir offensichtlich, als der bessere deutsche Staat dastehen,
in dem NS‑Verbrecher zu hohen Strafen verurteilt werden.
Das kann sie dadurch erreichen, dass das ZK die Gerichte entsprechend anweist
oder dadurch, dass man nur schwere, hieb-
und stichfeste Sachen anliefert. MfS und Staatsanwaltschaft tun das letztere,
wie Herr Wieland und Frau Solf bereits dargelegt haben. Diese Politik lässt
sich auch in einem Urteil in unserem ersten Urteilsband S.311 nachlesen[21].
Was man
von dieser Anklagepolitik auch hält, eines wird durch sie klar
belegt: MfS und StA gingen davon aus, dass sie für eine
Verurteilung wasserdichte Beweise brauchten, und die DDRGerichte
somit weder nach Instruktionen des ZK urteilten, noch der
verlängerte Arm der Stasi waren. Das letztere wird stellenweise übrigens auch
in den von uns veröffentlichten Urteilen ersichtlich:
zieht der Angeklagte sein beim MfS abgelegtes
Geständnis
in der Gerichtsverhandlung zurück und gibt es keine anderen
Beweismittel, dann erfolgt insoweit Freispruch. Beispiele
davon nachzulesen im ersten Band S.587, 740 und 755 [22].
Zu
allgemeine oder unzureichend auf ihrer Richtigkeit überprüfte Feststellungen
passieren das OG nicht unangefochten[23].
Korrekturen am Schuld- und Strafausspruch werden vorgenommen, bei den im
ersten Band veröffentlichten Urteilen in 20% der Verfahren[24]. Dreizehn Angeklagte, das ist jeder 6.,
stellen nach 1990 einen Rehaantrag[25].
Zehn Anträge werden verworfen, zwei für teilweise begründet erklärt, die DDR-Strafe
aber aufrecht erhalten und einmal wird die verhängte Todesstrafe auf eine
lebenslängliche Freiheitsstrafe zurückgestuft. Als voll rechtsstaatswidrig
wird kein einziges Verfahren eingestuft. In einem Fall
wird sogar ohne Not Lob gespendet: das DDR-Gericht, so der
Reharichter, habe sich sorgfältig mit allen zur Verfügung stehenden
Beweismitteln und mit dem Vorbringen des Betroffenen auseinandergesetzt, und auch
das Ermittlungsverfahren sei mit grosser Gründlichkeit durchgeführt worden[26].
Gaskammermorde ohne Gaskammer ? Die Ravensbrückverfahren
In diese Zeit fällt allerdings auch das
Ravensbrückverfahren, in dem u.a. die Angeklagte Jürß vom BG Rostock wegen
Gaskammermordes
verurteilt wurde und das, obwohl es zu jener Zeit dort noch gar keine Gaskammer
gab[27].
Darüber scheinen sich alle Historiker einig und manche sehen in der
Verurteilung die Hand der Politik. Wieland tadelt das Urteil wegen schlampiger
Ermittlung und auf meine Nachfrage hat er mich ,leicht erschüttert über soviel
Dummheit, belehrt: 1943 gab es in Ravensbrück keine Gaskammer. Schluss Fidibus.
Was macht aber Frau Jürß ? Bereits bei ihrer ersten Stasi-Vernehmung,
noch als Zeugin gegen die später Mitverurteilte Göritz, schildert sie
detailliert
ihre Tätigkeit im KZ, einschliesslich der Teilnahme an Selektionen und
Vergasungen. Davon rückt sie nicht mehr ab, auch nicht in der Hauptverhandlung.
Erpressung, Zwang, Zermürbung, so sagt sie 1998, haben dazu geführt. Sie sei
entnervt gewesen. Ok, nehmen wir das mal an. Sie legt aber - trotz
Zermürbung und Entnervung - Berufung ein, macht dann aber etwas schwer
verständliches: sie beschränkt ihre Berufung auf die Strafzumessung, womit der
Sachverhalt - inkl. Vergasung - rechtskräftig wird. Das könnte, sie
sagt es nicht, aber wir wollen es ihr zugute halten, prozesstaktische Gründen
haben. Jetzt aber kommt das Jahr 1990.
Alles ist anders. Frau Jürß beantragt ihre Rehabilitierung und trägt
vor, nichts von alledem habe sie getan, Blockführerin sei sie nie gewesen, an
Misshandlungen, Tötungen und Selektionen habe sie nie teilgenommen. Und dann
kommt wohl das, was gerade Frau Jürß, die ja in Ravensbrück Dienst getan hat,
wissen kann: Gaskammern hat es 1943 in Ravensbrück nicht gegeben. So würde man
denken, meinen, erwarten. Ein absolut schlagendes und nicht gerade weit
hergeholtes
Argument. Aber dieses Argument kommt nicht.
Jürß sagt das weder 1966 noch 1998
in ihrem Rehaverfahren[28].
Ihr Rehaantrag wird verworfen. Was zeigt das ? Einmal, dass man mit der monokausalen Deutung, die jedem Fehlurteil der Stasi oder dem ZK anhängt,
vielleicht doch ein wenig zurückhaltender umgehen muss. Und zum anderen, dass
die übliche Deutung den Blick auf interessante Entdeckungen versperren kann.
Denn interessant wäre es doch, wenn sich herausstellen würde, dass es 1943 in
Ravensbrück doch eine Gaskammer
gegeben habe. Wenn ich Historiker wäre, würde ich mich zu Frau Jürß begeben.
Eiligen Schrittes. Denn - wenn sie noch lebt - ist sie heute 79.
Die Ravensbrücker Gaskammergeschichte taucht noch in einem anderen nach der
gleichen Theorie stark kritisierten Verfahren auf: das Verfahren gegen Frau
Jankowsky, die 1954 vom BG Gera zum Tode verurteilt wurde[29].
Bei Lichte besehen besorgt hier das ZK aber nicht die Verurteilung Jankowskys,
sondern es rettet sie von dem Tod. Im Gnadenverfahren lässt das ZK das
Verfahren nachprüfen, es kommen ihm erhebliche Zweifel und Jankowsky wird zu
lebenslänglich begnadigt[30].
Die Jahre 1952 bis 1965 - der Fluch der guten Tat
Damit sind wir im letzten Zeitabschnitt und haben
gleichzeitig das Problem dieser Zeit tangiert: das ist m.E. nicht primär die
Politik sondern vielmehr die Qualität der DDR-Richter in jenen Jahren.
Auch die Urteile der beiden anderen Perioden weisen manchmal handwerkliche
Fehler auf und sind wahrlich nicht alle Sternstunden richterlichen Wirkens. Die
Zahl der ausgesprochen schlampig formulierten Urteile ist in der Zeit zwischen
1952 und etwa 1965 aber unverhältnismässig hoch. Solche Urteile sind ein übles
Zeichen: wer schlampig formuliert, ermittelt und urteilt meistens ebenso. Das
können auch die zahlreichen politischen Traktätchen nicht verdecken. Ich denke,
hier zahlt die DDR den Preis für eine an sich verständliche und vernünftige
Massnahme: die Entfernung der NS-Richter. Was an deren Stelle tritt, ist
anfangs in Schnellkursen ausgebildet und lernt an den Gerichten das Handwerk
nicht Schritt für Schritt von erfahrenen Kollegen. Hinzu kommt ein Oberstes
Gericht, das mangelhaften Sachverhaltsfeststellungen reichlich unkritisch
begegnet und bei Strafzumessungserwägungen recht abwegige, politisch gefärbte
Argumente einfliessen lässt, so z.B. die in Kolonialkriegen in Ostasien
begangenen Kriegsverbrechen seien ein generalpräventives Argument die Strafe zu
erhöhen - als ob ein DDR-Urteil anno 1953 auf das Verhalten der
Franzosen in Indochina auch nur den geringsten Einfluss gehabt hätte[31].
Und ein Fall ist mir schon 1966 beim Lesen der DDR-Darstellung der NS-Ahndung
als äusserst merkwürdig aufgefallen: unser Verfahren 1077. Es befasst sich mit der
Tötung von Ehefrauen und Kindern beim Einmarsch der Roten Armee im Mai 1945.
Die Ehemänner, obwohl anfänglich zum Selbstmord entschlossen, begehen den dann
doch nicht und verbreiten das Gerücht, die Russen hätten ihre Angehörigen
umgebracht. Selbstmordfälle hat es im Rahmen der Endphasepsychose zuhauf
gegeben. Das LG Hannover hat 1959 einen ähnlichen Fall wegen
Unzurechnungsfähigkeit zur Tatzeit eingestellt[32].
Das scheint mir billig und angemessen. Die DDR-Angeklagten wurden
deswegen aber 1962 vom LG Schwerin zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Diesem Fall traue ich nicht - für keinen Pfifferling. Dafür ist er zu
ungeheuerlich und dafür fällt er auch zu sehr aus dem üblichen DDR-Rahmen.
Ein ungutes Gefühl zur Strafzumessung
Als Ganzes betrachtet, liegen meine Zweifel - von den
bereits erwähnten Ausnahmen abgesehen - eigentlich weniger bei den
Sachverhaltsdarstellungen und beim Schuldspruch der Urteile. Sie liegen eher
bei der Strafzumessung. Dass ein
Staatsanwalt als
weisungsgebundene Behörde direkt oder über seinen General Kontakte mit der
politischen Führung unterhält und dass bei grossen oder sensitiven Strafsachen
auch der Strafantrag zur Sprache kommt, ist nicht, wie manche anscheinend
meinen, DDRtypisch. Wer das denkt, kennt den Justizbetrieb nicht. Die Justiz
wirkt nicht isoliert auf einer Insel der Glückseligen. Kluge Politiker äussern
sich nicht zum Strafantrag in individuellen Strafsachen. Aber nicht alle
Politiker sind klug. Ungute Gefühle erregt somit nicht der übliche Kontakt
Staatsanwaltschaft / Politik. Ungute Gefühle kommen auf, wenn im
Verurteilungsfalle
das Gericht von dem Strafantrag der StA fast nie abweicht. Denn das könnte
bedeuten, dass das Gericht zwar Sachverhaltsfeststellung und Schuldspruch in
eigener Regie entscheidet, die Strafe sich aber an den Wünschen der
Staatsanwaltschaft
und damit, de facto, an denen der politischen Führung ausrichtet. Ob das
wirklich der Fall ist, hängt von mehreren Fragen ab - z.B. von dem gesetzlichen
Strafzumessungsspielraum, der Strafzumessungspraxis, von Art und Inhalt der
Kontakte Staatsanwaltschaft/Politik im betreffenden Verfahren, etc. Diese
Fragen kann ich momentan nicht ausreichend beantworten. Aber die Tatsache,
dass, wenn ich mich nicht irre, ab etwa 1952 in der DDR nur ganz, ganz selten
von einem Strafantrag abgewichen wurde, gibt mir ein ungutes Gefühl. Oder,
juristisch gesagt: es begründet einen Anfangsverdacht, dem es sich lohnen
würde, nachzugehen.
Lest die
Urteile !
Ein letztes Wort. Im Rahmen der monokausalen Deutung wird
viel Zeit darauf verwendet den Nachweis direkter politischer Einflussnahme auf
den Richterspruch nachzuweisen. Das hat, wie ich versucht habe Ihnen
darzulegen, nicht unerhebliche Nachteile. Es macht aber auch wenig Sinn. Solche
Anweisungen werden sie, soweit sie stattgefunden haben, eigentlich nie finden.
Denn auf Grund meiner Amnesty-Erfahrung kann ich Ihnen versichern:
solches geschieht, wenn überhaupt, mündlich. Und selbst wenn Sie fündig werden
würden, eins wissen Sie dann noch immer nicht: inwieweit diese Anweisung das
Urteil wirklich beeinflusst hat. Weit fruchtbarer ist es, zuerst unbevorurteilt
das Urteil als Endprodukt abzuklopfen - und bei Zweifeln in die Ermittlungsakten abzutauchen. Jeder kann daraus dann seinen eigenen Reim
machen. Dazu veröffentlichen wir diese Urteile. Ich hoffe, sie machen davon
Gebrauch."
[1]
Bis zum 1.1.1947
urteilte die SBZ 87 Personen wegen im Kriege begangener Tötungsverbrechen ab, die drei westlichen Zonen zusammen ganze 31.
Dabei hatten die Westzonen
3mal soviel Einwohner als die SBZ.
[2]Aber nicht völlig: die
Fälle 1093 (Rügener Giftmord) und 1103, die als normalen Kriminalfall (wegen
Giftmordes bzw. Blutschande) angefangen hatten, werden - soweit
feststellbar - nicht vom MfS ermittelt.
[3] Er habe deshalb nur erfolglose Beihilfe geleistet. Justiz und NSVerbrechen Band XIII S. 127 (Lfd.Nr.415).
[4] Fall 1383.
[5] Fall 1266 (nicht rechtskräftig geworden), Fälle 1294 und 1614 (Urteil nicht vorhanden), Fall 1469 (das bezeichnete Urteil ist nie ergangen).
[6] Fall 1211, LG Leipzig 920929.
[7] Fall 1087.
[8] Die Kammer ist jedoch in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft Dresden der Auffassung, dass die Verurteilung des Betroffenen mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist, da das angegriffene Urteil keine Feststellungen hinsichtlich der Schuld des Betroffenen enthält. Der Betroffene ist allein aufgrund einer auf allen SA-Wachposten des Konzentrationslagers lastenden Kollektivschuld verurteilt worden. Eine solche Kollektivschuld als Grundlage für die strafrechtliche Verurteilung eines einzelnen Angeklagten zu setzen, ist jedoch mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung nicht zu vereinbaren.(1430 LG/BG Dresden 960923)
[9]
Fall 1013; siehe
insbes. Beschluss Nr.1013b.
[10] Jutta Limbach, Im Namen des Volkes. DVA. S.42, 45, 46.
[11]
Der vom Betroffenen
Sauer angestellte Vergleich mit dem Waldheim-Verfahren geht fehl. Dort wurden
die Urteile von Sondergerichten im Viertelstundenrhythmus und unter
Missachtung aller prozessualen Rechte der Angeklagten gesprochen, darunter ca.
30 Todesurteile. Die Kammer ist weit davon entfernt, der Strafkammer des
Landgerichts Dresden, die im vorliegenden Falle geurteilt hat, gewissermassen
im Nachhinein eine rechtsstaatliche Unbedenklichkeitsbescheinigung
auszustellen. Es bleibt aber festzustellen, dass im
vorliegenden Verfahren ein durchaus justizförmiger Prozess stattgefunden hat,
eine Feststellung, die auch noch für eine ganze Reihe anderer der Kammer aus
anderen Rehabilitierungsverfahren bekannter Strafprozesse vor 1950 gilt.
(Verfahren 1411 LG/BG Dresden 940627 S.13)
[12] Fall 1121
[13] Fall 1129.
[14]
Fälle 1083, 1088, 1113.
[15]
Fälle 1002, 1005, 1017,
1022, 1028, 1033, 1045, 1047, 1052, 1055, 1089,
1098, 1129, 1147, 1163, 1249,
1293, 1294, 1299, 1371, 1411, 1430, 1445,
1450, 1511, 1516, 1519, 1552,
1561, 1577, 1623, 1632, 1640, 1772, 1826,
1839 bzw. Fälle 1133, 1137,
1234, 1266, 1295, 1358, 1359, 1372, 1374, 1383,
1405, 1411, 1428, 1445, 1469,
1508, 1510, 1515, 1614, 1641, 1642, 1715,
1741.
[16] Reduziert auf 1 Jahr Fälle 1119, 1383, auf 3 Jahre Fälle 1114, 1798, auf 4 Jahre Fall 1809, auf 6 Jahre Fall 1806, auf 10 Jahre Fall 1147, auf 15 Jahre Fall 1147, auf lebenslänglich Fall 1041.
[17] Fälle 1144, 1152, 1211.
[18] Fälle 1007, 1013, 1515.
[19] Fälle 1087, 1121, 1124, 1160, 1370, 1411 (./. zwei Angeklagte), 1430, 1433, 1490, 1572, 1573, 1641. Von diesen 13 für voll rechtsstaatswidrig erklärten Verfahren ist ein Verfahren von der Stasi ermittelt worden.
[20] Bereits oben erwähnt: die Fälle 1087, 1160 und 1641.
[21]
Mit der Begehung der dargelegten Verbrechen lud der Angeklagte schwere Schuld
auf sich. Seine Bestrafung erfolgt jedoch allein in dem Umfang, der durch
seinen individuellen Tatbeitrag gekennzeichnet ist. Dieser wurde bereits bei Anklageerhebung nur auf solche
Handlungen beschränkt, die durch eindeutige Beweisdokumente belegt sind, und
stellen somit Mindestbeiträge
dar.
(1010 LG/BG Berlin 820405, DDR‑Justiz
und NS‑Verbrechen Bd.I S.311).
[22]
Hinsichtlich des Vorwurfes, der Angeklagte habe im Februar 1942 in Kliny
10 Sowjetbürger zur Erschiessungsstelle getrieben, auf diese Opfer gezielte
Schüsse abgegeben und dabei mindestens 1 Opfer getötet, Mitte Februar in Baturino an der Tötung von 37 Kriegsgefangenen
und 3 Zivilpersonen teilgenommen und dabei mindestens 1 Opfer persönlich
getötet und im Frühjahr 1943 in Sadratsche die 19jährige, an Typhus erkrankte
Partisanin Majorowa aus ihrer Wohnung zur Erschiessungsstelle transportiert und
getötet, konnte die Mitwirkung des Angeklagten daran nicht mit der im
sozialistischen Strafverfahren erforderlichen Sicherheit bewiesen werden. Der
Angeklagte bestreitet diese Handlungen. Durch die Nichtanwesenheit der Zeugen
Kolomijez und Schulz und der objektiven Unmöglichkeit weiterer Erforschung des
Geschehensablaufes ist die Schuld des Angeklagten nicht erwiesen, und er ist
insoweit freizusprechen. Der Vorwurf der Anklage, dass auf Befehl des
Angeklagten in der Ortschaft Tarrasowo die Ermordung einer Mutter mit Kleinkind
und in der Ortschaft Staroje Potipowo die Verbrennung einer aus zwei Personen
bestehenden Familie in deren Wohnung herbeigeführt worden sei, hat sich in der
Hauptverhandlung nicht bestätigt. Der Angeklagte bestreitet seine Teilnahme an diesen
Handlungen und macht dafür den Stützpunktleiter, Feldwebel Siegmund,
verantwortlich, der aus seiner Feindschaft sowjetischen Menschen gegenüber
eigenmächtig Verbrechen beging. Für dieses Tatgeschehen gibt es keine
Tatzeugen, auch die Aussagen der Zeugen Koslowa und Moisejenkow in der
Hauptverhandlung erbrachten keine Anhaltspunkte für die Mitwirkung des
Angeklagten an diesen Handlungen. In diesem Umfange war der Angeklagte daher
ebenfalls freizusprechen. Die Freisprüche erfolgen in Übereinstimmung mit den
Anträgen des Staatsanwaltes und der Verteidigung. Obwohl der Angeklagte in der
Voruntersuchung eingestand, im Frühjahr 1943 in Sadratsche neben der
Zusammenstellung des Mordkommandos zur Erschiessung von 8 Sowjetbürgern auch
als Mordschütze ein Opfer getötet zu haben, konnte auch hier nach dem Widerruf
des Geständnisses nicht mit der erforderlichen Sicherheit die eigenhändige
Tötung nachgewiesen werden. (1021 LG/BG Berlin 770328, DDR-Justiz und NS-Verbrechen
Band I S.587)
Der Angeklagte hat zwar vor dem Untersuchungsorgan erklärt,
an der Erchiessung bzw. Vertreibung der ihm zur Last gelegten Anzahl von
Opfern beteiligt gewesen zu sein. Dieses Geständnis hat er in der
Beweisaufnahme nicht aufrechterhalten. Er hat im Gegensatz zu früheren Aussagen
erklärt, dass er, soweit es seine Untaten in Starokonstantinow betrifft, von
seinen Vorgesetzten davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass 500 Bürger in dieser
Ortschaft ermordet wurden. Da sich aus den vorliegenden in der Hauptverhandlung
zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemachten Dokumenten ebenfalls nicht
zuverlässig der Beweis ergibt, dass unter Mitwirkung des Angeklagten mehr als
500 Männer, Frauen und Kinder ermordet wurden, war von den Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung auszugehen.
(LG/BG Halle 750829, Verfahren 1029, DDR-Justiz und NS-Verbrechen
Band I S.740)
Weiterhin war dem Angeklagten zur Last gelegt worden, in
drei Fällen selbst bei der Räumung von Zimmern auf diejenigen geschossen zu
haben, die den Weg in den Tod nicht antreten wollten. Sein diesbezügliches
Geständnis vor dem Untersuchungsorgan widerrief der Angeklagte in der
Hauptverhandlung. Da insoweit andere Beweismittel, die die Richtigkeit seines
ursprünglichen Geständnisses bestätigen könnten, nicht vorliegen, hat sich diese Handlung nicht bestätigt.
(LG/BG Berlin 750527, Verfahren 1030, DDR-Justiz und
NS-Verbrechen Band I, S.755)
Eine ganze Reihe von Teilfreisprüchen auch im Verfahren 1050 (BG-Urteil).
[23] Wie die Überprüfung des Verfahrens durch den Senat weiter ergab, ist der Sachverhalt zu den übrigen Tatkomplexen vom Bezirksgericht zwar in erforderlichem Umfange aufgeklärt worden, die auf dieser Grundlage getroffenen Feststellungen sind jedoch zu allgemein und unzureichend auf ihre Richtigkeit geprüft worden.(1059 Ob. Gericht der DDR 660902)
[24] Siehe 1001b, 1008b, 1015b, 1016b, 1019b (Bd.I S.557) und 1027b.
[25] 13 Rehaanträge, 75 Angeklagte ab 1965.
[26]
Vielmehr lässt das Urteil des Bezirksgerichts Rostock erkennen, dass dieses nicht etwa
"kurzen Prozess" mit dem Betroffenen gemacht, sondern sich in einer mehrere Tage dauernden
Hauptverhandlung sorgfältig mit allen zur Verfügung
stehenden Beweismitteln und mit dem Vorbringen des Betroffenen
auseinandergesetzt hat. Den Verfahrensakten ist zu entnehmen, dass auch bereits das
Ermittlungsverfahren mit grosser Gründlichkeit durchgeführt wurde. Dabei war
beispielsweise der Betroffene anhand von Wahllichtbildvorlagen von mehreren
Zeugen wiedererkannt worden. Es wurde sodann bei einer Besichtigung des
ehemaligen KZ Sachsenhausen anhand einer mathematischen Berechnung
nachgeprüft, ob einer der den Betroffenen belastenden Zeugen von
dem von ihm
angegebenen Standpunkt aus überhaupt dazu in der Lage war, den Betroffenen auf dem
Gelände der "Station Z" zu sehen.(1052
LG/BG Rostock 980507)
[27] Fall 1055.
[28]
Es muss festgestellt werden, dass die Angeklagte « Jürß » durch ihr Geständnis gleich zu
Beginn der Ermittlungen zur Wahrheitsfindung beigetragen hat. (1055 LG/BG Rostock
660808, DDR-Justiz und NS-Verbrechen Band II S.574)
Dass das von der Betroffenen « Jürß » abgelegte,
umfangreiche Geständnis von der Stasi erpresst worden sein könnte, ist nicht
ersichtlich. Die Betroffene hatte ihr Geständnis nicht etwa erst nach langer,
zermürbender Untersuchungshaft, sondern schon bei ihrer ersten Vernehmung, zunächst
als Zeugin in dem Verfahren gegen die spätere Mitverurteilte Göritz, am
29.April 1965 abgelegt. Von Beginn an hatte sie ihre Tätigkeit im KZ,
einschliesslich der Teilnahme an Selektionen und Vergasungen, detailliert und
umfangreich geschildert. Von diesem Geständnis ist sie zu keinem Zeitpunkt
während des Verfahrens, auch nicht in der Hauptverhandlung, abgerückt.
Auch ist kein vernünftiger Grund dafür erkennbar, warum sich
die Betroffene, wenn sie tatsächlich unschuldig wäre, mit der von ihr gegen
das Urteil eingelegten Berufung ausdrücklich nur gegen das Strafmass, nicht
aber gegen die von dem Bezirksgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen
wandte.
Die Betroffene « Jürß » beantragt ihre Rehabilitierung hinsichtlich der vorgenannten Verurteilung. Sie trägt vor, sie sei gezwungen worden, Vernehmungsprotokolle der Stasi zu unterschreiben. Tatsächlich habe sie während ihrer Tätigkeit als KZ-Aufseherin niemals an Ermordungen, Folterungen und Misshandlungen teilgenommen. Sie habe kein Menschenleben auf dem Gewissen. Während der Ausbildung habe sie keinen Kontakt zu den Inhaftierten gehabt. Auch danach habe sie nie an Selektionen von zu ermordenden Häftlingen teilgenommen, sondern lediglich Gefangene beaufsichtigt und Krankheitsfälle gemeldet. Für weitere Massnahmen sei allein die Lagerleitung zuständig gewesen. Die Brutalität ihrer Kolleginnen sei ihr stets zuwider gewesen, was schliesslich zu ihrer Versetzung ins Aussenlager Genthin geführt habe. Sie sei auch nie selbst Blockführerin gewesen, sondern habe immer einer Blockführerin unterstanden. Während der Verhandlung habe sie nicht die Energie aufgebracht, die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu widerlegen. Sie habe nur die Angelegenheit hinter sich bringen wollen, da sie durch die Untersuchungshaft und die zermürbenden Verhöre entnervt gewesen sei. (1055 LG/BG Rostock 980622, DDR-Justiz und NS-Verbrechen Band II S.595 f.)
[29] Fall 1120.
[30] Mitteilung von Falko Werkentin dd. 17.6.2000
[31]
Fall 1146.
Die
Berufung rügt, dass die Urteilsfeststellung, wonach der Angeklagte bei der
Ermordung des sowjetischen Bürgers mindest mitgewirkt habe, mit dem Ergebnis
der Beweisaufnahme nicht übereinstimme. Kein Zeuge habe bestätigt,dass
der Angeklagte der Täter gewesen sei.
Die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils
stehen in keinem Widerspruch zu dem Ergebnis der erschöpfend durchgeführten
Beweisaufnahme. Auch die Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden. Das trifft
insbesondere auf die mit der Berufung gerügte Würdigung der Aussagen der Zeugen
Mord, Zeidler und Wendke zu, die nicht unmittelbare Tatzeugen waren, sondern
bekundeten, dass bei der Einheit davon gesprochen wurde, dass der Angeklagte
an der Ermordung des Sowjetbürgers aktiv beteiligt gewesen ist. Diese Aussagen
können jedoch nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen, wie es vom
Bezirksgericht ohne Irrtum erfolgt ist, im Zusammenhang mit allen anderen
festgestellten Tatsachen logisch gewürdigt werden. Die Umstände, dass der
Angeklagte nach den glaubwürdigen Aussagen der Zeugen, die ihre Bestätigung in
dem Bericht der sowjetischen Behörden gefunden haben, im Zeitpunkt der Tat im
Ort Oreschowsk anwesend war, dass zu diesem Zeitpunkt in der Kompanie von der
Beteiligung des Angeklagten an der Exekution gesprochen wurde und der Angeklagte
nach 1945 mit allen Mitteln versuchte, seine Selbstbezichtigung aus dem Jahre
1943 zu vertuschen, führt zwingend zu der Feststellung, dass der Angeklagte an
dem Verbrechen mitgewirkt hat. Die rechtliche Beurteilung der Tat des
Angeklagten als ein Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
ist daher zutreffend....
Die in der Höhe von zehn Jahren Zuchthaus zum Ausdruck kommende Bewertung der Tat des Angeklagten entspricht nicht der Schwere des Verbrechens und berücksichtigt nicht die augenblickliche politische Situation in der Welt, insbesondere nicht die durch den Imperialismus in seinen Unterdrückungskriegen im Fernen Osten begangenen Kriegsverbrechen und Unmenschlichkeiten gegenüber der Zivilbevölkerung. Diese typisch faschistischen Methoden zeigen, dass trotz der Verurteilung der faschistischen Kriegsverbrecher des zweiten Weltkrieges die Gefahr der Wiederholung solcher Unmenschlichkeiten noch nicht beseitigt ist. Bei der Bewertung des Verbrechens des Angeklagten hätten diese Erwägungen angestellt werden müssen. (1146 Ob. Gericht der DDR 530420)
[32]
Fall 953.