Wolfgang Schmidt
Berlin, den 28.02.2013
Kommentar
zum schriftlich vorliegenden Urteil des Amtsgerichtes Berlin-Tiergarten vom
18.10.2012
Da meine persönliche
Stellungnahme aus der Verhandlung vom 27.09.2012 als bekannt vorausgesetzt
werden kann, möchte ich im Folgenden ausschließlich zu der in Schriftform
vorliegenden Urteilsbegründung Stellung nehmen.
Zunächst erscheint es
mir aber erforderlich unrichtige bzw. unkorrekte Angaben im Urteil zu
korrigieren.
1.
Angeblich habe ich am 10. März 2011
Johann Burianek als „Banditen“ und „Anführer einer
terroristischen Vereinigung“ bezeichnet. Das ist ein willkürlich gewähltes
Datum. In Wirklichkeit habe ich den umstrittenen Beitrag bereits im November
2005 auf der von mir redigierten Internet-Seite eingestellt und dort im
Wesentlichen unverändert bis zum 27.09.2012 belassen. Übrigens also noch Monate
vor dem zu einer Verurteilung führenden „Offenen Brief“ und auch unabhängig
davon. Auch der Anzeigeerstatter hatte sicherlich
schon Jahre vor seiner Anzeige Kenntnis vom umstrittenen Beitrag.
2.
Entgegen der Anklage der
Staatsanwaltschaft und auch entgegen der Formulierung im Urteil habe ich J. Burianek nicht als „Bandit“ sondern nachweisbar als „KgU-Bandit“ bezeichnet, um den Zusammenhang mit der
„Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“, die als eine skrupellose
Agentenorganisation von Westberlin aus gegen die DDR tätig war, sichtbar zu
machen. Die KgU wird im Urteil noch nicht einmal
erwähnt und die Vorsitzende Richterin umschifft diesen Zusammenhang mit der
kreativen Feststellung, dass sich Burianek
„Sprengstoff besorgt“ habe. Dass er von der KgU damit
ausgerüstet und von ihr beauftragt wurde, Terrorakte in der DDR zu inszenieren,
scheint dem Gericht für die Beurteilung der Rolle und der Handlungen Burianeks also nicht relevant zu sein.
3.
Der erwähnte „Offene Brief“ endete nicht
mit der beschriebenen Frage, sondern mit der Aufforderung: „Informieren Sie
sich unter www.mfs-insider.de“.
Er war als provozierender, neugierig machender Hinweis auf einen dort
eingestellten Artikel mit der Überschrift „Volksverhetzer vom Dienst: Hubertus
Knabe“ gedacht. Erst durch die Negierung dieses Zusammenhanges wurde eine
Verurteilung möglich, da selbst das Berliner Kammergericht diesen Artikel als
von der Meinungsfreiheit gedeckt angesehen hat. Er kann auf der o.g. website auch heute noch aufgerufen werden.
4.
Die Verurteilung führender
Repräsentanten der DDR nach 1990 erfolgte ausschließlich im Zusammenhang mit
ihrer Verantwortung für das Grenzregime der DDR, worauf noch zurückzukommen
sein wird.
Im Urteil wird
behauptet, dass die Rehabilitierung Burianeks ins
Leere laufe, wenn er weiter als Bandit und Terrorist bezeichnet werden dürfe. Normalerweise
wird mit Rehabilitierungen die Ehre Unschuldiger wiederhergestellt. Das trifft
im Fall Burianek nicht zu. Er wurde rehabilitiert,
weil er aus der Sicht des ehemaligen Feindstaates der DDR im falschen Staat,
vom falschen Gericht (angeblich rechtsstaatswidrig) nach einem falschen Gesetz
verurteilt wurde. Das ändert aber
nichts an der Tatsache, dass es sich bei Burianek um
einen überführten Straftäter handelte. Burianek wäre
für vergleichbare Handlungen in jedem Staat der Welt, auch in der BRD vor und
nach 1990 hart bestraft worden. Auch ein auf Büttenpapier in Golddruck
ausgefertigtes Rehabilitationsurteil kann keinen Sprengstoffkoffer und keine
vorbereitete Sprengung unsichtbar machen
oder die möglichen menschenverachtenden Folgen kaschieren, die bei seinem Einsatz
entstanden wären! (Als Anlage habe ich Fotos davon zur Veranschaulichung
beigefügt: der Pappkoffer Burianeks ist zwar nicht so
attraktiv wie die mit Sprengstoff gefüllte blaue Sporttasche, die vor einiger
Zeit im Bonner Hauptbahnhof aufgefunden wurde, war dafür aber voll
funktionstüchtig.)
Bereits die Umdeutung meiner Meinungsäußerung zu
einer fragwürdigen Rehabilitierung, die
den Umgang mit Terrorakten gegen die DDR und die Haltung zum Terrorismus
insgesamt beinhaltet, in einen Angriff auf Persönlichkeitsrechte des
Rehabilitierten ist nur durch eine eigenwillige Rechtsauslegung möglich. Mit
der Negierung des fundamentalen Unterschiedes zwischen der Rehabilitierung
eines Unschuldigen und der lediglich formaljuristischen, politisch motivierten
Rehabilitierung eines überführten Verbrechers ist meines Erachtens die Grenze
zwischen Rechtsprechung und Rabulistik überschritten.
In der
Urteilsbegründung wird ausgeführt, dass es sich bei den Begriffen Bandit und
Terrorist „nicht nur um Begriffe aus dem Strafgesetzbuch sondern auch um
Schimpfwörter im allgemeinen Sprachgebrauch“ handelt. Der Umkehrschluss ist
demnach ebenso gültig: nicht nur Schimpfwörter, sondern auch Begriffe aus dem
Strafgesetzbuch. Bei einer Polemik, in der ein Urteil ausgehend von einem anderen
Urteil kritisiert wird und strafrechtlich relevante Handlungen den Gegenstand
bilden, ist eine Verwendung der Begriffe im Sinne des Strafgesetzbuches
naheliegend und logisch. Die angebliche Verwendung dieser Begriffe als
Schimpfwörter ist eine bloße Unterstellung ohne jeden Beweis.
Die Argumentation, dass
ein berechtigtes Interesse an der wahrheitsgemäßen Darstellung der Geschichte
nicht gegenüber Toten bestehen könne, da diese sich nicht wehren oder in einem
direkten Meinungsaustausch treten könnten, ist hanebüchener Unsinn. Je weiter
geschichtliche Ereignisse zurückliegen, umso mehr der geschichtlichen Akteure
sind längst verstorben. Die Möglichkeit, Burianeks
eigene Äußerungen vor dem Obersten Gericht der DDR nachzuvollziehen, hat sich
das Gericht selbst verbaut, indem es die Verlesung der Protokolle der
Verhandlung des Obersten Gerichtes der DDR nicht zuließ.
Ich hätte die Begriffe
„Bandit“ und „Terrorist“ vermeiden sollen und mich auf die Handlungen Burianeks beschränken müssen, meint die Vorsitzende
Richterin. Jeder Nutzer der von mir gestalteten website
hatte die Möglichkeit sich per Mausklick über jene Handlungen zu informieren,
die das Oberste Gericht der DDR Burianek vorgeworfen
hat, und die übrigens im Urteil des Amtsgerichtes Tiergarten nur beispielhaft
und unvollständig angeführt sind. Wäre also die Schilderung eines geplanten
Sprengstoffanschlages mit einkalkulierten Dutzenden oder Hunderten von Toten im
Unterschied zur Bezeichnung Terrorist angemessen gewesen oder hätte ich eher
die fast poesievolle Darstellung eines Journalisten des „Nordkurier“ vom 09.10.2012
wählen sollen, wonach Burianek für „die militante Phase der KgU“ stehe? Oder handelt es sich um erste Schritte zur
Einführung des Orwell´schen „Neusprech“?
Anzufragen wäre
schließlich, woher die Vorsitzende Richterin über den gegenwärtigen Stand der
Geschichtsforschung zur DDR informiert ist. Schon der gegenüber einer Gewalt-
und Willkürherrschaft weit harmlosere Begriff des „Unrechtsstaates DDR“ ist
unter namhaften Historikern und Politikern, selbst unter ostdeutschen
Ministerpräsidenten nicht unumstritten. Der Versuch, über eine juristische
Aufarbeitung den Nachweis der „Schreckensherrschaft“ in der DDR zu erbringen
ist so kläglich gescheitert, dass weder Bundestag noch Bundesregierung es
wagen, exakte Ergebnisse zu präsentieren, da man diese den „Opfern“ nicht
zumuten könne. Nach einem Bericht der „Märkischen Allgemeine“ vom 10.10.2012
hat Dr. Hubertus Knabe auf einer Veranstaltung am 08.10.2012 geäußert, „ dass
sich aus 100 000 Ermittlungen nach der Wende nur 40 Verurteilungen ergeben
haben, die Gefängnisaufenthalte zur Folge hatten.“ Seiner Auffassung nach seien
Kapitalverbrechen überhaupt nicht verfolgt worden. Meines Wissens hat
allerdings bisher niemand Herrn Knabe aufgefordert, wenigstens eines der seiner
Ansicht nach nicht verfolgten Kapitalverbrechen konkret zu benennen. Gegen die
DDR und speziell gegen das MfS sind selbst die abenteuerlichsten Lügen heute
gesellschaftsfähig. Der bundesdeutschen Justiz kann weder mangelnder
Aufklärungswille noch fehlender Verfolgungseifer bei der Strafverfolgung
ehemaliger Verantwortungsträger der DDR zum Vorwurf gemacht werden. Sie hat
dabei sogar in vielen Fällen rechtsstaatliche Prinzipien und Maßstäbe willentlich
und wissentlich missachtet, insbesondere durch:
·
Mehrfache willkürliche Verlängerung von
Verjährungsfristen
·
Aushebelung der Rückwirkungsverbotes
durch naturrechtliche Konstruktionen
·
Vermengung von bundesdeutschem und
DDR-Recht
·
Zulassung und Anwendung sog. Deals.
Zweifellos war die
Einheit Deutschlands mit Rechtsgewinnen für ehemalige DDR-Bürger verbunden.
Diesen stehen aber – wie Prof. Buchholz nachgewiesen hat - erhebliche
Rechtsverluste gegenüber. Es sollte wenigstens zu denken geben, wenn in Meinungsumfragen
anlässlich des 20. Jahrestages der Einheit 58% der befragten ehemaligen
DDR-Bürger angaben, dass die DDR mehr positive als schlechte Seiten hatte.
Doch auch, wenn alle
diese Argumente nicht zählen, ist das Amtsgericht Tiergarten nicht aus dem
Schneider.
Johann Burianek wurde im Mai 1952 verurteilt. Er ist also nicht
Opfer der DDR schlechthin, sondern Opfer der DDR, wie sie im Mai 1952
existierte.
1952 waren die
furchtbaren Verwüstungen des II. Weltkrieges noch allgegenwärtig. Von vielen
Menschen wurde die Gründung der DDR als Aufbruch in ein neues, besseres
Deutschland verstanden. Die intellektuelle Elite des antifaschistischen
Widerstandes hatte sich mehrheitlich für die DDR entschieden. Nach eigenem
Verständnis war die DDR 1952 ein antifaschistisch-demokratischer Staat und
keine „Arbeiter- und Bauernmacht“, wie die „Diktatur des
Proletariates“ später in der DDR umschrieben wurde. Sie wurde regiert von einem
Mehrparteienbündnis unter Einbeziehung der Gewerkschaften und weiterer
Massenorganisationen. Der Sozialismus war als Staatsziel noch nicht
proklamiert. Der Aufbau der Grundlagen des Sozialismus wurde erst im Juli 1952
auf der II. Parteikonferenz der SED beschlossen. Die DDR-Führung war bereit,
ihre politische Macht in gesamtdeutschen freien Wahlen zur Disposition zu
stellen, wenn dadurch die Spaltung Deutschlands überwunden und die
Remilitarisierung verhindert hätte werden können. Jeder DDR-Bürger konnte die
DDR problemlos und straffrei verlassen. Was bleibt also vom Konstrukt der Gewalt-
und Willkürherrschaft übrig, wenn es Mauer und „Schießbefehl“ gar nicht gegeben
hat? Wonach hätte man 1952 die DDR-Führung anklagen und verurteilen können?
Eine letzte Bemerkung:
Wenn meine
Informationen zutreffen, dann wurden im Land Thüringen öffentliche Ehrungen für
den in der DDR zum Tode verurteilten, hingerichteten und nach 1990
rehabilitierten KgU-Terroristen Gerhard Benkowitz
untersagt. Es wurden und werden also keine Straßen oder Schulen nach ihm
benannt. Benkowitz hatte u.a. geplant, die Sperrmauer der Bleilochtalsperre im
Saaletal im Auftrag der KgU zu sprengen. Den
seinerzeit unterhalb dieser Sperrmauer lebenden Menschen, die den lieben Gott
dafür dankten, dass das MfS Benkowitz rechtzeitig stoppen konnte, wären
sicherlich derartige Ehrungen auch schwer zu vermitteln gewesen.
Angesichts des Handelns
in Thüringen erscheint es mir makaber, wenn ein Gericht im Land Berlin die
zweifelhafte Ehre eines anderen KgU-Terroristen, der
mit Sprengstoff unterwegs war und wie Benkowitz menschenverachtend selbst
Massenmord einkalkulierte, sogar mit strafrechtlichen Sanktionen verteidigt.
Zusammenfassend bleibt festzustellen: Das Urteil des Amtsgerichtes Tiergarten ist eine Zumutung für jegliches Verständnis von Recht und Gesetzlichkeit und von politischen Vorurteilen und Geschichtsblindheit durchsetzt. Es ist ein nach rechtsstaatlichen Maßstäben fragwürdiges, die Freiheit der Meinungsäußerung einschränkendes Urteil und es bleibt zu hoffen, dass es keinen Bestand hat.
Anlage
