junge
Welt Ausgabe vom 13.08.2020, Seite 3 / Schwerpunkt
KUNDSCHAFTER
Im Dienste des Friedens
Deutsche Pässe, keine Dollars: Günter Pelzl berichtet in seiner Autobiographie über die Arbeit im
Operativ-Technischen Sektor des MfS
Von Rüdiger Göbel
»Dass die Menschen in der DDR nicht
ungehindert reisen konnten, hatte ja zuerst politische Gründe. Die BRD maßte sich eine Art Obhutspflicht für jeden DDR-Bürger an,
der sich im westlichen Ausland aufhielt. Das war im Selbstverständnis der DDR
nicht hinnehmbar. Dass die Gesetze der DDR ein illegales Verlassen des Landes
unter Strafe stellten, akzeptierte ich. Ohne die Sowjetunion war das ohnehin
nicht zu ändern. Weniger beschäftigte ich mich mit den Motiven der
Republikflüchtlinge. In der Regel gab es darüber auch keine Informationen, auch
nicht in meiner Abteilung (…) Als ich einige Jahre später einen Artikel
im Spiegel von 1973 über die Schleusungen von Ärzten aus der
DDR las, klappte mir förmlich der Unterkiefer herunter. Hier wurde ein Motiv
genannt, das ich in dieser Ausprägung kaum für möglich gehalten hatte: Geld.
Für fünfstellige Summen waren Ärzte bereit, ihre Patienten im Stich zu lassen.
›1.400 Mark hat meine Frau im Monat als Ärztin verdient, das kriegt bei uns
auch eine Schweinezüchterin‹, sagte einer der Geschleusten. Das war für mich
ein starkes Motiv, meine Arbeit so gut wie möglich zu machen. Ich verdiente in
dieser Zeit etwa genausoviel wie diese
Schweinezüchterin. Hätte man die DDR durch die BRD staatlich anerkannt, hätte
die DDR diese Reisebeschränkungen aufheben müssen.«
Nie wieder Krieg! Mit diesem Leitsatz
ist Günter Pelzl, Jahrgang 1948, im thüringischen
Dorf Ammerbach unweit von Jena aufgewachsen. Für den
Frieden wollte er sich immer einsetzen. Schon als Schüler ließ er sich als
Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) anwerben,
und er wurde selbstbewusster und überzeugter Kandidat für die Mitgliedschaft in
der SED. In seiner gerade erschienenen Autobiographie »Der Fälscher« beschreibt
Pelzl sein Leben und seine Arbeit in der DDR, in der
er sich für seine Maxime engagiert und überzeugt eingesetzt hat. Das Buch ist
authentisch, spannend wie auch unterhaltsam verfasst und hilft, die Zeit des
Kalten Krieges besser zu verstehen. Pelzl ist stolz
auf seine geleistete Arbeit, freut sich über schöne Jahre und Jahrzehnte im
sozialistischen Teil Deutschlands, ohne seine Heimat (»ist dort, wo einem die
Menschen zulächeln, wenn man über die Straße geht«) zu verklären oder zu
überhöhen. Im Gegenteil, immer wieder benennt er Fehlentwicklungen in seinem
Umfeld wie auch in der großen Politik des Landes. Pauschalem DDR-Bashing
verweigert sich der Autor gleichwohl strikt.
Nach Chemiestudium und Promotion wurde
Günter Pelzl hauptamtlicher Mitarbeiter des
DDR-Geheimdienstes – eher aus der Not heraus, denn persönlich gewünscht oder
von langer Hand geplant. 140 Absagen bei der Stellensuche des jungen,
hochqualifizierten Universitätsabsolventen offenbarten Missstände in der
politischen Aufbauplanung des Landes: Das versprochene Großforschungszentrum,
für das er und viele andere ausgebildet wurden, war nicht gebaut worden. Ein
Angebot des MfS 1976 kam da zur rechten Zeit und bot ihm Sicherheit.
Neuer Arbeitsort wurde der Operativ-Technische Sektor, kurz OTS, ein von Mauern umgebenes Areal in der Nähe der Gehrenseestraße in Berlin. 1982 wurde Pelzl von der Abteilung 34, »Markierung und Geheimschriften«, in die Abteilung 35, »Analyse, Reproduktion und Produktion von Dokumenten«, versetzt, deren Abteilungsleiter er schließlich wurde. Hauptaufgabe war die Entwicklung von als echt erscheinenden Passdokumenten für die Auslandsaufklärung, aber auch für Bruderstaaten und politische Befreiungsbewegungen in aller Welt, was ihm und seinem Kollektiv erfolgreich gelang. Das Bundeskriminalamt jedenfalls wertete die in der DDR entwickelten Papiere als im normalen Gebrauch »nicht zu identifizierende Totalfälschung«, wie Pelzl schreibt.
Vor besondere Herausforderungen wurde
der »Meisterfälscher der Stasi« gestellt, als es in der BRD Mitte der 1980er
Jahre Bestrebungen gab, einen fälschungssicheren Personalausweis einzuführen.
»Die schlimmen Vorahnungen, man würde einen Chip einbauen, der an der Grenze
von den Beamten ausgelesen werden konnte, hatten sich nicht bewahrheitet. Die
Zeit war offensichtlich noch nicht reif dafür. Außerdem gab es große
Meinungsverschiedenheiten über die Handhabung der dabei anfallenden
persönlichen Daten. Das verschaffte uns eine kleine Atempause.«
Das Überleben der DDR – heute vor 59
Jahren hatte das Land seine westliche Staatsgrenze gesichert – konnte freilich
auch das MfS nicht garantieren. Pelzl selbst war am
Ende mit der Abwicklung seiner Abteilung befasst. Der Verfassungsschutz
bedrängte ihn, Namen zu nennen, wer aus der Bundesdruckerei in Westberlin sie
mit Informationen zu Personalausweis und Reisepass versorgt habe. »Darüber
werde ich mit Ihnen nicht sprechen«, so Pelzls
Antwort. Sicher gebe es Verräter, aber er sei keiner von denen. Vierzehn Tage
später, im April 1991 wurde Pelzl von der
Generalbundesanwaltschaft informiert, dass man gegen ihn ein
Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit
eingeleitet hatte. Erst im Dezember 1995 wurde es eingestellt. Zwischendurch
wollten die US-Amerikaner wissen: »Haben Sie jemals Dollar gefälscht?« Pelzl: »Die Antwort auf diese Frage konnte ich schon im
Schlaf aufsagen, aber hier machte mir das besondere Freude: ›Wenn wir jemals
Dollar gefälscht hätten, säße ich jetzt nicht hier, sondern würde irgendwo
unter Palmen meine Beine ins Wasser hängen lassen. Wären es sehr viele Dollars
gewesen, gäbe es die DDR noch, und dieses Gespräch würde auch nicht
stattfinden.‹«
Als ihn nach der sogenannten Wende einer
mal gefragt habe, was das Beste an der DDR gewesen sei, habe er spontan
geantwortet: »Das Beste an der DDR war, dass das Geld nichts wert war!«
Solidarität und Gemeinsinn standen im Vordergrund, eine antifaschistische
Grundhaltung und konkrete internationale Solidarität. »Der Fälscher« legt
hierfür beredt Zeugnis ab.
Günter Pelzl:
Der Fälscher. Als Forscher im Operativ-Technischen Sektor des MfS.
Autobiografie. Verlag Edition Berolina 2020, 528 Seiten, 19,99 Euro