Gibt es
Lehren aus dem Ende der DDR und des MfS ?
"Politische Berichte"
wandte sich mit einigen Fragen an den Vertreter des Sprecherrates des
"Insider - Komitees zur Aufarbeitung" der Tätigkeit des MfS, Klaus
Eichner. Hier seine Antworten:
1. Welchen Zusammenhang seht Ihr
zwischen den dem MfS offiziell übertragenen Aufgaben und Auswüchsen?
Ein solcher Zusammenhang existiert.
Diente die Schaffung des MfS als Teil des Machtapparates der DDR der Abwehr und
Aufklärung der gegen sie gerichtete Angriffe, so wurde ein wesentlicher Teil
der Tätigkeit der Beobachtung und Überprüfung der Bevölkerung gewidmet. Die
Widersprüchlichkeit der Aufgabenstellung des MfS ergab sich besonders auch aus
der Tatsache, unter den Bedingungen der offenen Grenze zu arbeiten. Besonders
nach dem 13.8.1961 entwickelte sich das MfS zu einem unüberschaubaren und
weitverzweigten Machtinstrument. Von ursprünglich übertragenen Aufgaben wurde
mehr und mehr abgerückt. Das MfS wurde zu einem in fast allen Lebensbereichen
der DDR präsenten Apparat. Damit verlor es zunehmend seine Effektivität und
Anerkennung in breiten Kreisen der Bevölkerung, die zweifellos in den
Anfangsjahren der DDR vorhanden war. Aus heutiger Sicht vollzog sich eine
Wandlung des Charakters des MfS von einem anderen Machtbereichen
gleichgestellten Organ zu einem " alles machenden", das sogar
Polizeifunktionen übernahm. Repressive Züge traten in den Vordergrund.
Die Gründe dafür liegen sowohl in
der Krise, in der sich der real existierende Sozialismus befand, als auch in
der Unfähigkeit der SED, geeignete Reformen zur Stabilisierung des Regimes
durchzuführen.
Die "Bunkermentalität" der
Führung des MfS, die ihren Ursprung in den stalinistischen Denkweisen hatte,
Weltfremdheit und Überheblichkeit bei der Ausübung der Macht führten zu den
Auswüchsen, die unter diesen Umständen systemimmanent waren und eine Folge der
Erstarrung des gesamten Systems darstellten.
Auswüchse waren damit vor allem die
Aufgabenstellung der "Parteiführung" an das MfS, aber auch die sich
aus der Eigendynamik ergebenden Erscheinungen innerhalb des MfS.
2. Wie sah das Feindbild, die
Bedrohungslage aus, von der das MfS ausgegangen ist? Gab es - zeitlich gesehen
- Änderungen?
Ein sehr komplexes Thema!
Das Feindbild war voll geprägt durch
die Sicherheitsdoktrin der SED. Die "Entwicklung" des Feindbildes
läßt sich auch am besten aus dem Mechanismus SED - MfS heraus verstehen.
International ging die Doktrin von
einer Verschärfung des Klassenkampfes, bes. im Sinne einer unmittelbaren
militärischen Bedrohung und Forcierung der Rüstung, aus, die verbunden war mit
"politisch-ideologischer Diversion", Aggressivität und zunehmender
Kriegsgefahr. Dazu gab es ja in der Politik der USA, der NATO und der BRD
genügend real vorhandene Komponenten. Das betraf vor allem auch alle Versuche
der BRD, die Existenz der DDR zu beenden. (Die DDR wurde schließlich
tatsächlich beseitigt; allerdings vor allem im Ergebnis der Ineffizienz des
Systems der DDR und auch des MfS!)
Die Politik der Destabilisierung des
sozialistischen Systems war real vorhanden, wurde aber durch die Führungen der
sozialistischen Staaten überbewertet, wobei gleichzeitig alle inneren Faktoren
negiert wurden (Beispiele CSSR 1968, Polen 1980).
Im Inneren wurde das Feindbild
zunehmend auf die eigenen Bürger übertragen, was zur Kriminalisierung aller
politisch Andersdenkenden und Oppositionellen führte. Das schloß die Vermutung
nach "geheimdienstlicher Steuerung" aller realen oder eingebildeten
"Feindaktivitäten" ein.
Am schlimmsten empfinde ich, daß die
SED auch alle innerparteilichen Opponenten (Janka, Havemann, Bahro) durch das
MfS verfolgen ließ.
Allgemein verlagerte die SED
politische Auseinandersetzungen in die Verantwortung des MfS und der
Strafverfolgung, was von der Führung bereitwillig übernommen und ausgeführt
wurde. Die SED entzog sich damit der öffentlich politischen
Auseinandersetzungen, die zur Reformierung des gesamten Systems notwendig
gewesen wären.
Das trifft auch auf die Bearbeitung
der Antragsteller für Ausreisen, oppositionelle Friedensbewegungen, die
Aktivitäten der Kirchen u.a. zu.
3. Ist die verdeckte Arbeit, d.h.
das Ermitteln unter Vortäuschen, nötig oder auch nur erfolgreich? Kann man aus
der Sichtung der Trümmer Empfehlungen geben, was eine revolutionäre Macht
sowieso nicht tun muß, weil es zum Schluß nichts nützt und nur die Leute
aufbringt?
Zweifellos ist die Geschichte der
DDR und auch des MfS vor allem in dieser Hinsicht einmalig!
Ermitteln unter Vortäuschen, auch
als Methode, die bisher überall und in der Welt weit verbreitet angewandt wird
und zur Grundausstattung jedes Geheimdienstes gehört, hat sich insgesamt als
sinn- und nutzlos erwiesen, obwohl sich aus dem Einzelfall vielleicht noch ein
spannender Krimi machen ließe, wie das ja auch noch nach wie vor in der
westlichen Filmwelt gang und gäbe ist.
Grundsätzlich berührt diese Frage
aber das Problem der Übertragung von Generalvollmachten und Kompetenzen für die
Anwendung geheimer Mittel und Methoden an bestimmte Organe, sprich
Geheimdienste. Allein schon diese Tatsache führt in jedem Staatswesen zu einer
Deformation der politischen Beziehungen, der öffentlichen Meinungsbildung, zur
Einschüchterung oppositioneller Kräfte und birgt immer die Gefahr des
politischen Mißbrauchs für die jeweils Herrschenden in sich.
Als politische Vision sollte eine
Gesellschaft so aufgebaut sein, daß in ihr alle politischen Widersprüche auch
nur mit politischen Mitteln und demokratisch ausgetragen werden. Zwangsmittel
sollten nur dann eingesetzt werden, wenn das Gemeinwesen durch bestimmte
Handlungen und Entwicklungen gefährdet ist und diese Wertung von der breiten
Öffentlichkeit mitgetragen wird.
Das trifft auch auf die
internationalen Beziehungen zu. Zwischen den Staaten sollten solche Beziehungen
angestrebt werden, die durch Transparenz der Handlungen und Potentiale, durch
vertrauensbildende Maßnahmen und dem demokratischen Zusammenwirken globaler
Probleme gekennzeichnet sind. Damit würden geheime Aktivitäten zur Beschaffung
interner Informationen anderer Staaten zunehmend überflüssig.
In einer widersprüchlichen und von
krisenhaften Entwicklungen geprägten Welt, in der das Prinzip der Gleichheit
zwischen den Staaten nicht angewandt wird und demokratische Beziehungen nicht
existieren, wird jedoch altes Denken immer wieder neu aufgelegt: Eine
tagespolitische Forderung nach Abschaffung aller Geheimdienste erscheint deshalb
im Moment illusionär. Sie könnte aber Eingang finden in die programmatischen
Diskussionen der Linken, wie eine Gesellschaft nach unseren Vorstellungen
aufgebaut sein sollte.
4. Wo ist die Grenze zwischen
politisch motivierter, aber falscher Aktion und Straftat überschritten im
Handeln der MfS-Organe?
Die gesetzliche Grundlage hatte das
MfS für seine Tätigkeit auf der Basis des Gesetzes über die Bildung des MfS vom
08.02.1950 Das war alles. Nicht gewährleistet war eine Kontrolle durch die
Volkskammer der DDR. Die Sicherheitsdoktrin der SED bestimmte Form und Inhalt
der Tätigkeit. Das ermöglichte die willkürliche Erweiterung und
Inhaltsbestimmung der Tätigkeit des MfS. Die Grenze des Gesetzlichen wurde überschritten,
weil es für viele Handlungen keine gesetzlichen Grundlagen gab. Aus der
Position des "Siegers der Geschichte" ergab sich das jesuitische
Prinzip, daß die revolutionäre Macht und die Notwendigkeit ihres Schutzes auch
die Anwendung aller Mittel heiligt.
Die Grenze wurde zweifellos schon da
überschritten, wo politische Auseinandersetzung durch Anwendung staatlicher
Zwangsmaßnahmen oder den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ersetzt wurde.
5. Glaubt Ihr, daß die Masse von
Erkenntnissen, die beim MfS zusammengelaufen ist, insgesamt größer oder kleiner
war als die Datenmasse, die in der BRD zusammenläuft, wenn man die ganzen
betrieblichen Unterlagen, Zeugnisse usw. mitrechnet? Über wen wurden eigentlich
Unterlagen gesammelt und bei welchen Gelegenheiten (Regelanfrage)?
Es gibt rund 6 Millionen Erfassungen
von Personen in der Zentralkartei des MfS. Das sind noch keine Akten oder
Dossiers.
(Die Erfassung von Personen diente
der Vermeidung von Doppelarbeit, der Sicherung von Personendaten und der Dokumentation
von Verantwortlichkeiten.)
Aufteilung der 6 Millionen
Erfassungen:
- ca. 2 Millionen
Sicherheitsüberprüfungen im weitesten Sinne, sowohl zu Mitarbeitern und
Angehörigen, Angehörige des Wachregiments, Geheimnisträger, Reisekader, d.h.
sogenannte "positive" Bürger der DDR; dazu noch IM-Erfassungen mit
Verwandten.
- ca. 1,5 Millionen Hinweise im
Zusammenhang mit Nazi- und Kriegsverbrechen,
- ca. 2 Millionen Bürger der BRD und
des Auslandes, politische Prominenz, Geheimdienstmitarbeiter, Mitarbeiter in
Schwerpunktobjekten, Kontakte von DDR-Bürgern, d.h. insgesamt eine sehr bunte
Auswahl,
- der "Rest" sind
Personenerfassungen zu den durch das MfS bearbeiteten DDR-Bürgern,
oppositionelle Kreise, aber auch unter Spionageverdacht stehende Personen, mögliche
Gewalttäter u.a.
Bei einem Vergleich mit ähnlichen
Personenerfassungen in der Alt-BRD sind allein im NADIS 1988 ca. 18,5 Millionen
Personen (nach anderen Angaben ca. 10 Millionen) gespeichert. Und das sind in
der BRD noch nicht alle Personenspeicher. Außerdem gibt es die Speicher des
polizeilichen Staatsschutzes INPOL mit Sonderdateien wie SPUDOK, PIOS, APIS,
die sich alle auf politische oder politisch motivierte Sachverhalte beziehen.
6. Welche Sanktionsmöglichkeiten
hatte das MfS? Wie weit kam es zu untergründigen Bestrafungen sozialer und
politischer Art?
Generell hatte das MfS alle im
Rechtssystem der DDR vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten - nach
Strafprozessordnung, Volkspolizeigesetz, Ordnungswidrigkeitengesetz u.a. Bei
Oppositionellen wurde häufig, wenn selbst die extrem ausgestalteten politischen
Strafbestände nicht ausreichten, nach "kriminellen" Handlungen
gesucht, z.B. Verstoß gegen das Devisengesetz oder bei Künstlern angebliche
Vertragsverletzungen.
Im Mechanismus des Zusammenwirkens
von Partei, Massenorganisationen und Staatsapparat konnten verschiedene Formen
untergründiger Bestrafung realisiert werden, z.B. faktische Berufsverbote bei
Antragstellern zur Übersiedlung in die BRD bei Lehrern, Angestellten im
Staatsapparat, Einflußnahmen auf Kulturschaffende. Mit Informationen vom MfS
funktionierte der "Apparat" auch ohne Weisungen seitens des MfS. Aber
auch andere Wirkungen und Reaktionen konnten eintreten, wenn nämlich bei
Ermittlungen des MfS bei offiziellen Stellen bei den Ansprechpartnern die
"Ahnung" aufkam, das zur ermittelten Person "etwas
vorliegen" könnte.
7. Wir haben in der BRD einen
Abwehrkampf gegen das Polizeirecht. Wir sind der Meinung, daß die Normen, die
in diesem Kampf entwickelt werden, auch im Falle einer neuerlichen politischen
Wende in Geltung bleiben müssen. Haltet Ihr das für illusionär? Wir nicht!
Jede Form der Erweiterung der
polizeilichen Befugnisse, insbesondere der Übertragung präventiver Aufgaben und
Ermächtigungen für den Einsatz konspirativer Mittel und Methoden, richtet sich
gegen den politischen Gegner. Das betrifft auch die wohlklingenden Argumente
des Kampfes gegen die organisierte und Gewaltkriminalität.
Der Kampf gegen das Polizeirecht ist
in allen Situationen notwendig, denn eine demokratische Kontrolle der
Geheimdienste und Polizei ist nicht möglich.
8. Eine Frage zur
Selbstaufgabe des Individuums im Gehorsam. Welche Möglichkeit, sich zu wehren,
hat es?
Gehorsam hat etwas zu tun mit
Disziplin und Unterordnung. Im Falle der Mitarbeiter des MfS gab es noch ihre
Verquickung mit dem politisch-ideologischem Faktor. Bei den ehemaligen
Mitarbeitern des MfS bündelten sich Wirkungen aus der bewußten Parteidisziplin
(bewußte Unterordnung der persönlichen Interessen unter gesellschaftliche) mit
den Zwängen aus der militärischen Unterordnung (Befehle und Weisungen,
militärische Disziplin), die angeblich auch gesellschaftliche Interessen
widerspiegelten.
Bei der Mehrzahl der Mitarbeiter
handelte es sich um gut ausgebildete und qualifizierte Menschen. Wir waren
keine Marionetten. Jeder hatte unter den gegebenen Bedingungen seine
Individualität und ordnete diese in das existierende militärische Gefüge ein.
So gab es an der Basis ein lebhafte und kritische Diskussionen, in denen viele
drängende Fragen gestellt wurden und auch Zweifel aufkamen. Aber das gesamte
System der organisierten Parteiarbeit kappte alle Spitzen und mögliche
Wirkungen nach oben durch die Art des Informationsflusses, die Auswahl und
Bevorzugung der Kader in der Nomenklatura usw.
Zivilcourage zur Artikulierung von
Zweifeln, Formulierung von Forderungen o.ä. war da schwer aufzubringen.
Hinzukam, daß die Mehrheit an die Gerechtigkeit des Systems und noch bis
zuletzt
an eine Art Selbstreinigung und
biologische Lösungen glaubte. Zivilcourage, Auflehung oder gar Widerstand wären
mit sehr unterschiedlichen persönlichen Konsequenzen verbunden gewesen. Das
Mindeste wäre noch eine Entlassung aus dem MfS wegen Untauglichkeit gewesen.
Widerstand hätte auch eine
Orientierung an einer Alternative gebraucht. Und eine solche war nicht
erkennbar, bzw. die folgerichtig realisierte Alternative BRD wurde von uns
nicht gewollt, aber logischerweise als Konsequenz eines möglichen Widerstandes
gesehen, was in unseren Augen Verrat an der politischen Überzeugung und am
Status als Offizier gewesen wäre.
9. Wie kann der Dämonisierung des
MfS begegnet werden? Das Bündnis 90 will "Täter-Opfer-Gespräche" und
ein Tribunal in Gestalt des "Leipziger Forums". Seht Ihr eine
Möglichkeit der öffentlichen Aufarbeitung und Verständigung über die
Konsequenzen im politischen Handeln?
Ja, die sehen wir. Einige
Mitarbeiter haben sich im "Insider-Komitee zur Aufarbeitung"
zusammengeschlossen, um gerade eine solche sehr schwierige Aufgabe anzugehen.
Wir sind uns aber bewußt, daß das sehr problematisch ist, weil in einer
Atmosphäre der Vorverurteilung, Hysterie und Skandalsuche das MfS noch eine
Weile zur Ablenkung von anderen gravierenden politischen und sozialen Problem
dienen wird. Wir sind unsererseits zu einem offenen politischen Dialog mit allen
interessierten Kräften bereit, lehnen aber eine undifferenzierte
Vorverurteilung und Kriminalisierung , damit auch jedes einzelnen Mitarbeiters,
ab.
Wir wenden uns auch gegen laufende
Untersuchungsverfahren gegen ehemalige Mitarbeiter der MfS, die auf der Basis
der Gesetze der Alt-BRD laufen und faktisch alte Zustände, d.h. die Existenz
zweier sich feindlich gegenüber stehender Staaten zum Ausgangspunkt nehmen.
Hier wird offensichtlich Rache für ehemals erlittene Niederlagen genommen.
Generell wird das Herangehen an eine
"Aufarbeitung" nie einheitlich sein, weil sie immer vom politischen
Kalkül abhängt.
Der historischen Wahrheit am
nächsten würden wir kommen, wenn alle Beteiligten - die Betroffenen, die IM,
die Mitarbeiter - als gleichberechtigte Partner ihre unterschiedlichen Sichten
darlegen könnten. Dazu würde auch gehören, daß die konkreten historischen
Bedingungen beachtet und voll anerkannt werden und keine einseitigen
Interpretationen zugelassen werden.
10. Es wird sowohl in der ehemaligen
DDR-Opposition als auch unter ehemaligen Mitarbeitern des MfS die Abschaffung
der Geheimdienste diskutiert. Wäre ein solcher Schritt in einem sozialistischem
Lande mit starken inneren Kämpfen und einer mächtigen imperialistischen
Umgebung überhaupt denkbar? Gibt es Vorstellungen, wie die bisherigen Aufgaben
der Geheimdienste in einer demokratieverträglichen Form übernommen werden
können?
Können Staaten wie die USA oder BRD
ohne Geheimdienste auskommen?
Das berührt wieder die Vision einer
zukünftigen Gesellschaft.
Im Moment erscheint die Forderung
nach Auflösung aller Geheimdienste eine illusorische Forderung zu sein. Es ist
uns nicht bekannt, daß in Folge der Veränderungen in der ehemaligen UdSSR oder
nach dem Ende der DDR auch nur ein Mitarbeiter der CIA oder des BND entlassen
worden wäre! Wären die Beziehungen zwischen den Staaten schon so, wie es laut
politischen Erklärungen ausgedrückt wird, wäre die Existenz eines jeden
Geheimdienstes überflüssig. Neues Denken ist in diese Kreise noch nicht
eingezogen!
Die Welt von morgen wird sicher mit
anderen Maßstäben zu messen sein als unsere heutige. Fest steht aber schon
jetzt, daß sie sich nicht mehr mit den alten Mitteln und Methoden der
Konfrontation regieren läßt. Gemeinsames Herangehen, gemeinsames Studium
existierender Probleme und ihre gemeinsame Lösung ist schon heute eine sehr
aktuelle Forderung. Jeder Staat kann und sollte über öffentliche,
wissenschaftliche Institutionen verfügen, die Entwicklungen im globalen
Maßstab, in anderen Ländern studieren und prognostizieren und dabei mit
Institutionen gleicher Art aus anderen Ländern gleichberechtigt
zusammenarbeiten. (Diese Vorstellung hat reale Grundlagen, denn Analysen
einiger Einrichtungen der DDR- und Ostforschung waren mit ihren Einschätzungen
wesentlich näher an der Realität als einschlägige Dokumente des BND).
Wie im Inneren demokratische
Strukturen und Umgangsformen geschaffen werden können, ist schwer zu sagen. Ich
weiß es auch nicht. Zumindest unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht!
Die Vertreter des Verfassungsschutzes
oder der Bundesanwaltschaft sind ja nicht einmal bereit oder in der Lage, die
historisch neue Situation nach dem Anschluß der DDR richtig zu begreifen. Sie
rücken keinen Deut von ihrem bornierten Geheimdienstdenken ab. Das Ende des MfS
ist ihnen noch nicht als historische Warnung eingegangen.
Das Interview erschien in „Politische Berichte“, Zeitung für sozialistische Politik, Nr. 18/1992