junge
Welt“ Ausgabe vom 24.02.2020,
Seite 15 / Politisches Buch
Techniken der Destabilisierung
Starkes Immunsystem
Raúl Capote unterwanderte das CIA-Netzwerk in Kuba. Sein Buch liegt nun
endlich übersetzt vor
Von Volker Hermsdorf
Raúl Capote: Der
andere Mann in Havanna. (Zambon, Frankfurt am Main 2019, 303 Seiten, 15 Euro)
Als Fidel Castro sich im Juli 2006 schwer erkrankt von allen Ämtern
zurückzog, versuchten US-Geheimdienste, in Kuba einen »Volksaufstand«
anzuzetteln. Antikommunistische Gruppen wurden angewiesen, durch gewalttätige
Aktionen Zusammenstöße mit Ordnungskräften zu provozieren. Der im Dienst der
CIA stehende Schriftsteller und Universitätsprofessor Raúl Antonio Capote
sollte die Regierung der Vereinigten Staaten im Namen der kubanischen
Bevölkerung um eine Intervention der US-Armee bitten, um »ohne Chaos und
Blutvergießen den Übergang zur Demokratie« zu ermöglichen. Doch der erhoffte
Aufstand fand nicht statt: Die bezahlten Handlanger Washingtons hatten sich
nicht aus ihren Löchern getraut, und Raúl Capote, der CIA-Agent »Pablo«, war in
Wirklichkeit als »Daniel« für die kubanische Staatssicherheit tätig.
Als die Anweisung aus
Langley kam, eine militärische Besetzung Kubas zu verlangen, »die den Tod
tausender Landsleute bedeutet hätte«, sei das der schwerste Moment während
seiner Zeit als Undercoveragent in der CIA gewesen, schreibt Capote in seinem
Buch »Der andere Mann in Havanna«. Unter dem Titel »Enemigo«
(Feind) wurde es 2012 bei der 21. Internationalen Buchmesse in Havanna
präsentiert und gehörte dort zu den meistverkauften Büchern. Erst Ende 2019 ist
Capotes spannender Insiderbericht, der tiefe Einblicke in die Arbeitsweise der
US-Geheimdienste gewährt, endlich auch in deutscher Sprache erschienen.
Capote beschreibt, wie
US-Agenten mit den von ihnen gesteuerten Kräften Umstürze vorbereiten – und
welche Möglichkeiten ihnen dafür zur Verfügung stehen. Obwohl die Erfahrungen
des Autors länger als ein Jahrzehnt zurückliegen, sind seine Darlegungen weiter
aktuell. Die von Capote geschilderten CIA-Strategien zur Destabilisierung eines
Landes waren im November vergangenen Jahres beim Putsch in Bolivien
erfolgreich; sie werden in Kuba, Venezuela, Nicaragua und vielen anderen
Ländern weiter verfolgt. In Kuba setzen die
US-Dienste, deren Hoffnungen auf eine Beseitigung der sozialistischen Regierung
immer wieder vergeblich waren, jetzt auf die »Enkel der Revolution«, die sie
mit neoliberaler Ideologie zu indoktrinieren und mit den Versprechungen einer
Konsumgesellschaft zu locken versuchen. Hierbei sollte Capote ihnen mit
Methoden, die er ausführlich beschreibt, zur Hand gehen.
Der 1961 geborene
Autor gehörte in jungen Jahren zu einer Gruppe kritischer Schriftsteller und
hatte sich als Vizepräsident der Vereinigung »Hermanos
Saíz« in Cienfuegos mit Bürokraten angelegt, die
jungen Autoren Steine in den Weg legten. Das blieb nicht unbemerkt. Mit dem
Angebot, ihn und seine Publikationen zu fördern, nahmen europäische Diplomaten
sowie Vertreter US-amerikanischer Universitäten und Stiftungen Kontakt zu ihm
auf. Zunächst erbaten sie Informationen über die Stimmungslage unter
Schriftstellern und Studenten. Dann folgte das Angebot, eine Agentur zur
Unterstützung von Autoren, Musikern und anderen Künstlern aufzubauen und
anzuleiten. Das »Projekt Genesis« verfolgte letztlich das Ziel, jungen Leuten
den »American Way of Life« nahezubringen.
Schließlich wurde
Capote unter dem Decknamen »Pablo« zum Agenten der CIA, mit Nachrichtentechnik
ausgerüstet und in Chiffrierverfahren geschult. Von einer »Quelle« wird »Pablo«
zum Spitzenagenten, dem analytische und organisatorische Aufgaben übertragen
werden, bis ihm schließlich die »Ehre« zuteil werden
soll – das Guaidó-Muster ist unverkennbar –, die USA
im Namen des kubanischen Volkes um eine Intervention zu bitten. Als »Lohn«
wurde ihm »nach Beendigung des Auftrags«, dem dann aber immer ein anderer
folgte, eine hochdotierte Professur an einer Prestigeuniversität in den USA in
Aussicht gestellt. »Sie sind nicht in der Lage zu verstehen, dass es Männer und
Frauen gibt, die man nicht kaufen kann«, urteilt Capote rückblickend über seine
Auftraggeber. Die stärkste Belastung bei der Arbeit für den Feind, räumte er im
März 2011 nach Beendigung seiner Tätigkeit ein, sei für ihn gewesen, die
Verachtung der eigenen Familie, der Freunde, seiner Studenten und der nächsten
Nachbarn über Jahre schweigend zu ertragen.
»Der andere Mann in
Havanna« ist kein Spionagethriller, auch wenn der Titel zur Assoziation mit
Graham Greenes Roman »Unser Mann in Havanna« verleitet und sich das Buch
stellenweise so liest, sondern ein authentischer Tatsachenbericht. Dabei
verfällt der Autor nicht in Schwarzweißmalerei. Capotes durchaus sympathische
Schilderung der US-Diplomatin Kelly Keiderling geht
so weit, dass beim Lesen der Verdacht aufkommt, er könne dem Stockholm-Syndrom
erlegen sein. Doch Capote betont, er sei wie die meisten Kubaner »eifersüchtig
auf die Unabhängigkeit seines Landes« bedacht. Hier liegt ein Schlüssel zum
Verständnis dafür, warum Washington trotz 60jähriger Blockade und immer weiter
verfeinerter Destabilisierungsmethoden in Kuba keinen Erfolg hatte. Den meisten
Kubanern ist heute mehr denn je bewusst, dass alle Länder, in denen die USA mit
einem »Regime-Change« Erfolg hatten, ihre Unabhängigkeit und den inneren
Frieden eingebüßt haben. Dieses Bewusstsein stärkt das politische Immunsystem
der Kubaner.
Capotes Buch ist
spannend und konzentriert geschrieben. Nur zum Ende hin schweift der Autor mit
ausgiebigen Schilderungen von Ausflügen mit CIA-Kontaktleuten, die keinen
zusätzlichen Erkenntnisgewinn liefern, vom eigentlichen Thema ab. Insgesamt
beeinträchtigt das jedoch – wie auch die auf den ersten Blick etwas merkwürdige
Übersetzung aus einer italienischen Übersetzung und einige Fehler, die bei
sorgfältigerem Lektorat vermeidbar gewesen wären – weder Informationsgehalt
noch Lesbarkeit.