Interview des MfS-Experten für Nazi- und
Kriegsverbrechen Dieter Skiba am 27.04.2004 mit
Journalisten des NDR
NDR: Wann sind Sie Mitarbeiter des MfS geworden?
Skiba: Meine 32–jährige Dienstzeit im
Ministerium für Staatssicherheit der DDR begann ich im Jahre 1958 als
operativer Mitarbeiter in der Kreisdienststelle Oranienburg. Zunächst war ich –
wohl auch wegen meines abgeschlossenen Fachschulstudiums als Agronom – auf dem
Gebiet Sicherung der Volkswirtschaft / Bereich Landwirtschaft eingesetzt und
befasste mich vorwiegend mit der Organisation vorbeugender Arbeit zur Abwehr
von Bränden , Havarien , Viehvergiftungen u. ä. Vorkommnissen. Im Kreis Oranienburg , einem
Grenzkreis zu Westberlin , gab es Ende der 50er / Anfang der 60er Jahre eine
Vielzahl solcher Delikte , bei denen der oder die Täter nicht selten aus „Agentenzentralen
der Frontstadt Westberlin“ kamen oder von dort inspiriert waren.
Seit etwa Mitte der 60er Jahre
war ich dann mit Fragen der Auswertung und Information befasst. Das führte
zwangsläufig auch dazu, dass ich mich mit der Vergangenheit vor 1945 auseinander
zu setzen und Informationen dazu zu verarbeiten hatte. Lag doch das ehemalige
faschistische ZK Sachsenhausen unmittelbar quasi vor unserer Haustür und es gab
nicht wenige ehemalige Nazis sowie jede Menge Rückverbindungen geflüchteter
SS-Verbrecher zu Bekannten und Verwandten im Kreisgebiet.
Im Jahre 1968 wurde ich dann in
die Hauptabteilung IX / 11 versetzt.
Diese der Hauptabteilung
Untersuchung des MfS (HA IX ) zugeordnete spezifische Diensteinheit
(Abteilung 11) war mit einem Befehl des Ministers für Staatssicherheit (
Befehl 39 / 67 ) gebildet worden mit der vorrangigen Aufgabenstellung , durch
systematische Auswertung von im In- und Ausland zugänglichen Archivmaterialien
sowie durch Ermittlungen und Recherchen Beweismittel zu sichern , die geeignet waren , ehemalige aktive und exponierte
Nazis – vor allem solche , die in der Alt-BRD wieder
zu Amt und Würden gelangt waren – zu entlarven sowie beizutragen zur
völkerrechtlich gebotenen Aufklärung von faschistischen Kriegsverbrechen/
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und zur strafrechtlichen Verfolgung daran
beteiligter Täter.
Die HA IX/11 war zunächst aus
Mitarbeitern gebildet worden, die bereits in der Hauptabteilung Untersuchung
tätig gewesen sind. Oberstleutnant, später Oberst Stolze war mit dem Aufbau und
mit der Leitung beauftragt worden und hatte auch die ganzen
Vorbereitungsmaßnahmen realisiert. Bereits in den Anfängen stellte sich jedoch
heraus, dass über das bis dahin praktizierte Vorgehen bei der Sichtung von
Akten als „Einzelfallaktion“ und der Aufbreitung von Archivgut für
Beweisführungsmaßnahmen hinaus weitere nur im Komplex zu bewältigende Aufgaben
anstanden.
Deshalb wurde der Personalbestand
wesentlich erweitert auf etwa 50 Mitarbeiter. Er schwankte immer ein bisschen
hin und her, je nachdem, wie die Gliederung und Aufgabenstellung der Referate
und die Entwicklung der Lage war.
Es gab eine ganze Reihe von
Mitarbeitern, die wie ich selbst aus den Diensteinheiten der Kreise und Bezirke
zur HA IX/1 1 gekommen waren.
In der HA IX/11 war ich zuerst Hauptsachbearbeiter im Referat
Auswertung, also im Referat 3. Später wurde ich dessen Referatsleiter und danach
Stellvertretender Abteilungsleiter für die Aufgabengebiete Archivgutverwaltung
und Auswertung, Beschaffung von Archivmaterial, Kartei, Auskunftserteilung und
Nachweisführung. Von 1988 bis zur
Auflösung der HA IX/11 und der Übergabe des gesamten Archivbestandes in den
staatlichen Archivfonds der DDR am 28.2.1990, war ich deren letzter Leiter.
Oberst Stolze als langjähriger Leiter der HA IX/11 war zwischenzeitlich in
Rente gegangen. Mit dem Abschluß eines
Hochschulstudiums wurde ich diplomierter Jurist und habe mich später in
postgradualem Studium noch mit Geschichte, speziell mit Archivwissenschaften
befasst.
NDR: 1980 haben Sie Ihre Erkenntnisse, die Sie in der IX/11 gesammelt haben,
MfS-intern öffentlich gemacht. Sie gehen in ihrer Untersuchung unter anderem
auf zwei große Kampagnen ein, die für die Bundesrepublik von Bedeutung waren.
Das war zum einen die „Nazi-Kamarilla‘ und zum anderen die
„Blutrichterkampagne“. Von wem stammte die Bezeichnung ‚Nazi Kamarilla“?
Skiba:
In meiner Diplomarbeit habe ich mich mit dem Beitrag des MfS zur
Auseinandersetzung mit dem Erbe aus der Zeit des Faschismus und speziell mit
der strafrechtlichen Verfolgung von Nazi-Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen
die Menschlichkeit beschäftigt und dabei auch zu verschiedenen Aktionen der DDR
und des MfS gegen in der BRD unbehelligte ehemalige Naziaktivisten Stellung
genommen. Dazu gehörte auch die von Ihnen genannte Aktion „Nazikamarilla“.
Auf diese Diplomarbeit wurde
bereits mehrfach, auch durch Mitarbeiter der BStU-Behörde,
in verschiedenen Veröffentlichungen Bezug genommen – manchmal sachlich korrekt,
mitunter aber auch in anderer, heute üblicher An- und Absicht beim Umgang mit
Geschichte der DDR und des MfS.
Im Ministerium für
Staatssicherheit gab es meines Wissens für jede Aktion Aktionsnamen, Decknamen oder
bestimmte Bezeichnungen. Ob der Begriff „Nazi-Kamarilla“ MfS intern war oder
möglicherweise aus der Parteiführung kam, das weiß ich nicht. Soweit ich das
überblicken kann, wurden für solch Aktionen und Maßnahmen immer treffende Namen gesucht und
„Nazi-Kamarilla“ ist doch wohl ein zutreffender Begriff für den Personenkreis,
gegen den sich diese Aktion richtete – führende Altnazis in hohen und höchsten
Ämtern der Bonner Republik.
Damals –Ende der 50er/Anfang der
60er Jahre – existierte die HA IX/11 noch nicht. Zuständig für solche Aktionen und deren
Koordinierung innerhalb des MfS war seinerzeit die Abteilung Agitation, die
später in die ZAIG des MfS integriert wurde. Meines Wissens hielt die Abteilung
Agitation seinerzeit auch die direkten Verbindung
zum Nationalrat der Nationalen Front und zum ZK der SED. Von dort aus erfolgte
die Steuerung solcher Kampagnen und Maßnahmen gegen noch oder wieder aktive Nazi-Eliten. Dazu
gehörten u.a. Pressekonferenzen und anderweitige
Präsentationen von Dokumenten und Beweisen vor allem aus Archivmaterialien – auch aus den
Beständen des MfS, die später von der HA IX/11 verwaltet wurden. Dafür
geeignete Materialien aus dem MfS sind dem Nationalrat oder dem ZK zugeleitet
und dort für die Publikation weiter aufbereitet worden. Solche Kampagnen waren
keine MfS interne Aufgabe, sondern für die DDR eine politisch bedeutsame gesamtstaatliche
Angelegenheit, bei der verschiedene staatliche Organe, Institutionen und
Einrichtungen ( auch Presse, Rundfunk und Fernsehen ) mitwirkten. Derjenige,
der den Hut aufhatte, war der Nationalrat der Nationalen Front oder das ZK der
SED. Das MfS war zu der damaligen Zeit in solche Aktionen immer nur
eingebunden.
NDR: Welche
MfS-Abteilung war es speziell?
Skiba:
Wie bereits dargelegt, war die Abteilung
Agitation diejenige Diensteinheit innerhalb des MfS, die zentral Materialien für die Öffentlichkeitsarbeit auf-
und ausgearbeitet und auch weitergegeben hat. Sie war im MfS die
Koordinierungsstelle für alles, was mit Öffentlichkeitsarbeit zu tun hatte. Sie
war offizieller Ansprechpartner auch für
den Nationalrat der Nationalen Front bzw. das Büro Albert Norden. Von dort
kamen Aufträge, dorthin gingen Informationen. Es war mit Sicherheit nicht so, daß die „Staatsicherheit“ diese Aktionen initiiert oder
federführend durchgeführt hätte.
Mir ist beispielsweise bekannt,
dass Mitarbeiter aus dem Büro Norden ( u.a. Norbert Podewin , unter
dessen Mitwirkung das „Braunbuch “ vom Verlag Edition Ost im Jahre 2002 als Reprint neu auf den Markt gebracht wurde ) auch selbst in die Archive nach Polen und in
die Sowjetunion gefahren sind , dort recherchiert und von da Materialien
zusammengeholt haben . Das hat nicht alles die „Staatssicherheit“ gemacht,
obwohl dazu ein nicht zu überschätzender Beitrag geleistet worden ist. Das MfS
hat zugearbeitet, aber die Regie lief unter Führung der Partei.
Die damaligen propagandistischen
Aktionen und Maßnahmen resultierten aus dem antifaschistisch determinierten politischen
Selbstverständnis der DDR. Sie
verstanden sich als ein Beitrag aus völkerrechtlicher Verpflichtung und
nationaler Verantwortung im Kampf gegen die Renazifizierung
der BRD und die dortigen Bestrebungen, selbst schwerste Nazi- und
Kriegsverbrechen / Verbrechen gegen die Menschlichkeit entgegen dem geltenden
Völkerrecht nach innerstaatlichem Recht verjähren zu lassen. Dominierten doch in
der BRD von Anfang an Antikommunismus und damit einhergehend Verniedlichung,
Leugnung und Abwiegelung historischer Schuld bis hin zu Mythen das
offizielle Geschichtsbild über den
deutschen Faschismus. An der Vergangenheit wird um der Gegenwart und Zukunft willen
immer noch bzw. heute sogar mehr als früher herum gebogen und gelogen, was das
Zeug hält. Ich erinnere hier nur an die unsägliche These von den zwei
Diktaturen in Deutschland und die Gleichsetzung des faschistischen
Terror-Regimes ( verniedlichend, aber absichtsvoll „Nationalsozialismus“
genannt ) mit der DDR (denunzierend als „SED-Unrechts-Regime“ deklariert).
Zugleich aber sollte mit solchen
Aktionen seitens der DDR damals auch
demonstriert werden: Hier im Osten ist
der antifaschistische deutsche Staat und dort im Westen ist es der
Rechtsnachfolger des faschistischen Deutschlands — juristisch ( wie sie sich selbst betrachteten
), aber auch in personeller Kontinuität, wie zu beweisen war und bewiesen wurde.
NDR: 1968 ist die lX/11 gegründet worden...
Skiba:
Über das genaue Gründungsdatum der HA IX /11 gibt es unterschiedliche
Auffassungen. Als offizielle Struktureinheit des MfS ist sie durch den Ministerbefehl 39/67 gegründet
worden. Unterzeichnet wurde dieser Befehl aus dem Jahre 1967 aber erst Anfang 1968. Die Arbeit begann aber schon, wie bereits
oben dargelegt, 1964/65 bzw. noch früher, aber gewissermaßen auf Sparflamme.
Die eigentliche Arbeit nach Strukturplan begann tatsächlich 1968.
NDR: Wer hat die Arbeit da gemacht?
Skiba:
Ich sagte es schon: Die Aufbereitung und Nutzbarmachung von Archivmaterialien
für das offensive Vorgehen gegen Nazis in der BRD lag vor Existenz der HA IX/11
zumeist in den Händen der Abteilung Agitation in Zusammenarbeit mit weiteren
Diensteinheiten, insbesondere dem Zentralarchiv des MfS, der HVA und anderen. Im Zentralarchiv (bei
der Abteilung XII) wurden bis zur Bildung der HA IX/11 die Archivmaterialien aus der und über die
Zeit des Faschismus registriert,
archiviert und teilweise auch ausgewertet. Dabei waren oftmals auch operativ
relevante Archivmaterialien, z.B. für Beweisführungszwecke zur strafrechtlichen
Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechern oder auch zu allgemein bekannten
Nazi-Größen in der BRD festgestellt worden. Wenn damit befasste Mitarbeiter eine solche Relevanz erkannten,
hatten sie die Pflicht zu melden, dass sie in dem aufzuarbeitenden Archivgut etwas
in dieser Richtung gefunden haben. (Das war also mehr dem Zufall und der
Aufmerksamkeit von Mitarbeitern überlassen). Aber es war auch durch andere
Diensteinheiten (Abteilung Agitation, HVA, HA XX usw.) zielgerichtet in den Unterlagen recherchiert worden. Auch
durch Mitarbeiter der HA Untersuchung wurde für anhängige Untersuchungsvorgänge
und Ermittlungsverfahren in Archivgut nach Beweisen und zur Gewinnung von Erkenntnissen
gesucht. Es gab mehrfach ganze Gruppen von Mitarbeitern, die in die
Tschechoslowakei, nach Polen und die Sowjetunion gefahren sind, um
Archivmaterialien zu sichten und auf Dokumentenfilmen für die weitere
Auswertung zu sichern. Das war anfangs aber zumeist vorgangs- bzw.
personenbezogen und ein oftmals sehr
aufwendiger und mit unter auch uneffektiver Prozeß,
der mit der Bildung der HA IX/11 rationalisiert und qualifiziert werden sollte
– was dann auch tatsächlich weitgehend erreicht wurde.
Die IX /11 hatte zwei
Hauptaufgaben, die im Befehl 39/67 genau definiert sind:
Die erste Hauptaufgabe war die
Aufbereitung von Archivmaterial zur Unterstützung der Politik von Partei und
Regierung für die Offensive gen Westen.
Die zweite Aufgabe war die
Nutzbarmachung von Archivmaterialien für die Aufklärung von Nazi- und
Kriegsverbrechen/ Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Ermittlung von
bzw. Fahndung nach daran beteiligt gewesenen Personen sowie die Sicherung von
Beweismitteln zur völkerrechtlich gebotenen und gesetzlich bestimmten
Strafverfolgung von Tatverdächtigen, die an solchen faschistischen
Systemverbrechen arbeitsteilig teilgenommen haben.
Seit der Gründung der HA IX/1 1
haben wir vor allem Verbrechenskomplexe aufgearbeitet, bei denen Ereignis- und
Tatorte im vom faschistischen
Deutschland okkupierten Ausland lagen. Schwerpunkte waren dabei Polen, die
Tschechoslowakei und die Sowjetunion, aber auch Frankreich, Italien und
Griechenland waren nicht ausgenommen. Das widerspiegeln auch die seit den 60er
Jahren in der DDR durchgeführten Strafverfahren und Prozesse gegen solche
Nazi-Verbrecher, die wir in der DDR aufspüren und überführen konnten.
Wir konzentrierten uns dabei
zunächst auf die Ermittlung der an
Kriegsverbrechen / Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt gewesenen
verbrecherischen Einheiten , Dienststellen und Formation , wie Einsatzgruppen
der Sicherheitspolizei und des SD , Gestapodienststellen , Einheiten der
Waffen-SS und der Polizei , faschistische Justizbehörden und Sondergerichte etc.
und recherchierten dann zu deren Personalbestand und zum Nachweis individueller
strafrechtlicher Verantwortlichkeit für die Teilnahme an solchen völkerrechtswidrigen
Systemverbrechen, wenn wir einen noch lebenden und verfolgbaren Tatverdächtigen
im In- und Ausland identifizieren konnten.
NDR: Sie haben sich bei der Verfolgung von Naziverbrechen nicht auf die
kleinen Leute konzentriert, sondern auf bekannte Größen in der Bundesrepublik
wie Flick, Oberländer, Globke. Wie beurteilen Sie den
Erfolg der Kampagnen?
Skiba:
Zu nächst möchte ich erst einmal klar stellen, dass zu unterscheiden ist zwischen
der Aufklärung von Nazi-Kriegsverbrechen/Verbrechen gegen die Menschlichkeit
sowie der strafrechtlichen Verfolgung von daran beteiligten Tätern und einer mit öffentlicher Anprangerung und
Bloßstellung verbundenen Offenlegung von Beweisen über die faschistische
Vergangenheit bestimmter Personenkreise als eine Form politischer
Auseinandersetzung damit. Das sind zwei ganz verschiedene Schuhe. Während der Strafverfolgung gesetzliche Regelungen zu
Grunde liegen, handelt es sich bei propagandistischen Maßnahmen um eine
politische Angelegenheit.
Ich habe wiederholt in der Öffentlichkeit gesagt und sage es auch
hier:
„ Die DDR und namentlich das
Ministerium für Staatssicherheit haben einen entscheidenden Beitrag dazu
geleistet, daß die Schwarzbraunen in der
Bundesrepublik nicht voll zum Zuge gekommen sind. Auch Dank unseres Wirkens ist
es der internationalen und demokratischen
Öffentlichkeit in der alten BRD gelungen , einen solchen Druck auszuüben, der
das offizielle Bonn letztlich zwang , sich – wenn auch widerwillig - von
solchen mit Verbrechen belasteten oder in der Zeit des Faschismus sehr intensiv
involvierten Nazis zu trennen – wenn auch immer nur partiell und nicht
grundsätzlich und nachhaltig.“
(Als Satire gedacht füge ich
hinzu: „Eigentlich müßte die BRD uns dafür dankbar
sein! Eigentlich hätten wir das Bundesverdienstkreuz verdient. Aber
eine solche „Dankbarkeit“ war und ist nicht zu erwarten und ich für meine
Person hätte es auch abgelehnt , eine Ehrung entgegen zu nehmen , mit der viel zu viele ehemalige Naziaktivisten , ja
selbst Angehörigen der in Nürnberg als Verbrecherorganisation verurteilten SS /
Waffen-SS dekoriert worden sind .“
Kein Scherz ist allerdings, was
uns stattdessen zuteil wurde: Politische und soziale Diskriminierung und
pausenlose Verleumdung, verfassungswidrige Strafrente und rechtlich zumindest
bedenkliche Strafverfolgung wegen
Handelns als „Staatsnaher“ im Staate DDR. )
Unstrittig ist wohl, dass wir –
hier meine ich die DDR im allgemeinen und das MfS im besonderen - einen
entscheidenden Beitrag dazu geleistet haben , dass die für 1965 geplante Verjährung
selbst schwerster Nazi –Kriegsverbrechen
/ Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der BRD wegen der massiven nationalen
und internationalen Proteste nicht zum Zuge kam. Gerade
zu dieser Zeit sind deshalb massenweise Veröffentlichungen erfolgt, wie z.B.
über Tausende weiter verwendete Nazi-Blutrichter oder mit dem „Braunbuch“ über
Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Westberlin sowie über
eine Reihe von hochrangigen Einzelpersonen aus Staat und Gesellschaft der BRD.
Beispielhaft sei hier verwiesen auf Globke , Oberländer, Schüle , Fränkel , Krüger , Kiesinger ,
Filbinger , Lübke etc.
NDR: Ihre Motive waren aber
doch durchweg nicht edel. Was war denn zum Beispiel mit der Lübke-Affäre?
Skiba:
Zunächst folgendes zur Klarstellung:
Ihre Fragestellung enthält die
heute übliche zumindest unseriöse
Unterstellung, unsere Motive wären durchweg
nicht edel gewesen. Das kann und will ich nicht unwidersprochen hinnehmen.
Offensichtlich unterliegen auch Sie der seit 1990 gängigen einseitigen
Sichtweise auf die deutsche Nachkriegsgeschichte und die vorsätzlich betriebene wahrheitswidrige
alleinige Schuldzuweisung an die DDR und
ihr Sicherheitsorgan.
So genannte „Geschichtsaufarbeiter“
lassen bekanntlich nichts unversucht, den regierungsoffiziell verkündeten
Auftrag zur Delegitimierung der DDR in der Praxis
umzusetzen und zu verkünden: „Wir allein waren und sind die Guten und die von der anderen Seite schon immer die
Schurken und Verbrecher“.
Penetranter Antikommunismus ist wieder (oder
besser gesagt noch immer) salonfähig.
Um es noch einmal deutlich zu
sagen: Energischer Kampf gegen alte und neue Nazis und zur völkerrechtlich
gebotenen Aufklärung und strafrechtlichen Verfolgung von Nazi-Kriegsverbrechen
/Verbrechen gegen die Menschlichkeit resultierte für uns schon aus dem
antifaschistischen Selbstverständnis der DDR. Erst recht diejenigen Mitarbeiter des MfS ,
die mit dieser Aufgabe betraut waren , handelten aus einer tiefen politischen
Grundüberzeugung , nach der es eine
ehrenvolle Aufgabe und Verpflichtung gegenüber den Opfern des Faschismus war,
auf diesem Gebiet engagiert und hingebungsvoll zu
arbeiten.
Für mich persönlich und für
meine ehemaligen Mitstreiter nehme ich in Anspruch, was der zwischenzeitlich
leider verstorbene vormalige
Staatsanwalt beim Generalstaatsanwalt der DDR, Günther Wieland ( er war
hauptsächlich mit Rechtshilfevorgängen in so genannten NS-Strafsachen für die
BRD und das westliche Ausland befasst, diesbezüglich auch Auftraggeben für
unsere Tätigkeit in der HA IX/11 und
Partner des Zusammenwirkens ), anlässlich der öffentlichen Vorstellung
der vom niederländischen Professor Rüter herausgegebenen Dokumentation
„DDR-Justiz und NS-Verbrechen“ unter dem Beifall von Teilnehmern aus Ost und
West darlegte: …„Wessen ernste Profession die Aufklärung von Nazi-Verbrechen
ist, wer deren oft qualvoll geprüften Opfern begegnete, bleibt davon ein Leben
lang geprägt. Er empfindet es nicht nur als berufliche, sondern als ethische
Pflicht, zur gerechten Ahndung dieser Kriminalität beizutragen“...
Vor gerechter Ahndung steht aber
zunächst erst einmal, Roß und Reiter namhaft zu machen!
Wer das unehrenhaft nennt, ist wohl an einer aufrichtigen, ehrlichen
Sicht auf Geschichte und an einem
unvoreingenommenen Umgang miteinander wenig interessiert.
Nun zum zweiten Teil der Frage
in Bezug auf Heinrich Lübke. Es gab und gibt
dazu sehr viele Lügen ,Verleumdungen und
Tatsachenverdrehungen, aber nicht von Seiten des MfS oder der DDR, sondern von
denen, die sich zur Ehrenrettung Lübkes aufschwingen und beweisen wollen, daß die Unterlagen zu Lübke in der DDR gefälscht worden
seien, um dem Ansehen der Bundesrepublik in der Person des Bundespräsidenten zu
schaden . An solchen Weißwäschern für Lübke und andere wegen ihrer Rolle im
Nazi-Deutschland öffentlich an den Pranger gestellte Prominente in der BRD hat
es bis heute nicht gemangelt. Da nehmen sich z.B. ein Knabe namens Hubertus und
ein Helmut Kohl nicht aus.
NDR: Bohnsack und Brehmer haben das doch ins Spiel
gebracht.
Skiba:
Das Elaborat von Bohnsack und Brehmer ist mir nicht
unbekannt. Einer der beiden ehemaligen Mitarbeiter der HVA / X des MfS , Bohnsack
oder Brehmer – genau weiß ich das nicht - hat sich wohl
inzwischen von den Darstellungen , auf
die Sie Bezug nehmen , distanziert. Die beiden haben für meine Begriffe in
vorauseilendem Gehorsam und Anbiederung an die neuen Machthaber solch einen Quatsch
mit Soße geschrieben, der so einfach nicht wahr ist.
Ob von Mitarbeitern der HVA /
X irgendwann irgendwelche Materialien
mit dem Anschein von Originalität aus der Zeit vor 1945 produziert oder manipuliert
und als so genanntes Spielmaterial eingesetzt wurde , kann ich nicht beurteilen
und will es deshalb auch nicht weiter kommentieren.
In der Angelegenheit Lübke war
die HVA / X meines Wissens auch damit befaßt, Informationen zu gewinnen und entsprechend ihrer
Aufgabenstellung „ an den Mann zu bringen“,
hatte aber dabei nicht „den Hut auf “. Das heißt, sie war da
zwar involviert, aber die Federführung hatte die Parteiführung und wiederum
über das Büro Norden der Nationalrat der Nationalen Front. Dorthin gingen die
Dokumente und Informationen und dort wurde über Grundsätze des Vorgehens
entschieden – auch darüber, was wann, wo und wie öffentlich präsentiert wird.
Die Koordinierung der Recherchen
und sonstigen Aktivitäten innerhalb des MfS erfolgte, wie bereits ausgeführt, auch in diesem Falle durch die Abteilung
Agitation.
Die Hauptabteilung Untersuchung
war, soweit mir bekannt ist, damit beauftragt, in dieser Sache nach
strafrechtlichen und strafprozessualen Gesichtspunkten Untersuchungen durchzuführen
und zu dokumentieren. Dazu gehörten z.B.
Vernehmungen von Zeugen, die sachdienliche
Angaben über das ehemalige Wirken von Lübke und damit im Zusammenhang stehende
Fragen machen konnten.
Als die ersten Dokumente zur
faschistischen Vergangenheit von Heinrich Lübke am 29.6.1964 in einer Pressekonferenz der
Öffentlichkeit vorgelegt wurden, gab es die IX/11 als Struktureinheit des MfS noch
nicht. Aber später wir haben dann die Originaldokumente und anderes
Archivmaterial vom Zentralarchiv des MfS sowie den gesamten Vorgang mit allem
Schriftverkehr (Maßnahmepläne, Rechercheergebnisse, Pressematerial, Analysen
und Einschätzungen etc.) von der Abteilung Agitation zur Archivierung
übernommen. Diese Unterlagen befanden sich bis zur Auflösung 1990 in unserem Archiv
und waren vollständig erhalten. Da ist an den Originalen nichts manipuliert
oder gar gefälscht bzw. verfälscht worden und im gesamten Vorgang gab es nicht
den geringsten Anhaltspunkt für irgendwelche Manipulationen an Dokumenten.
Übrigens ist die Echtheit mehrfach durch
international renommierte Wissenschaftler zweifelsfrei bestätigt worden.
Wer dennoch immer wieder die
alten Lügen von Fälschungen des MfS aufwärmt , muß sich m.E. fragen lassen:“ Warum wohl ist in den seit dem
3.10.1990 vergangenen 15 Jahren „deutsche Einheit“ nicht einmal ansatzweise der
Versuch unternommen worden, anhand der kostenlos , komplett und im
ursprünglichen Zusammenhang in den Besitz der BRD gelangten Unterlagen und
Originaldokumente die These von der Fälschung durch entsprechende Expertisen zu
beweisen ?“. Historiker und solche, die
sich dafür halten, sollten doch wissen, dass quellenkritische Studien an
Originalquellen als wissenschaftliche Methode mehr Wert sind, als Berufung auf
sekundäre Quellen und alles Nachplappern oder Abschreiben von fragwürdigen
Darstellungen anderer.
Mir ist nichts darüber bekannt,
dass möglicher Weise auch die später durch die HA IX / 11 aufgefundenen
weiteren Beweisdokumente, z.B. aus
amerikanischen Dokumentenfilmen, unter „rechtsstaatlichen“ Aspekten begutachtet
worden wären. Haben die eifrigen Verfechter der Fälschungslegende etwa Angst vor der Wahrheit, der sie sich seit Jahrzehnten widersetzen?
Ich sage Ihnen: Die Lübke
belastenden Originaldokumente sind nicht gefälscht worden. Lübke war
zweifelsfrei auch mit dem Bau von Objekten zur Unterbringung von zur
Sklavenarbeit getriebenen KZ-Häftlingen in den von ihm betreuten unterirdischen
Rüstungsanlagen befasst – und das nicht etwa widerwillig und unter Gefahr für
Leib und Leben. Bescheinigte ihm doch kein geringerer als Wernher von Braun: ...
„Herr Lübke war immer zur Stelle, wenn irgendwo ganz schnell eine neue Baracke
oder ein anderes kleines Bauwerk erstellt werden sollte …“.
Die von Lübke projektierten
Baracken mit seiner Unterschrift auf den Bauzeichnungen waren zweifellos nicht
irgendwelche Baracken – etwa Unterkünfte für KdF-Urlauber
oder Lauben für Kleingärtner, sondern
Lager für KZ-Häftlinge , die in den von Lübke „betreuten“ Objekten unter
unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen rücksichtslos zum Einsatz
getrieben wurden. Die hohe Sterberate von dorthin gebrachten und gnadenlos
ausgebeuteten KZ-Häftlingen war wohl –
wie die Dokumente belegen - selbst den zur Bewachung eingesetzten und bei der
Vernichtung durch Arbeit durchaus nicht zimperlichen SS-Schergen mehr als suspekt.
Deshalb ließen sie dort ums Leben gekommene KZ-Häftlinge auch obduzieren, um
die Ursachen für das unverhältnismäßig hohe Massensterben zu ermitteln. Sie
lagen zweifellos in den dortigen Arbeits- und Lebensbedingungen für die
KZ-Häftlinge.
An der Echtheit der Baupläne,
die mit der Unterschrift Lübkes versehen sind und die sich zuletzt im Archiv
der HA IX / 11 befanden, gibt es für mich keinerlei Zweifel. Ihre Echtheit ist
nicht nur in den 60er Jahren, als die Kampagne gegen Lübke im Gange war ,
sondern auch später , etwa Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre nochmals durch
einen bundesdeutschen Professor als Sachverständiger bestätigt worden. Damals
habe ich selbst die Originale zum Rechtsanwaltsbüro von Prof. F. K. Kaul gebracht, wo dieser Gutachter sie entgegennehmen und
seine Expertisen durchführen konnte.
Wenn behauptet wird, dass die
von Albert Norden in den Pressekonferenzen der Öffentlichkeit präsentierten Dokumente
manipuliert worden seien und deshalb der gegen Lübke erhobene Vorwurf,
KZ-Baumeister gewesen zu sein, nicht
zutreffend und nur kommunistische Propaganda gewesen wäre, der leugnet die
Tatsachen. Die offen gelegten Dokumente waren echt und beweisen die Vorwürfe!
Ich will allerdings einräumen,
dass möglicherweise bei einigen Fotokopien – nicht bei den Originalen –
angeblich auf Veranlassung aus dem Büro von Albert Norden, die dort schlecht
erkennbaren Unterschriften „nachgebessert“ worden sein sollen. Das weiß ich
aber nur vom Hörensagen und nicht aus eigener Wahrnehmung. Am Zustand der
Originale jedoch ist nichts manipuliert worden!
Ob die Art und Weise der
Präsentation der Lübke belastenden Dokumente generell als auf Fälschung beruhende
kommunistische Propaganda abzutun ist und damit der gesamte Inhalt der
erhoben beweisbaren Vorwürfe als
unzutreffend in Frage gestellt werden darf, darüber gab und gibt es logischer
Weise in unterschiedlichen Lagern auch gegensätzliche
Ansichten – und das ist bei solchen Vorwürfen gegen Personen von öffentlichem
Interesse nicht verwunderlich. Widerspiegeln sich doch darin grundsätzliche
politische Positionen, noch dazu aus Zeiten des „Kalten Krieges“. Ich persönlich halte das für opportun und
sehe am Vorgehen der DDR gegen ehemalige Nazi-Eliten allgemein und in diesem
Fall gegen Lübke nichts, aber auch gar
nichts Ehrenrühriges.
Als wenig ehrenhaft empfinde ich
es allerdings, wenn Eliten aus der Nazi-Zeit, also Täter von damals, heute
generell und ungeniert als „Opfer“ von „kommunistischer Propaganda“ des
„SED-Unrechts-Regimes“ oder von „Stasi-Intrigen“ deklariert werden. Es fehlt
nur, dass ihnen für dieses „Leid“ und „erlittenes
Unrecht“ auch noch honorige „Opferrenten“ zugedacht werden!
Wenn es heute gegen „Staatsnahe“ aus der DDR geht, werden
ganz andere Dimensionen von Manipulationen und Interpretationen zu
propagandistischen Zwecken ( wie sie der DDR und dem MfS unterstellt werden ) und
zur politischen Eliminierung Andersdenkender praktiziert und himmelschreiende
Rechtskonstruktionen für eine strafrechtliche Verfolgung um jeden Preis kreiert
.
Ich verwahre mich auch im Namen
derjenigen, die damals mit der Sache Lübke befaßt waren,
entschieden gegen die Behauptung, daß die Dokumente
gefälscht worden seien. Wenn man überhaupt von „Fälschungen“ (was so jedoch
nicht zutreffend ist) redet, dann könnte das höchstens in Bezug auf eine
fototechnische Nachbearbeitung von schwach lesbaren Fotokopien ein Streitpunkt
sein. Allerdings ist Retuschieren von auf fotografischem Wege hergestellten
Kopien durchaus nicht unüblich. Eine technische Nachbearbeitung zur besseren
Erkennbarkeit ändert doch nichts an
deren inhaltlicher Seite, zumal die Originale für Einsichtnahme und
Begutachtung stets zur Verfügung standen.
Für mich ist und bleibt
unstrittig: Lübke hat sowohl in
Peenemünde als auch dann später bei den unterirdischen Anlagen und dem dortigen
Einsatz von KZ-Häftlingen unter menschenunwürdigen Bedingungen eine entscheidende Rolle gespielt.
In der HA IX /11 haben wir später bei Untersuchungen zu
weiteren unterirdischen Rüstungsobjekten und dortigem Einsatz von KZ-Häftlingen
, auch durch Auswertung amerikanischer Dokumentenfilme , noch
wesentlich mehr Unterlagen gefunden, die über das Wirken Lübkes
aufschlussreiche Informationen enthalten. Das waren
z.B. Gesprächsnotizen und Protokolle über
Besprechungen und Ortsbesichtigungen, über Fragen des Einsatzes von
KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern, weitere Bauunterlagen und anderes. Wir
hatten dazu einen speziellen Vorgang, ein Dossier, mit mehreren Aktenordnern,
die sich heute bei der Gauck-Birthler-Behörde befinden müssten. Dieses Material war zu dem Zeitpunkt, als die
Kampagne gegen Lübke lief, noch gar nicht bekannt - uns zumindest nicht. Die
Bundesrepublik hatte damals bereits Zugang zu solchem Archivmaterial, das sich
auf den amerikanischen Dokumentenfilmen befand.
NDR: Sie wollen also sagen, daß das Deckblatt, das
zu den Bauplänen gehörte, von Ihnen nicht verändert wurde? Es geht um das
Deckblatt.
Skiba:
Soweit ich mich erinnere, gab es mehrere Akten mit Deckblättern, in denen sich auch von Lübke abgezeichnete Baupläne
für KZ-Häftlingsbaracken und andere Bauten befanden, die unmittelbar mit dem
Einsatz und der Unterbringung von KZ-Häftlingen in Zusammenhang standen. Da
müsste schon präziser gesagt werden, um welch ein Deckblatt es sich handeln
soll und dann könnte das doch speziell geprüft werden. Warum wird das denn
nicht endlich gemacht?
Was die Echtheit der Akten
anbelangt, muß
ich nach meinem Kenntnisstand schon vom
Ansatz her ausschließen, dass hier an
der Originalität irgendwie etwas verändert worden sein könnte. Ich glaube nicht, dass es sich irgendjemand in
der DDR hätte leisten können, in einer so brisanten Angelegenheit gefälschte
Dokumente zu fabrizieren und diese dann auch noch offiziell der Bonner Seite
zur Einsicht und Begutachtung anzubieten. ( Von diesem mehrfachen Angebot der
DDR hat übrigens die BRD-Seite nie Gebrauch gemacht ,
weil es für sie offenbar zweckmäßiger war, von Fälschungen zu palavern , als
sich den Tatschen zu stellen. )
Selbst wenn es so gewesen wäre ,
dass – wie ohne schlüssigen Beweis behauptet wird - aus propagandistischen
Gründen ein Deckblatt der als Fotokopien angebotenen Dokumente „medienträchtig
aufpoliert “ worden sein sollte , ändert das nichts , aber auch gar nichts am
Inhalt . Für mich ist der Inhalt ( also Netto ) die entscheidende Größe zur
Qualitätsbestimmung und nicht die Frage, welche Form und Farbe die Verpackung (also
Tara) hat, obwohl das für Werbezwecke durchaus eine gewisse Bedeutung haben mag.
NDR: Es geht nicht um die Tatsache, sondern um den Verwendungszweck: wofür
dienten die Baracken? Und dementsprechend wurde, so die These, ein Deckblatt
angefertigt, daß das als KZ
sowieso auswies. Haben Sie das Deckblatt dazu angefertigt?
Skiba:
Ich sagte es bereits: Mir ist von einer Manipulation oder gar Fälschung eines
Deckblattes nichts bekannt und ich schließe das, wie ebenfalls schon gesagt,
für die Originalakten aus. Und wenn die Frage an meine eigene Person gerichtet
sein sollte , dann kann ich nur sagen : Ich persönlich und auch meine
Mitarbeiter wären wohl nicht fähig gewesen , eine solch „raffinierte Fälschung“
zu fabrizieren , die selbst international hoch angesehene Experten hätten nicht
als solche erkennen können. Auch Bohnsack und Brehmer
hätten das wohl nicht zu Stande gebracht.
Wer nun aber glauben will, dass
ja gerade deshalb, weil die behauptete „Fälschung“ nicht nachweisbar ist, die
„Stasi“ hier mit besonderem Raffinesse gearbeitet habe, dem kann man wohl auch
einreden, im Himmel sei Jahrmarkt und Ostern und Weihnachten fallen auf einen
Tag.
Die IX/11 gab es damals noch
nicht und ich selbst war Mitte der 60er Jahre auch noch nicht mit
Archivrecherchen zu Lübke befasst. Da hätte ich wohl schlecht irgendetwas in
dieser Sache fälschen können. Im Übrigen will ich an dieser Stelle ausdrücklich
darauf hinweisen, dass wir uns in und seitens der HA IX /11 immer und gegenüber
jedermann dagegen verwahrt haben, an Originalunterlagen aus der Zeit des
Faschismus irgend welche, wie auch immer geartete Veränderungen (z.B. durch
Blindeindrücke beim Schreiben, so genannte Eselsohren, Kaffeeflecke etc.)
vorzunehmen , weil das ihren Beweiswert beeinträchtigt hätte und im Archivwesen
allgemein nicht statthaft ist.
Gefälscht ist an den Original-Dokumenten
zu Lübke nicht ein Stück, nicht ein Blatt, nicht ein Buchstabe. Ob die
Verpackung für eine propagandistische
Pressekonferenz irgendwie und überhaupt entsprechend ausgestaltet wurde, ist doch für den Inhalt nicht ausschlaggebend.
Aber gerade damit halten sich die Persilscheinvertreter auf.
NDR: Die Baracken, an deren Bau es keinen Zweifel gibt, wurden als
Konzentrationslager ausgewiesen, und das ist der entscheidende Unterschied.
Skiba:
Sie sagen es ganz richtig! Entscheidend ist doch , dass die von Lübke
projektierten und in Auftrag gegebenen Baracken nicht irgendwelche Baracken schlechthin waren , sondern von Anfang an projektiert und gebaut
wurden für die massenhafte Einpferchung von KZ-Häftlingen , die als
Arbeitssklaven in den unterirdischen Objekten für die faschistische
Luftrüstung schuften mussten und von
denen hunderte allein in einem von Lübke „betreuten“ Objekt der Vernichtung durch Arbeit zum Opfer
fielen. Ich kann nur wiederholen : Lesen Sie nach in den Aktenüberlieferungen ,
die sich zuletzt im Archiv der HA IX/11 befanden und nunmehr im Besitz der BRD
sind und Sie werden sich selbst davon überzeugen können , dass Lübke in vollem
Umfang Kenntnis hatte über den Zweck der Bauten und auch über die selbst für
faschistische Verhältnisse extrem unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen
der KZ-Häftlinge hatte, wobei im
Interesse der beschleunigten Fertigstellung der Rüstungsanlagen nach dem
„Führerwillen“ auch massenhafte Todesfälle zumindest billigend in Kauf genommen
wurden. Und eben da liegt der große Unterschied zu einem Barackenbauer, der mit
Objekten zum Zwecke humanitärer Nutzung befasst
gewesen wäre. Das ist in der Tat ein gravierender Unterschied, an dem alle
Reinwaschungsversuche nicht ändern werden.
( Im Übrigen : Wenn die BRD- Juristen,
die sich bei der gnadenlosen politisch motivierten Strafverfolgung von
DDR-Bürgern hervortun und Angeklagten vorwerfen, sie hätten nichts zur
Humanisierung des Grenzregimes getan und damit Tote billigend in Kauf genommen ,
mit einer solchen Rechtsauffassung in der Sache Lübke agiert hätten , dann wäre
ihm die Anklagebank mit Sicherheit wohl nicht erspart geblieben. Juristisch war
da mehr als nur ein Anfangsverdacht in Richtung mangelndem Einsatz für eine
Humanisierung des verbrecherischen Regimes im Umgang mit KZ-Häftlingen und
billigende Inkaufnahme Hunderter von Toten!)
NDR: Das steht aber nur auf dem Deckel und nicht im Inhalt.
Skiba:
Hier sitzen Sie einem Irrtum auf, der von den Verfechtern der Fälschungslegende
immer wieder aufgewärmt wird. Daß es sich um Bauten
für Tausende von KZ-Häftlingen handelte, steht nicht nur auf einem Deckblatt. Es ergibt
sich auch aus all den anderen Dokumenten, die in dieser Sache aufgefunden und
zusammengetragen wurden. Lübke wußte nicht nur über
den Verwendungszweck und die Bedingungen bescheid , sondern hatte nach
Dokumentenlage auch Befugnisse zur Orderung von Arbeitskräften für die
Rüstungsbauten – egal ob französische Zwangsarbeiter , kriegsgefangene
italienische Offiziere , sowjetische Kriegsgefangene und Juden und eben auch KZ-Häftlinge .
NDR: Mir ging es um die Frage, ob Sie das Deckblatt verbürgen können.
Skiba:
Ich kann mich nur wiederholen. Von einer
Fälschung irgendeines Deckblattes der Originalakten ist mir nichts bekannt und
ich schließe das aus meiner Sicht auf die Dinge und meiner Kenntnis über die
Sache mit Sicherheit aus. Aber wer kann sich schon für eine Sache verbürgen,
die er nicht selbst gemacht oder erlebt hat? Das können Sie von mir nicht
erwarten, auch weil ich kein Experte für eine wissenschaftlich fundierte
kriminaltechnische Dokumentenuntersuchung bin.
Für die Sache selbst ist es wohl
auch nicht relevant, wie ich darüber denke und ob ich mich für irgendetwas
verbürgen kann.
Ich will mich noch einmal
wiederholen: Wichtig erscheint mir nur, dass endlich einmal anhand der
Originale deren Echtheit geprüft und zweifelsfrei festgestellt wird, was die
Wahrheit ist oder Manipulation sein soll. Ob sich das der „Rechtsstaat“ leisten
will, bleibt auch in dieser Sache abzuwarten, weil es durchaus sein kann, dass
die Blamage bis ins Knochenmark geht und das Geschwätz über Fälschungen daraufhin
unterbleiben müßte. Deshalb wohl auch diese Scheu vor
Offenlegung der Aktenüberlieferung und immer wieder Rückgriff auf die alte
Masche der Leugnung von Tatsachen und Verleumdung der Akteure der anderen
Seite.
Im Übrigen wäre es doch wohl
auch allgemein und für Geschichtsinteressierte nicht uninteressant, wenn
endlich auch das offen gelegt würde, was sich in bestimmten Archiven der BRD an
Unterlagen aus und über die Zeit zwischen 1933 und 1945 zu dem fraglichen Personenkreis befindet. Ich
für meinen Teil kann mir nicht vorstellen, dass da nur „Entlastendes“ vorliegt und nur im Osten, in
der DDR und beim MfS, belastendes Material gegen ehemalige Nazis archiviert war.
NDR: Lassen Sie uns ganz konkret auf die Journalisten zurückkommen, ohne die
die Kampagnen im Westen gar nicht funktionieren konnten...
Skiba:
Ob Pressekonferenzen und andere Aktivitäten der DDR gegen in der BRD in Amt und
Würden befindliche Nazi-Kriegsverbrecher /Verbrecher gegen die Menschlichkeit,
eingefleischte Altnazis und ehemalige
Eliten aus der Zeit des Faschismus auch ohne westliche Journalisten Wirkung
gezeigt hätten , kann und will ich nicht beurteilen. Es war ja nicht so, daß
die DDR solche Kampagnen und Dokumentationen zur bloßen Selbstbefriedigung gemacht
hätte. Die Wirkung sollte schon in den Westen Deutschlands und darüber hinaus
in die Weltöffentlichkeit gehen.
Dafür war es mit Bestimmtheit
notwendig, westdeutsche und aus anderen Ländern kommende Journalisten und Medien, also eine breite
nationale und internationale Öffentlichkeit dafür zu interessieren und
Menschen in Ost und West diesbezüglich zu sensibilisieren. Da gab es schon eine
ganze Menge Leute, die sich dafür interessierten, was die DDR auf den Tisch
legen konnte. Dabei handelte es sich durchaus nicht nur um Freunde der DDR oder gar
hauptsächlich um „Stasi-Agenten“, wie heute auch in Bezug auf die so genannte
„Rosenholz-Datei“ manch einem von ihnen angelastet wird. Nicht wenige bedienten
sich in der DDR mit Materialien und Informationen, wenn sich damit im Westen
auch Geld verdienen lies. Manch einem dienten solche Materialien auch zur
Profilierung und für eigene Zwecke und Ziele. Aber darüber zu befinden, ist
nicht mein Ding.
NDR: Ist unser Eindruck falsch, daß insbesondere
die ‚Panorama“ Redaktion ansprechbar war, was das Material in bezug auf die Vergangenheit bundesdeutscher Politiker
anbelangte?
Skiba:
Das kann ich Ihnen so definitiv weder bestätigen noch verneinen, weil ich
darüber aus meiner vormaligen Tätigkeit und der damit verbundenen Kompetenz
keine hinreichende Kenntnis habe.
Die IX / 11 hatte u.a. die Aufgabe, nach Archivmaterialien und darin
enthaltenen Beweismitteln zu recherchieren, diese zu sichern und aufzubereiten sowie
den Diensteinheiten des MfS für deren operative Arbeit zur Verfügung zu stellen.
Einer unserer Ansprechpartner,
Auftraggeber und Abnehmer war auch die HVA. Die mit „Westarbeit“ befasste HVA/X hat
, soweit ich das überhaupt beurteilen kann,
verschiedenste Mittel und Möglichkeiten genutzt, um auch von uns aus der
HA IX/11 erhaltene Materialien an entsprechende Stellen oder Personen weiter zu
geben oder an Stellen zu lancieren, wo sie hinsollten. Ob das „Panorama“,
„Spiegel“, „Stern“ oder andere waren -
so erschien es mir damals - war dabei sicher mehr sekundär. Es war wohl
so, dass Material und Informationen an
denjenigen abgegeben wurden, der das nehmen wollte und damit etwas anfangen
konnte. Aus den Medien von heute dürfte Ihnen wohl bekannt sein, dass dazu auch
solche Persönlichkeiten gehörten wie Bernt Engelmann oder Beate Klarsfeld. Ob
diese gewußt haben oder gewußt
haben könnten, dass es sich dabei auch um Materialien aus dem MfS handelte,
vermag ich nicht zu beurteilen.
Aus meiner dienstlichen
Zusammenarbeit mit der HVA/X ist mir zwar hinreichend bekannt, dass viele
unserer Rechercheergebnisse im Westen ankamen und dort publiziert wurden – welche
konkreten Wege dafür von der HVA/X genutzt wurden, wie die Informationsströme
liefen, welche Mittel und Methoden, welche Legenden dabei angewendet wurden , entzieht sich allerdings meiner
Kenntnis. Darüber haben wir nach den im MfS geltenden Regeln der Konspiration
nichts erfahren und zumeist auch keine Rückinformationen erhalten. Fragen dazu waren einfach nicht
unser Ding, das ging uns nichts an.
NDR: Wie muß man sich die Zusammenarbeit konkret
vorstellen. Waren Sie jetzt Auftragnehmer der HVA, oder war es so, daß Sie sagten, wir haben über diesen und jenen was
gefunden, macht mal was?
Skiba:
Beides war möglich. Wir recherchierten zu entsprechenden Anfragen und
informierten auch, wenn unabhängig davon relevante Hinweise bekannt wurden. Jede operative Diensteinheit des MfS, sowohl
die der Aufklärung (HVA) als auch die der Abwehr ( Hauptabteilungen ,
Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen), konnte sich mit Anfragen,
Suchaufträgen und auch spezifischen Rechercheaufträgen an die Hauptabteilung
IX/11 wenden und Fragen zur Aufklärung der
faschistischen Vergangenheit von Personen oder zu Sachverhalten aus der Zeit
des Faschismus und zum
antifaschistischen Widerstand stellen. Dann haben wir entsprechend
unseren Möglichkeiten und übertragenen Kompetenzen recherchiert.
Der größte Interessent war
logischerweise die HVA. Die HVA/X, aber
auch andere HVA-Abteilungen, waren diejenigen, die am meisten zu aktuellen
politischen Problemen im Operationsgebiet mit Hintergründen aus der Nazizeit und
dabei betroffene Figuren recherchieren ließen. Wenn wir unabhängig von
konkreten Auftragsforschungen bei der Erfassung und Aufarbeitung von Archivgut
oder bei Recherchen im Ausland auf Material stießen, das belastende
Informationen zu im Westen lebenden Naziaktivisten enthielt, haben wir das auch
Diensteinheiten der HVA zur operativen Nutzung angeboten. Das war schließlich
unser genereller Auftrag.
NDR: Das heißt: Sie konnten gar keinen Einfluß
darauf nehmen, welchem Journalisten Material zugespielt wird?
Skiba:
Das ist richtig. Wir hatten keinen Einfluß darauf, an wen was gegeben wurde, weil das nicht in
unserer Kompetenz lag. Wir wußten in der Regel nicht, an welche Journalisten, andere
Personen oder Einrichtungen welche aus unserer Tätigkeit resultierenden
Materialien und Informationen weiter gegeben wurden. Mitunter erfuhren wir im
Nachhinein aus den Medien, wer als Adressat letztendlich in den Besitz dessen
gelangt war.
NDR: Ich kann mich aber daran erinnern, daß in
Ihrer Untersuchung stand, daß es gemeinsame
Arbeitsberatungen zwischen der Desinformationsabteilung und Ihrer Abteilung
über Projekte gab, die als förderungswürdig angesehen wurden.
Skiba:
Ja, natürlich gab es solche Absprachen. Auch wir mussten unsere Arbeit planen
und unsere Kräfte auf Schwerpunkte konzentrieren. Dazu dienten u.a. auch Jahresarbeitspläne, in denen die Hauptrichtungen unseres
Handelns fixiert wurden (diese Pläne
liegen übrigens, wie auch unsere Jahresanalysen vollständig bei des BStU-Behörde vor). Dazu haben wir auch mit der HVA besprochen, welche Schwerpunkte
sie für dieses oder das kommende Jahr sehen und wozu wir hauptsächlich
recherchieren müssten und wie wir mit unseren Mitteln und Methoden
entsprechende Beiträge leisten können und sollen .
NDR: Was hat
die Arbeit der IX/11 in den ersten
Jahren geprägt?
Skiba:
Ende der 60er/ Anfang der 70er Jahre prägten auch Aktionen, die wir für und
gemeinsam mit der HVA gemacht haben,
unsere Arbeit. Nach den Zuarbeiten für die dritte Auflage des „Braunbuches“
1968 war es beispielsweise die Aktion „Schwarz“, für die wir Dokumente gesucht
und massenhaft Kopien von BRD-Eliten belastenden Dokumenten , die im
„Braunbuch“ noch nicht verwertet worden waren, zur Verfügung gestellt haben.
Nach der Sache mit Guillaume und
als es zur Entspannungspolitik mit dem Westen kam, ließen solche Aktionen mit Massencharakter
merklich nach.
NDR: Weil von der HVA keine Anfragen mehr kamen oder weil es politisch nicht
mehr opportun war?
Skiba:
Auch unsere Arbeit vollzog sich nicht außerhalb von Zeit und Raum. Auch für uns
war die von der Partei- und Staatsführung vorgegebene Linie maßgebend. Das war
sogar im Befehl 39/67 ausdrücklich so fixiert.
Sicherlich war es mit der
einsetzenden Entspannungspolitik und zunehmender internationaler Anerkennung
der DDR für das Verhalten gegenüber der
BRD nicht mehr opportun, weiter mit den Fingern darauf zu zeigen, dass dort und dort und dort ein alter Nazi
unbehelligt als „Ehrenmann“ gilt. Das hätte wohl als Einmischung in innere
Angelegenheiten eines anderen Staates ausgelegt werden können und damit den
außenpolitischen Ambitionen der DDR geschadet.
Vieles hatte sich zwischenzeitlich
auch biologisch überholt. Manch einer der zu „Edeldemokraten“ mutierten
Altnazis war zurückgetreten (worden), etliche der Nazi-Blutrichter waren mit
großzügigem Salär in den vorzeitigen Ruhestand gegangen und mach einer von
Hitlers getreuen Gefolgsleuten und willigen Vollstreckern war in die ewigen
Jagdgründe hinüber gewechselt. Das soll aber nicht heißen , dass wir die
Altnazis in der BRD völlig aus dem Auge verloren und uns damit abgefunden
hätten, dass einige von ihnen immer noch in Staat und Gesellschaft der BRD
mitmischten – mache sogar heute noch.
NDR: Auffällig ist doch, daß meist nur Personen
aus dem rechten konservativen Lager angegriffen wurden.
Skiba:
Diese von Ihnen als auffällig bezeichnete Praxis sehen Sie durchaus richtig. Altnazis zählten in der
alten BRD nun einmal zu denen, die sich schon wegen ihrer antikommunistischen
Grundhaltung im konservativen Lager zusammenfanden. Sie wurden sowohl als
Wählerpotenzial wie auch als Macher gebraucht. Sie agierten nicht selten in
vorderster Reihe in Politik und Wirtschaft, in der Verwaltung und in Ministerien,
vor allem in der Justiz, bei der Bundeswehr, in der Polizei und bei den
Geheimdiensten, aber auch in Vereinen und bei bestimmten Medien – waren quasi
überall präsent. Bei den Linken hätten sie eine politische Heimat nicht
gefunden, obwohl das im Einzelfall durchaus sein konnte. Was sollten wir uns da
mit Linken beschäftigen? Wenn in deren Reihen einer geortet worden wäre, hätten
wir auch diesen nicht aus dem Auge gelassen, aber wohl nicht als systemimmanent
in der Öffentlichkeit gebrandmarkt.
In der HA IX/11 haben wir die Westpresse, soweit sie uns
zugänglich war, intensiv verfolgt und alles, was da über Nazigeschichten lief, ausgewertet
und zu Dossiers zusammengestellt sowie auf
Karteien erfaßt. Solche Dossiers gab es über Hunderte oder
Tausende solcher Figuren. Für diese Seite unserer Tätigkeit gab
es bei uns in der HA IX/11 extra eine spezielle Arbeitsgruppe „Aktuelle
Fragen“. Diese begutachtete täglich Zeitungen, Zeitschriften, andere Medienberichte und auch Literatur und hatte darüber zu
informieren, welche Fragen gerade aktuell waren und welche ehemaligen
Naziaktivisten im Blickpunkt standen. Wurde beispielsweise über Herrn von Weizsäcker
als Leutnant der Wehrmacht berichtet oder Kurt Waldheim wegen seines Wirkens
als Offizier der faschistischen Wehrmacht (Ic/Abwehroffizier)
in Griechenland angegriffen, dann wurde
bei uns geprüft , ob wir dazu irgend etwas haben oder nicht und ob das geeignet
erscheint, öffentlich gemacht und als „ Kohle nachgelegt “ zu werden. Schließlich hatten wir für die
Aufklärung von Nazi- und Kriegsverbrechen und für die Feststellung von in der
Nazizeit aktiven Personen eine bestimmte Verantwortung und innerhalb des MfS
dafür gewissermaßen den Hut auf. An uns
wandten sich Abteilungen und
Diensteinheiten aus dem gesamten Ministerium und auch die Partner des
Zusammenwirkens von außerhalb. Das waren beispielsweise das IML /Zentrales
Parteiarchiv (ZPA), die Staatliche Archivverwaltung der DDR (StAV) und hauptsächlich das Dokumentationszentrum der StAV (DZ). Wenn es möglich und zweckmäßig erschien, haben
auch diese Partner des Zusammenwirkens von uns entsprechende Materialien und
Informationen erhalten.
Die HVA konnte selbständig im
Dokumentationszentrum recherchieren und mußte nicht
zwingend über uns gehen. Zumeist wurde das
aber abgestimmt, um nicht doppelgleisig zu fahren und damit die ganze Sache zu
gefährden.
NDR: Damit besteht die Möglichkeit, daß bestimmte
Kampagnen, die in der Bundesrepublik liefen, nicht über die IX/11 gelaufen
sind?
Skiba:
Wie ich bereits dargelegt habe, lag es für die HA IX/11 nicht in unserer
Kompetenz, irgendwelche Aktionen im Operationsgebiet durchzuführen. Das war
Sache der Aufklärung. Über die Hauptabteilung
IX/11 wäre das sowieso nicht möglich gewesen, weil wir dazu die entsprechenden
Möglichkeiten und Verbindungen überhaupt
nicht hatten und dazu nicht ermächtigt waren. Wir haben immer nur zugeliefert.
Es ist durchaus möglich, daß wir an einer Einzelsache
nicht beteiligt waren. Das will ich nicht ausschließen. Aber im Großen und Ganzen,
wenn es um Personen oder Sachverhalte aus der Zeit des Faschismus ging, kam man
ohne uns nicht aus.
Allerdings wußten
wir oftmals nicht genau, welche
konkreten Ziele mit den bei uns in
Auftrag gegebenen Personenrecherchen von den Diensteinheiten verfolgt wurden.
Wir hatten kein Recht, irgendetwas nach
außen zu geben, also mit irgendwelchen Leuten außerhalb des MfS individuell zu
verhandeln. Offiziell traten wir nicht in Erscheinung, sondern agierten im
Hintergrund.
Was also die Journalisten anbelangt, da kann
ich Ihnen folgendes sagen:
Der zentrale Anlaufpunkt für In- und Ausländer
war das Dokumentationszentrum der Staatlichen Archivverwaltung, das 1964 auf Beschluß des Ministerrates der DDR gegründet worden ist.
Dort konnte sich jeder hinwenden, der sich für Archivmaterial aus und über die
Zeit 1933 bis 1945 interessierte. Diese zentrale Einrichtung war ein
unwahrscheinlicher Fundus sowohl für Personen als auch für Sachfragen, weil
alle Archive in der DDR verpflichtet waren, ihre Informationen aus der Zeit des
Faschismus an das Dokumentationszentrum zu melden. Das Dokumentationszentrum
war einer unserer Hauptpartner im Zusammenwirken, das sich durch nehmen und
geben auszeichnete.
NDR: Es gab eine Reihe von IM oder Offizieren im besonderen Einsatz im
Dokumentationszentrum.
Skiba:
Das mag schon sein, aber dazu kann ich Ihnen nichts Verbindliches sagen. Für
die operative Sicherung von Einrichtungen des MdI der DDR – einschließlich des
Archivwesens – war die HA VII zuständig. Ob und über welche inoffiziellen
Mitarbeiter diese Diensteinheit im
Dokumentationszentrum verfügte, weiß ich nicht. Ich hätte es auch nach den im
MfS geltenden Regeln der Konspiration nicht wissen dürfen. Bekannt ist mir
allerdings, dass es eine ganze Reihe von
ehemaligen Mitarbeitern des MfS gab, die im Dokumentationszentrum tätig waren.
Sie waren aus dem MfS aus verschiedenen Gründen offiziell entlassen worden, u.a. wegen gesundheitlicher Probleme oder nicht mehr
gegebener Eignung für diesen Dienst. Die meisten dieser ehemaligen
MfS-Mitarbeiter waren mir auch persönlich bekannt. Sie waren natürlich dann
auch unsere Ansprechpartner im DZ der StAV.
Bis zum Ende des
Dokumentationszentrums durch „Abwicklung“ und Vertreibung der dort tätig
gewesenen Wissenschaftler und sonstigen Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit war
ich nach der Auflösung der HA IX/11 und meiner damit verbundenen Entlassung aus
dem MfS im Jahre 1990 selbst noch als wissenschaftlicher Mitarbeiter/
Hauptreferent im Dokumentationszentrum mit Forschungen , vor allem zum
faschistischen Volksgerichtshof befasst. Das Bundesarchiv Koblenz hat dann zwar
die Unterlagen aus dem Dokumentationszentrum übernommen, aber an der
Fortsetzung der Arbeit zur zentralen Erfassung von Archivgut und dessen
wissenschaftlicher Aufarbeitung sowie am Personal bestand kein Interesse.
NDR: Die lX/11 hat auch dem Dokumentationszentrum
Materialien übergeben die bestimmte Persönlichkeiten in der Bundesrepublik
belasteten. Das ist unauffällig geschehen. Wie hat es dann aber funktioniert, daß Journalisten gerade auf dieses Material aufmerksam
geworden sind?
Skiba:
Entweder haben die Leute über verschiedenste Wege einen Tipp bekommen, daß es im Dokumentationszentrum der StAV
der DDR irgend etwas Interessantes zu holen gab, oder
sie kamen von selbst mit ihren Anliegen dorthin bzw. wurden von anderen Stellen
in der DDR dorthin vermittelt, wenn sie zu irgend einer Person oder Geschichte
recherchierten.
Jeder, der Archivgut aus dem
staatlichen Archivfonds in der DDR benutzen wollte, mußte
einen Antrag bei der Staatlichen Archivverwaltung stellen und dort wurde
entschieden, ob dem Antrag stattgegeben wird oder nicht. Selbstredend
informierte uns die Staatliche Archivverwaltung über solche Anfragen und wir nahmen unsere Möglichkeiten
zur Mitentscheidung wahr. In der Regel erhielten wir Kopien der Anträge, oft
schon mit Hinweisen auf vorhandenes Archivgut. Wir hatten dann die Möglichkeit zu sagen, diese
oder jener kann Einsicht nehmen bzw. Kopien erhalten oder es ist abzulehnen. Das wurde im Detail abgestimmt. Wenn wir in
der HA IX/11 selbst etwas hatten, das für die Anfrage relevant war und wir es
für zweckmäßig erachteten, auch diese Material zugänglich zu machen ( sprich an
den Mann oder die Frau zu bringen ), dann haben wir das Material kopiert und an das Dokumentationszentrum übergegeben.
Dort wurde es als Rechercheergebnis erfasst und somit offizialisiert. Als MfS
konnten und wollten wir offiziell als Besitzer
bzw. Quelle der so offen gelegten
Dokumente nicht in Erscheinung treten. Das Dokumentationszentrum konnte so als
Mittler auftreten und das Material als eigenes, offiziell existierendes
ausgeben.
Wenn nun ein Journalist
oder Autor eine beglaubigte Kopie haben wollte, dann
ließen wir diese Kopien von unserem
Material auch notariell, mitunter auch vom Obersten Gericht der DDR
beglaubigen. Das ging so seinen geordneten Gang.
NDR: Was ist mit Filbinger?
Skiba:
Dieser Nazi-Marinerichter gehört zu meinen ganz speziellen „Freunden“. In
dieser Sache war ich persönlich unmittelbar tätig und habe selbst in Archiven
recherchiert. Sie ließ mich auch nach 1990 nicht los. Die Auseinandersetzung
mit dessen faschistischer Vergangenheit dauert ja bis in die Gegenwart an. Er
ist einer von den aus der Nazizeit belasteten BRD-Eliten, an denen die
Unionsparteien ungeniert festhalten und die immer noch mitreden. Erinnert sei
hier nur an die offiziellen Ehrungen anlässlich seines 90sten Geburtstages und
die skandalöse Nominierung als Wahlmann zur Wahl des neuen Bundespräsidenten im
Jahre 2004.
In den staatlichen Archiven der
DDR haben wir eine Menge von Urteilen – darunter auch Todesurteile - gefunden,
an denen Filbinger beteiligt war. Er war unstrittig als Ankläger und Richter an Kriegsgerichtsurteilen,
darunter auch Todesurteile gegen Deserteure, beteiligt. Aufgefundene
Vollstreckungsunterlagen belegten, dass er selbst bei Exekutionen anwesend war
und dort darauf achtete, dass der Delinquent auch wirklich zu Tode kam.
NDR: Die Kampagne lief ziemlich spät.
Skiba:
Filbinger, seit 1951 CDU-Mitglied, war 1966 in Baden-Württemberg
Ministerpräsident dieses Bundeslandes geworden. Er trat damit die Nachfolge des
zum Bundeskanzler der BRD gekürten Kiesinger an, der ja selbst wegen seiner langjährigen Mitgliedschaft in
der Nazi-Partei seit 1933 und seiner Tätigkeit als Nazi-Propagandist bei Goebbels „auf der Rolle“
und deshalb von Beate Klarsfeld sogar öffentlich
geohrfeigt worden war.
Filbinger gehört zu den vielen
Nazijuristen, die in der BRD weder strafrechtlich belangt, noch wegen ihrer
faschistischen Vergangenheit irgendwelchen Benachteiligungen unterworfen waren.
Im Gegenteil: Er gilt noch heute offiziell als „Ehrenmann“ und sein Ausspruch
…“Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein…“, war jahrelang richtungsweisend für die BRD-Justiz im Umgang mit
Nazi-Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Erst als es gegen
DDR-„Staatsnahe“ ging, die nicht ihresgleichen waren, vollzog sich ein
grundlegender Sinneswandel. Was in der DDR rechtens war, muß heute einfach als Unrecht gelten und
„rechtsstaatlich“ mit Strafverfolgung geahndet werden. So lautete ja
bekanntlich der von Kinkel erteilte
Auftrag an die bundesdeutsche Justiz.
Weil sie geltendes DDR-Recht
anwendeten, werden DDR-Juristen wegen angeblicher Rechtbeugung gnadenlos auch
noch im hohen Alter vor Gericht gezerrt. Bei Filbinger kam das selbstredend
nicht in Frage. Und deshalb nenne ich eine solche politisch determinierte
Strafverfolgung von „Staatsnahen“ aus der DDR einerseits und die Schonung vor Strafverfolgung für Täter aus der
Nazi-Zeit auch systemimmanente Ungleichbehandlung von „Linken“ gegenüber
„Rechten“ – die man wohl Unrecht nennen darf.
Das noch nach dem 8.5.1945, also
nach dem Zusammenbruch des Hitler-Regiemes, gefällte Todesurteil
gegen den kriegsmüden Matrosen Gröger, um das es in
der Sache Filbinger immer wieder ging, gab es allerdings bei uns im Archiv nicht
und ich kann mich auch nicht erinnern, dass wir davon Kopien gehabt hätten.
NDR: Weil Sie sich so intensiv mit Filbinger beschäftigt haben, haben sie
sicherlich auch aufmerksam verfolgt, wie Ihr Material in den bundesdeutschen
Medien umgesetzt worden ist. „Panorama“ war das erste Magazin, das den Fall
Filbinger ins Rollen gebracht hat. Haben Sie sich in dem Beitrag wiedererkannt?
Skiba:
Natürlich haben wir erkannt, daß Material, welches aus unseren Recherchen stammte, auch in „Westmedien“ verwertet wurde.
Das ist unstrittig. Ob die Informationen zur faschistischen Vergangenheit
Filbingers tatsächlich zuerst von „Panorama“ veröffentlicht wurden, weiß ich
nicht. Soweit mir bekannt ist, hat der Schriftsteller Rolf Hochhuth 1978 in der
Zeitung „Die Zeit“ als Erster Filbingers Mitwirkung als Nazi-Marinerichter an
Todesurteilen öffentlich gemacht und diesen „einen furchtbaren Juristen“
genannt. Wie die von uns aufgefundenen Urteile und andere Unterlagen zu
Filbinger damals in den Westen gelangten und in wie weit „Panorama“ als
Empfänger in Frage kam, weis ich auch in diesem Falle
nicht. Ich kann mir nur vorstellen, daß dieses Material von der HVA/X direkt oder auf Umwegen an Journalisten oder
andere Interessierte weiter gegeben wurde. Ob diese wiederum wußten, daß es von Mitarbeiter
des MfS zusammengetragen und von Mitarbeitern der Aufklärung des MfS angeboten wurde,
ist fraglich und kann von mir nicht eingeschätzt werden. Möglicherweise war es
auch hier so, dass das Material als aus dem Besitz des Dokumentationszentrums
stammend ausgegeben wurde.
NDR: Die „Panorama-Redakteure haben immer bestritten, daß
sie das Material aus dem Osten hatten.
Skiba:
Es kann schon möglich sein, daß das Material über
eine operativ nutzbare Lancierungsmöglichkeit im Operationsgebiet offeriert
wurde, ohne auf die Herkunft aus dem Osten zu verweisen. Arbeit mit Legenden
gehört schließlich zum Handwerkszeug von Geheimdiensten. Da muß
der Empfänger letztendlich nicht immer genau gewußt
haben, woher das Material kam. (Für heutigen Sensationsjournalismus ist das ja ohnehin
zumeist völlig ohne Belang, wenn es nur „Kohle bringt“).
NDR: Es waren also Ihre Rechercheergebnisse und Ihre Dokumente, die Sie
zusammengestellt haben, bei „Panorama“?
Skiba:
Das kann ich so definitiv weder bestätigen noch dementieren, weil ich nicht
genau weis, was „Panorama“ an Material tatsächlich hatte. Die „Panorama“- Informationen gingen wohl über das hinaus, was wir an die
HVA/X geliefert hatten. Sie basierten also offenbar nicht ausschließlich nur
auf unseren Dokumenten. Ich weiß nicht, wie das im Einzelnen gelaufen ist. Es gab
da doch offenbar viele Möglichkeiten.
Dafür interessierten sich
übrigens seit 1990 schon mehrfach bestimmte Damen und Herren aus dem
„Freundeskreis“ von Filbinger, die bei mir zu Hause vorstellig wurden und
Auskünfte dazu von mir erwarteten. Auch zwei Herren vom Verfassungsschutz wollten
von mir dazu Näheres wissen. Sie glaubten wohl, mich in die Enge treiben und
überrumpeln zu können, indem sie ihre Fragen mit der Unterstellung begannen:
…“Sie sind doch der Major Skiba von der HA IX/11, der
seinerzeit in der Angelegenheit Filbinger die gefälschten Urteile an Herrn Mutz von der HVA/X übergeben hat“… Ich glaubte zunächst meinen Ohren nicht
zu trauen - auch hier die gleiche Masche wie bei Lübke und anderen wegen
Nazi-Vergangenheit namhaft gemachten Herrschaften – alles Opfer von
„Fälschungen“ und „Stasi-Intriegen“. Weil die
belastenden Hinweise und Beweise aus dem Osten überhaupt und insbesondere aus
dem MfS stammten, konnte es sich nach westlicher Deutungsart nur um Fälschungen
handeln. Sichtlich betroffen mussten sie zur Kenntnis nehmen, dass wir außer
den in Form von Kopien an die HVA/X übergebenen Urteilen im staatlichen
Archivfonds der DDR noch weitere solcher Dokumente hatten, diese jedoch nicht
alle beigezogen haben, weil sie nach unserer
damaligen Sicht zum relevanten Nachweis als gravierendes Nazi-Unrecht nicht unmittelbar in Betracht
kamen. Für irgendwelche „Fälschungen“ oder Verfälschungen oder anderweitigen
Manipulationen an den Urteilen und Vollstreckungsunterlagen gab es überhaupt
keine Veranlassung.
Bemerkenswert erscheint mir in
diesem Zusammenhang mein Eindruck, dass selbst der Verfassungsschutz in die
Bemühungen zur Entlastung Filbingers einbezogen wurde und Beamte einer Behörde, die nach dem
Legalitätsprinzip eigentlich hätten die vorliegenden Verdachtsgründe prüfen
sollen, keinerlei Interesse an Hinweisen zur Auffindung der Originale von
Dokumenten und sonstigen Beweismitteln zur strafprozessualen Prüfung der gegen
Filbinger erhobenen Vorwürfe erkennen ließen. Ihr Auftrag war offenbar darauf
gerichtet zu erkunden, wer damals alles dazu beitrug, die Filbinger belastenden
Materialien aus der DDR in den Westen zu bringen und dort zu veröffentlichen.
Ich bin der Überzeugung, dass die Macher von damals „in die Pfanne gehauen“
werden sollten und bei den „Weißwäschern“ an der Wahrheit über Filbinger und
sein Wirken als „furchtbarer Jurist“ nicht das geringste Interesse bestand und
besteht.
NDR: Wer waren denn Ihre Ansprechpartner in der Desinformationsabteilung,
mit wem hatten Sie am meisten zu tun?
Skiba:
Im Prinzip war es auch in der Zusammenarbeit mit der HVA/X so, dass
vorgangsbezogene Absprachen und zu
bedeutsamen Vorhaben auf Leitungsebene
erfolgten. Mit Bohnsack oder Brehmer hatte ich
diesbezüglich nichts zu tun, weil solche Absprachen von Leiter zu Leiter bzw.
durch deren Stellvertreter erfolgten. Bohnsack und Brehmer
waren gewiss mehrfach in der IX/11, um sich Archivmaterial anzusehen oder auch,
um Material zu überbringen oder abzuholen.
Beratungen auf Leitungsebene erfolgten unsererseits stets mit Oberst
Wagenbrett und Oberst Mutz. Vieles ist auch auf schriftlichem
Wege erfolgt. Die HVA/X hat Informationsbedarf angemeldet
und wir haben entsprechend unseren Möglichkeiten geliefert. Im Verlauf eines
Jahres gab es öfter solche Absprachen mit den Genossen von der HVA/X.
NDR: Hatte die Hauptabteilung IX/11 maI eine
erhebliche personelle Aufstockung erfahren?
Skiba:
Seit 1968, als eine ganze Reihe von Mitarbeitern aus den Bezirken und
Kreisdienststellen zur HA/11 versetzt wurden, ereignete sich da eigentlich
nicht mehr viel. Im Grunde schwankte der
Personalbestand immer zwischen etwa 40 bis 50 Mitarbeitern, wobei immer wieder
einzelne durch Versetzung in andere Diensteinheiten oder aus anderen Gründen
aus der IX/11 ausschieden und neue hinzukamen.
Die Struktur, d.h. die Anzahl
der Referate und deren Aufgaben änderten sich zwar partiell, aber nicht
grundsätzlich.( Referat 1 war für das Archiv zuständig und organisierte
die Fernleihe von Dokumenten aus Archiven der DDR; vom Referat 2 wurden die
Karteimittel (Personenkartei,
Vorgangskartei, Sach- und Schlagwortkartei etc.) sowie die Bibliothek verwaltet
und die Verbindungen zur Zentralkartei
des MfS ( Abt. XII ) sowie zum
Dokumentationszentrum der StAV gehalten ; im Referat 3 erfolgte die Auswertung, es
bearbeitete also die Anfragen, die tausendfach jeden Monat eingingen; Referat 4
bearbeitete die speziellen Vorgänge zur Verdachtsprüfung und Beweisführung in
Richtung Nazi-Kriegsverbrechen /Verbrechen gegen die Menschlichkeit - das war
das entscheidende Referat für die „Vorgangsbearbeitung“-; das Referat 5 war für die Bearbeitung von aus
dem Ausland an den Generalstaatsanwalt der DDR gerichteten Rechtshilfeersuchen
und auch für operative Anfragen aus oder an Partnerorgane im sozialistischen
Ausland zuständig; das Referat 6
beschäftigte sich mit Forschungen zum antifaschistischen Widerstandskampf.
Bis zum Ende der Tätigkeit der
HA IX/11 mit dem 28.2.1990 hat sich daran nichts wesentlich geändert.
Allerdings kam die Arbeit faktisch gegen Ende 1989 zum Erliegen. Es stand nur
noch die geordnete Übergabe des Archivgutes an das Zentrale Staatsarchiv der
DDR und die Übernahme als „Außenstelle Freienwalder
Straße“ auf der Tagesordnung.
NDR: Herr Skiba, wir danken Ihnen für das
Gespräch!