Auszug aus dem Sachbuch "Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS"(Band 1, Seite 614 - 617, Verlag "edition ost" Berlin, 3. Auflage 2003)
Unter den zahllosen Verleumdungen des MfS ist die
Behauptung, das MfS habe Rechtsextremismus geduldet und diesen sogar gegen
»Oppositionelle« eingesetzt, besonders infam.46 In der gleichen Richtung sollen
Versuche wirken, die DDR-Verhältnisse für die heutigen Erscheinungen des
Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern als Hauptursache zu benennen.
Solange das MfS existierte, haben seine Mitarbeiter, zu
deren Grundüberzeugungen der Antifaschismus gehörte, mit aller Konsequenz
neonazistische Erscheinungen und Tendenzen aufgeklärt und bekämpft. Dazu
gehörten faschistische oder antisemitische Vorkommnisse der anonymen und
pseudonymen Feindtätigkeit (Hetzlosungen, Hetzflugblätter, Hetz- und Drohbriefe
dieses Inhaltes, das Anschmieren faschistischer und antisemitischer Symbole,
Schändung von Friedhöfen)47, das Auftreten entsprechender Täter in der
Öffentlichkeit (Zeigen des Hitlergrußes, Absingen des Deutschland-Liedes,
mündliche faschistische Äußerungen), die Unterbindung von Einschleusung und
Verbreitung faschistischer Literatur und schließlich, ab Mitte der 80er Jahre,
auch die Bekämpfung der sich entwickelnden Skinhead-Szene. Das MfS handelte
hierbei gemeinsam mit der Deutschen Volkspolizei und den anderen staatlichen
und gesellschaftlichen Kräften der DDR.
Unbestreitbar ist, daß die
Skinheads der DDR westdeutsche Vorbilder nachahmten, daß
die prägenden ideologischen Auffassungen wie das Outfit (Springerstiefel, Baseballschläger
und Bomberjacken) aus dem Westen kamen. Die Nähe zu Westberlin hatte sicher
etwas damit zu tun, daß 1988/89 etwa 400 der
insgesamt rund 1.000 Skinheads in der DDR in ihrer Hauptstadt konzentriert waren.
Hier gab es direkte Kontakte zu Skinheads in Westberlin. Die geistige Heimat
der Skinheads war immer die Alt-BRD, niemals die DDR.
Unbestreitbar ist ebenso, daß
bestimmte Ursachen und Bedingungen für das Abgleiten von Jugendlichen in die
Skinheadszene in der DDR lagen: Versäumnisse und Fehler im Prozeß
der Bildung und Erziehung, als Folge zerrütteter Elternhäuser, als ein Ausdruck
jugendlichen Protestverhaltens, das sich provozierend auf die für die DDR
schmerzhafteste Stelle – ihren
antifaschistischen Grundkonsens – richtete, negative
Einflüsse im Freizeitbereich, Opportunismus der Eltern etc.
Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der
Skinhead-Szene fand vorwiegend auf örtlicher Ebene und in Betrieben statt. Die
Kreisleitungen der FDJ waren vom MfS über Skinheads regelmäßig informiert
worden und bemühten sich um eine politische Einflußnahme.
Wie andere unliebsame Erscheinungen wurde auch das Problem der Skinheads von
der SED-Führung
weitgehend verdrängt und an die Sicherheitsorgane delegiert.
Der Überfall einer alkoholisierten Gruppe von West- und
Ostberliner Skinheads auf ein Punk-Konzert in der Zionskirche
am 17. Oktober 1987 wurde als angeblicher Beleg für die abenteuerliche
Behauptung herangezogen, das MfS habe im »Kampf gegen die Opposition« mit den
Skinheads gemeinsame Sache gemacht. Der Grund: Eine in der Nähe befindliche Besatzung
eines VP-Funkstreifenwagens hatte nicht eingegriffen, sondern lediglich
Verstärkung angefordert. Die Polizisten waren sich unsicher, wie
sie sich bei Tätlichkeiten in einer Kirche verhalten
sollten. Als die Verstärkung eintraf, waren die Täter bereits geflüchtet. Die
beteiligten Ostberliner Skinheads wurden später durch das MfS und die DVP
ermittelt und gerichtlich abgeurteilt.
Mittlerweile hat auch die Gauck-Behörde eingeräumt, daß keinerlei Hinweise auf eine Beteiligung des MfS an
diesem Vorkommnis vorliegen.48
Allein ihr Aussehen reichte nicht aus, um strafprozessuale
Maßnahmen gegen Skinheads einzuleiten. Auch solange sie friedlich
zusammenkamen, war das kein Grund, gegen sie vorzugehen. Bei den geringsten
Verstößen gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit schritten jedoch MfS und
DVP sofort konsequent ein. Diese Maßnahmen wurden nach dem Vorkommnis in der Zionskirche verstärkt.
Zwischen dem 1. Oktober 1987 und dem 20. Januar 1988 wurden
durch das MfS und die DVP 40 Ermittlungsverfahren gegen 108 Skinheads, darunter
94 verbunden mit Untersuchungshaft eingeleitet.49
Über lose Gruppierungen und anlaßbezogene
Ansammlungen von Skinheads (etwa bei Fußballspielen) hinausgehende
Organisationsstrukturen oder gar neofaschistische Parteien und Organisationen
waren in der DDR nicht existent.
Auch für das Vorhandensein einer »rechtsextrem orientierten
Bewegung«50 lagen reale und nachprüfbare Anhaltspunkte niemals vor. Derartiges
wäre bereits im Ansatz seiner Entstehung rigoros unterbunden worden. Das ist
auch überlieferten Weisungen des MfS zu entnehmen. Der Stellvertreter des
Ministers, Rudi Mittig, wies in einem Schreiben am 7. Juli 1986 an: »Gruppen
mit faschistischen Tendenzen, faschistische Verhaltensweisen sind durch den
Einsatz aller operativen, rechtlichen und gesellschaftlichen Mittel aufzulösen
und in ihrer Wirkung zu verhindern.«51
In einem Schreiben aus dem Jahre 1988 übermittelte er den Stellvertretern
Operativ aller Bezirksverwaltungen eine Einschätzung der Hauptabteilung XX
ȟber in der DDR existierende Jugendliche, die sich mit neofaschistischer
Gesinnung öffentlich kriminell und rowdyhaft
verhalten, sowie Schlußfolgerungen zu ihrer weiteren
rigorosen Zurückdrängung und zur Verhinderung von derartigen Jugendlichen
ausgehender Gefährdungen der Sicherheit und Ordnung«.52 Angefügt waren
detaillierte und umfangreiche Aufgabenstellungen.
Nach der »Wende« bot sich ein völlig anderes Bild. Wurden im
Oktober 1988 in der DDR 1.087 »Skinheads« einschließlich »Faschos«
und »Hooligans« registriert, so wurde die Zahl der militanten Rechtsextremen in
den neuen Bundesländern Anfang 1993 bereits auf 3.800 geschätzt.53
Der Koordinator der BRD-Geheimdienste, Uhrlau,
bestätigte anläßlich einer öffentlichen Veranstaltung
der Gauck-Behörde am 15. Januar 2000, daß sich der
Verfassungsschutz der BRD 1990/91 darauf einstellen mußte,
daß rechtsextreme Organisationen der BRD und deren
Vertreter – er nannte hierzu den zwischenzeitlich verstorbenen Neonazi Kühnen –
nach Osten ausschwärmten, um dort Anhänger zu rekrutieren.
Noch präzisere Angaben zu diesem Thema wurden vom
»Deutschlandradio« 1998 publiziert.54 Der Sender berichtete, daß ab Mitte Dezember 1989 die »Republikaner«, ab Januar
1990 die »FAP«, »Wiking-Jugend« und die NPD in Leipzig
ihr Propagandamaterial verbreiteten, daß 1990 der »zweite
Parteitag« der »Deutschen Alternative« (DA) des Neonazis Kühnen in der Nähe von
Cottbus stattfand, die aus DDR-Haft 1988 in die BRD entlassenen Frank und Peter
Hübner den Brandenburger Landesverband der DA aufbauten, Vertreter der »Nationalen
Offensive« aus der BRD Organisationsstrukturen in Dresden
schufen und Neonazis aus der BRD – unter ihnen der bekannte
Hamburger Neonazi Christian Worch – den in der Weitling-Straße in Berlin-Lichtenberg entstandenen
Konzentrationspunkt von Neonazis frequentierten.
Inzwischen wäre ein umfangreicher Dokumentenband notwendig,
um die von den alten Bundesländern und Westberlin ausgehende Organisierung, Finanzierung
und Steuerung der rechten Szene in den neuen Bundesländern zu beschreiben. Die
Gauck-Behörde kam 1996 nicht umhin festzustellen: »Zum Handlungsrepertoire der
Rechtsextremisten in der DDR gehörte
die Gewalt, noch nicht aber – nach der derzeit bekannten
Aktenlage – menschengefährdende Brandstiftung,
Totschlag oder Mord … Außer bei den Fußballspielen gab es kaum formalisierte
Strukturen … Eine wichtige Rolle … scheinen auch Verbindungen in die
Bundesrepublik gespielt zu haben … als persönliche Kontakte zu ehemaligen
›Kameraden‹, die übergesiedelt waren. … Auf dieser Schiene wurde … auch die
›höhere Organisationskultur‹ des Neonazismus in der alten Bundesrepublik in den
Osten transportiert.«55
Nicht unerwähnt bleiben soll, daß
auch der Verfassungsschutz nach dem Grad der Organisation und ideologischen
Einbindung in den Rechtsextremismus deutliche Unterschiede zwischen Skinheads,
die zwar durch besondere Aggressivität und Gewaltbereitschaft charakterisiert
sind, ansonsten aber eher ein diffuses und spontan reagierendes Potential
darstellen, und den Mitgliedern rechtsextremer Organisationen56 sieht und diese
gesondert ausweist.
46 Vgl. Wolfgang Schmidt:
Neofaschismus vom MfS geduldet? Infam! sowie: Die Untätigen waren sehr aktiv.
In: Neues Deutschland, 6. und 20. März 1998.
47 Nach einer Analyse der HA
XX/2 wurden z. B. 1978 und 1979 insgesamt 188 Fälle von »schriftlicher
staatsfeindlicher Hetze mit faschistischem Charakter«, darunter auch mehrfach die
Beschmutzung sowjetischer Ehrenmale festgestellt. (Vgl.: Walter Süß: Zur
Wahrnehmung und Interpretation des Rechtsextremismus in der DDR durch das MfS, a.a.O., S. 17 f.).
48 Ebenda, S. 18.
49 Ebenda, S. 26.
50 Ebenda, S. 44.
51 Ebenda, S. 71.
52 Ebenda, S. 87-96.
53 Ebenda, S. 43 f.
54 Zeitfragen. In: DeutschlandRadio, 5. Juli 1998, 15 Uhr.
55 Walter Süß: Zur
Wahrnehmung und Interpretation des Rechtsextremismus in der DDR durch das MfS,
a.a.O. S. 44 f.
56 Vgl. Berliner Verfassungsschutzberichte für 1998 und 1999, veröffentlicht im INTERNET.
(Anmerkung: Bei diesem Auszug - veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Verlages - handelt es sich um einen Teil des Beitrages von Wolfgang Schmidt "Zur Sicherung der politischen Grundlagen der DDR")