Beglaubigte Abschrift
Wappen Berlin
Rechtskräftig seit dem 20.07.2018
Berlin, den 26.07.2018
Landgericht Berlin
Im Namen des Volkes
Geschäftsnummer: (577) 231 Js 2310/1 1 Ns (47/18),
In der Strafsache gegen Wolfgang Schmidt,
wegen der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener
Auf die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichtes Tiergarten vom 27.09.2012 hat die 77. kleine Strafkammer des Landgerichts Berlin aufgrund der Hauptverhandlung vom 12.07.2018
für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 27. September 2012 aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich derer des Revisionsverfahrens und die sich hierauf beziehenden notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe:
(Fassung gemäß § 267 Absatz 5 Satz 2 StPO)
I.
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten mit Urteil vom 27. September 2012 wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer Geldstrafe von 40 Tagessetzen zu je 30,00 EUR verurteilt (§§ 189, 294, 194 Abs. 2 S. 2 SGB). Es hat eine vom Angeklagten auf dessen Website www.mfs-insider.de am 10. März 2011 über den Verstorbenen Johann Burianek getätigte Äußerung, in der jener als „Bandit" und „Anführer einer terroristischen Vereinigung" bezeichnet worden war, als tatbestandsmäßig im Sinne der vorgenannten Vorschriften erachtet. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung hat das Landgericht mit Urteil vom 18. März 2013 - 574 Ns 145/12 - verworfen. Das Kammergericht hat die dagegen gerichtete Revision mit Beschluss vom 18. Juli 2013 - (3) 121 Ss 122/13 (95/13) ebenfalls verworfen. Auf die Verfassungsbeschwerde des Angeklagten hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 24. Januar 2018 - 1 BvR 2465/13 - das Urteil des Landgerichts und den Beschluss des Kammergerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Berufung des Angeklagten, mit der er weiterhin einen Freispruch erstrebt hat, hat nunmehr Erfolg.
II.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 24. Januar 2018 u.a. wie folgt ausgeführt:

„... Das Landgericht sieht den Schwerpunkt der Äußerung des Beschwerdeführers darin, dem Verhalten des verstorbenen B. einen Makel zu verpassen. Damit misst es dem Kontext der Äußerungen kein hinreichendes Gewicht zu.

Das mit der Webseite verfolgte Anliegen des Beschwerdeführers ist eine Kritik an der Bundesrepublik, deren Umgang mit der DDR-Vergangenheit er für einseitig hält. Ausgehend von den Tatvorwürfen, wegen derer der verstorbene B. von dem obersten Gericht der DDR verurteilt wurde, bewertet der Beschwerdeführer die Handlungen des B. als Straftaten und behauptet, die DDR habe ein legitimes Interesse an der Verfolgung dieser Taten gehabt, weshalb man den Verurteilten nicht nachträglich durch die Rehabilitationsentscheidung als Held ehren dürfe. Diese Äußerung zielt in ihrem Schwerpunkt nicht oder jedenfalls nicht nur darauf, den Verstorbenen als Person verächtlich zu machen, sondern auch darauf, einen nach Ansicht des Beschwerdeführers aus politischer Voreingenommenheit doppelbödigen Umgang mit der DDR-Vergangenheit und dem gegen sie gerichteten Widerstand anzuprangern.

Eine solche Meinungsäußerung ist von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich gedeckt. Ob diese Sichtweise sachlich in irgendeiner Weise vertretbar oder sie von vorneherein unberechtigt ist, spielt für den Schutz der Meinungsfreiheit keine Rolle. Daran ändert auch nichts, dass das vom Beschwerdeführer in Bezug genommene Urteil, wie das Landgericht darlegt, grob rechtsstaatswidrig und unangemessen hart war und der Beschwerdeführer die deswegen ausgesprochene Rehabilitierung des verstorbenen B. in Frage stellt. Der Beschwerdeführer ist in Anerkennung seiner Meinungsfreiheit nicht verpflichtet, die Richtigkeit dieser Rehabilitierungsmaßnahme anzuerkennen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist er auch nicht verpflichtet, die Handlungen des verstorbenen B. unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, dass in ihnen ein Beitrag zum Widerstand gegen die DDR-Diktatur lag Der Beschwerdeführer kritisiert die Rehabilitierung des B.: weil gegen diesen Vorwürfe erhoben worden waren wie die Planung von Brandsatz- und Sprengstoffanschlägen. Dass der Beschwerdeführer davon ausgehen musste, dass diese Vorwürfe von vorneherein unwahr oder unberechtigt waren, legt weder das Landgericht dar, noch ist dies sonst ersichtlich.

Die auf den Umgang mit der DDR-Vergangenheit zielende Kritik ist bei der Beurteilung des Gewichts der Ehrbeeinträchtigung des Verstorbenen maßgeblich in Rechnung zu stellen. Dabei zielt der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf den Schutz eines fortwirkenden Geltungsanspruchs der Person, nicht aber auf eine ausgewogene politische Bewertung historischer Handlungen als solcher. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Herabsetzung nach 60 Jahren Herrn B. im Wesentlichen nur noch als historische Figur betrifft. Wieweit das postmortale allgemeine Persönlichkeitsrecht unter diesen Umständen eine Auseinandersetzung mit den genaueren Motiven und Umständen der Tat, wie hier dem Ziel des Verstorbenen, für eine freie Gesellschaftsordnung zu kämpfen, erforderlich macht, haben die Fachgerichte nicht näher erwogen und in ihrer Abwägung nicht berücksichtigt. Dass der Verstorbene in erheblichem Umfang noch als individualisierte Person in der Öffentlichkeit oder durch ihn persönlich verbundene Angehörige und Freunde präsent ist und daraus noch einen besonders gewichtigen personalisierten Geltungsanspruch ableiten kann, ergibt sich aus dem landgerichtlichen Urteil nicht.

Indem das Landgericht den politischen Kontext bei der Deutung der Äußerungen nicht hinreichend berücksichtigt und das entgegenstehende Gewicht des Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen unzutreffend gewichtet hat, genügt die Entscheidung den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht. ..."

Unter Zugrundelegung dieser Vorgabe und da Feststellungen dazu, dass der Verstorbene durch ihn und persönlich verbundene Angehörige und Freunde noch präsent ist, nicht möglich waren, weil solche Angehörige oder Freunde nicht ermittelbar waren, war der Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 467 Absatz 1 StPO
Richterin am Landgericht
Für die Richtigkeit der Abschrift Berlin, 26.07.2018
Siegel
Durch maschinelle Bearbeitung beglaubigt - ohne Unterschrift gültig.
Anmerkung: aus Datenschutzgründen geringfügig gekürzt.