junge welt vom
08.08.2003
Umgang mit
Rosenholz-Kartei: Wird politische Justiz fortgesetzt?
Interview: Harald Neuber
jW sprach mit Hans Modrow, Ehrenvorsitzender
der PDS und Europaabgeordneter
F: Das "Neue Deutschland" hat einen
Brief von Ihnen an den Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse veröffentlicht,
in dem vor dem Mißbrauch der sogenannten Rosenholz-Daten gewarnt wird. Weshalb
besteht diese Gefahr?
Die Akten sind in Form
eines Piratenaktes und gewiß auch durch Verrat in die Hände des amerikanischen
Geheimdienstes gekommen. Dort wurden die Datenbestände selektiert und an die
Bundesrepublik zurückgegeben. Ich bin der Auffassung, dass mit diesen
Datensätzen eine neue "Hexenjagd" begonnen werden soll. Marianne
Birthler, die "Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen" hat
bereits entsprechende Äußerungen gemacht. Eine solche Situation lag nie im
Interesse derer, die mit mir im Herbst 1989 darin übereinstimmten, dass diese
Akten vernichtet gehören.
F: Die Vernichtung der
Akten war damals Konsens ...und zwar aller Vertreter des Runden Tisches und
auch anderen demokratischer Kräfte.
F: Die Birthler-Behörde
fördert nun politische Justiz und stellt sich damit rechtsstaatlichen
Prinzipien entgegen?
Wie der Umgang mit dem
Vorsitzenden der PDS, Lothar Bisky, zeigt, liegt genau das im Interesse dieser
Behörde. Eben deshalb muß man ein solches Vorgehen mit aller Entschiedenheit
ablehnen. Nicht, weil es um Lothar Bisky geht, sondern weil es um eine grundsätzliche
juristische Frage geht, die viele Tausende betreffen könnte.
F: Ist gegen diese
politische Justiz nicht auch juristisch vorzugehen?
Die Gesetzgebung der
Bundesrepublik deckt dieses Vorgehen leider.
F: Und auf europäischer
Ebene?
Diese Frage wird zu
prüfen sein, wenn es die Praxis fordert. Das Bundesverfassungsgericht hat
Bürger der DDR von einer Verfolgung bereits freigesprochen. Bundesbürger und
Angehörige von Drittstaaten wurden und werden weiter verfolgt. Dagegen muß man
mit Entschiedenheit auftreten.
F: Als
Europaabgeordneter sind Sie ständig mit europäischen Politikern in Kontakt.
Wird die Strafverfolgung von DDR-Hoheitsträgern und von Aufklärungsmitarbeitern
im EU-Ausland anders
bewertet als in Deutschland?
In osteuropäischen
Ländern, viele von ihnen EU-Anwärter, hat es nie eine vergleichbare
Strafverfolgung gegeben. Dadurch wird die unterschiedliche Sicht auf die
Vorgänge ersichtlich. Über die Rosenholz-Daten habe ich wiederholt mit
Politikern der ehemaligen Sowjetunion gesprochen, unter anderem auch mit Herrn
Primakow. Sie lehnen solch ein Vorgehen mit Entschiedenheit ab. Was die
westlichen Staaten betrifft, sind die Dinge komplexer. Offiziell will niemand
die Praxis der Bundesrepublik Deutschland kritisieren. Linke Kräfte, wie in
meiner Fraktion im Europaparlament, unterstützen die Kriitik hingegen uneingeschränkt.
F: Was erwarten Sie nun
von Wolfgang Thierse?
Ich hoffe, daß er dem
Problem mit großen Ernst und dem Bewußtsein der Worte begegnet, die Willy
Brandt bei der Konstituierung des Bundestages im Dezember 1989 sagte: "Es
möge zusammenwachsen, was zusammengehört." Damit sind nicht die
Geheimdienste gemeint, sondern die Menschen, die in beiden Staaten gelebt haben
und die nur in Versöhnung und gegenseitiger Achtung auch ein vereinigtes
Deutschland gestalten
können.