Junge Welt

22.07.2006 / Interview / Seite 8

»Lügen werden nicht durch Wiederholen zur Wahrheit«

Ein Gespräch mit Hans Bauer

Hans Bauer ist Vorsitzender der Gesellschaft für rechtliche und humanitäre Unterstützung (GRH), die die Interessen ehemaliger Funktionsträger der DDR vertritt

 

Am Freitag wurden in Berlin-Hohenschönhausen vier Tafeln aufgestellt, um das ehemalige Sperrgelände um das Gefängnis der Staatssicherheit der DDR zu kennzeichnen. Auf Öffentlichkeit wurde verzichtet. Hat der Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, keine Lust auf weitere Auftritte von ehemaligen Mitarbeitern des MfS?

Er hat die Auseinandersetzung gescheut. Nicht nur ehemalige Mitarbeiter des MfS haben gegen die Tafeln, in deren Texten unter anderem nicht zwischen Faschismus und Sozialismus unterschieden wird, protestiert. Der Widerspruch aus der Bevölkerung war Anlaß, halblegale Methoden zu nutzen und die Tafeln unter Ausschluß der Öffentlichkeit aufzustellen. Selbst die Bezirksbürgermeisterin wußte Medienberichten zufolge nichts von dem Termin und hat ihn erst über die Zeitung erfahren. Mit diesem Vorgehen haben sich die Akteure selbst entlarvt. Hier zeigt sich, was sie von Demokratie und der Diskussion um die geschichtliche Wahrheit halten.

 Am Anfang der Auseinandersetzung war das noch anders. Auf öffentlichen Veranstaltungen sollten die Texte für die Tafeln diskutiert und eventuell verändert werden. Warum nun die Eile?

Knabe und Co. können sich selbst ihrer Verbündeten im Rathaus nicht mehr sicher sein. Das Aushebeln der demokratischen Spielregeln ging vielen zu weit. Andersdenkende waren im Rathaus am Schluß de facto von der Diskussion ausgeschlossen und am Sprechen gehindert worden.

Die GRH war nicht grundsätzlich gegen die Tafeln. Wo liegt Ihre Kritik?

Wir wollten uns äußern zu dem sogenannten Sperrgebiet und zu dem Inhalt der Tafeln. Der Inhalt hat nichts mit Geschichtsaufarbeitung und historischer Wahrheit zu tun. Herr Knabe spricht einfach von 40000 in­haftierten Opfern. Daß darunter Nazi- und Kriegsverbrecher, Terroristen und Spione waren, ist für ihn un­erheblich. Der Rummel um die Gedenkstätte kann nur als Hetze und antikommunistische Propaganda begriffen werden. Ihr Inhalt ist so simpel, daß er gegenüber Menschen, die sich wirklich interessieren und damit beschäftigen wollen, leicht zu widerlegen ist. Das muß man tun. Wir haben deshalb immer wieder erklärt, daß wir bereit sind, uns sachlich und sachkundig an der Debatte zu beteiligen - auch selbstkritisch. Eine solche Selbstkritik könnte der Gegenseite auch nicht schaden. Im 50. Jahr des KPD-Verbots in Westdeutschland läßt sich auch die Frage stellen, wo die Gedenktafeln für die politischen Opfer der Adenauer-Justiz sind.

Knabe ist kein Einzeltäter. Hohenschönhausen gehört in eine Reihe von aktuellen Versuchen, die DDR-Realität umzudeuten. Eine neue Welle des Antikommunismus?

Der erste Angriff ist gefahren. Die politischen Verfahren gegen Verantwortliche der DDR und gegen Freunde der DDR in der BRD sind abgeschlossen. Nun geht es darum, und das wurde ja auch öffentlich verkündet, den Alltag der DDR in all seiner angeblichen Grausamkeit darzustellen. In diesem Zusammenhang sehe ich die Auseinandersetzung um die sogenannte Gedenkstätte Hohenschönhausen.

Wie beurteilen Sie die Rolle der Linkspartei.PDS?

Sie ist sehr widersprüchlich. Es gibt Abgeordnete, die derartige Geschichtsklitterung und Fälschung deutlich zurückweisen. Sie stehen für eine sachliche Diskussion auch mit uns, also der GRH und mit Angehörigen des MfS. Dann gibt es welche, die sich haben kleinkriegen lassen und andere, die von vornherein für die Tafeln waren. Es ist wichtig, auch hier die Sachlichkeit zu wahren. Potentiell sind viele der Linkspartei-Abgeordneten in der Bezirksverordnetenversammlung unsere Verbündeten. Sie haben zum Teil Angst. Vom Abgeordnetenhaus und darüber hinaus wurde eine regelrechte Drohkulisse aufgebaut mit Beschimpfungen, Hetze und der Warnung vor dem Verfassungsschutz.

Auch die CRH steht im Visier und soll unter Beobachtung des Verfassungsschutzes gestellt werden. Nehmen Sie die Drohung ernst?

Wir nehmen sie ernst, aber es macht uns keine Angst. Wenn eine andere Meinung ausreichend ist, observiert zu werden, hat das mit dem Grundgesetz nicht mehr viel zu tun. Wir werden also weiter streiten.

Ist das Kapitel mit den Tafeln nun abgeschlossen, oder wird es ein Nachspiel geben?

Das Kapitel kann so nicht abgeschlossen sein. Deshalb werden wir uns weiterhin als Zeitzeugen zu Wort melden. Lügen werden ja nicht durch ständiges Wiederholen oder das Aufstellen von Tafeln zur Wahrheit.

• Interview: Wera Richter

 

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