Horst Schneider
Dresden, 12. März 2006
Neues von der Bautzner Straße?
Die „Stiftung Sächsische Gedenkstätten" kann auf einen weiteren „ Erfolg" verweisen.
Nachdem es ihr gelungen war, die Untersuchungshaftanstalt der Bezirksverwaltung des
Ministeriums für Staatssicherheit in eine Gedenkstätte umzuwandeln, die im Dezember 2002
eröffnet worden ist, gab sie nun das passende Buch dazu heraus:
U-Haft am Elbhang. Die Untersuchungshaftanstalt der Bezirksverwaltung des
Ministeriums für Staatssicherheit in Dresden 1945 bis 1989/90,
Sandstein Verlag Dresden 2004, 183 Seiten, 15 Euro.
Verfasser sind Annette Weinke und Gerald Hacke, die von Berufs wegen mit dem Thema zu
tun haben, Hacke als Mitarbeiter der Gedenkstätte Münchner Platz.
In der Rezension des Dresdners Henry Krause zu diesem Buch im „ Deutschland Archiv"
(l/ 2006 S. 1627 63) wird daran erinnert, dass Besucher Wasserzellen, unterirdische Gänge
und Erinnerungen an allerhand andere Gräueltaten erwarten: „ Tief haben sich die angst -
besetzten Legenden in das historische Bewusstsein eingewurzelt. Hervorgebracht haben
solche Vermutungen und Gerüchte die wahnhafte Konspiration des Ministeriums für
Staatssicherheit wie auch sein Vorrecht, Menschen nicht nur zu bespitzeln, sondern sie zu
verhaften und Ermittlungsverfahren durchzuführen."
Mit anderen Worten: Krause macht die Mitarbeiter der Staatssicherheit für die Lügen und
Legenden verantwortlich. Aber er irrt und könnte seinen Irrtum in vielen Medien, die die
Staatssicherheit - auch jetzt noch - verteufeln, bestätigt sehen.
Ich versichere an Eides statt: Als ich Mitte der neunziger Jahre mit zwei meiner Enkel
eine Stadtrundfahrt mitmachte, gab es einen Stop auf den Elbwiesen mit Blick auf die
Schlösser und das Gebäude der Staatssicherheit. Die (bundesdeutsche) Stadterklärerin
behauptete: Dort wurden Menschen ermordet und gefoltert. Als ich sie fragte, woher sie das
wisse, antwortete sie: Das weiß jeder. Ein schriftlicher Protest gegen diese Legendenbildung
wurde nie beantwortet.
Nun liegt ein Buch über die Bautzner Straße vor. Von den Lügen und „ angstbesetzten
Legenden", die jahrelang durch die Medien geisterten, ist - wie üblich - nichts übrig
geblieben. Zwar wählte Henry Krause den Titel „ Schlafentzug, totale Isolation und
psychischen Druck" als Titel, um „Folter" zu konstruieren, aber in (fast) jedem Krimi,
der Szenen aus bundesdeutschen Haftanstalten enthält, geschieht Schlimmeres als
gelegentliche abendliche Vernehmungen. Gemessen an diesen Filmszenen oder gar Abu
Ghraib und Guantanamo kann die Untersuchungshaftanstalt Bautzner Straße als vorbildlich
betrachtet werden.
- Willkürliche und ungesetzliche Verhaftungen haben die Autoren nicht gefunden.
Abendliche Vernehmungen waren Ausnahmefälle, wenn die 24 - Stunden - Frist
bis zur Vorführung beim Haftrichter das erforderlich machte.
- Niemand ist gefoltert oder misshandelt worden.
Verpflegung und medizinische Versorgung gaben keinen Anlass zur Beschwerde.
Selbstmorde wie in Moabit oder den Haag üblich wurden nicht festgestellt.
Wie die Autoren ( S. 81 auch mit statistischen Daten) bestätigen, ging es bei Festnahmen stets um
Gesetzesverletzungen.
Ihnen sind sachliche Fehler unterlaufen, die sich aus ihrem Auftrag ergeben: Es gab keine
„ Dunkelzelle" und kein „ schwarzes Loch." Gemeint ist vermutlich eine Arrestzelle,
die wie jede andere ausgestattet war.
Die „ Stehzellen" waren nicht zum stundenlangen Warten bestimmt. Sie wurden nur bei
Transporten oder Bewegungen im Verwahrhaus benutzt.
Arrestzellen im Keller bzw. im „ Fuchsbau" gab es nicht.
Wie die Autoren ihr Fazit begründen, wonach nach „14 Jahren strafrechtlicher Aufarbeitung
die Opferinteressen nicht ausreichend berücksichtigt worden sind", ist unerfindlich.
Sie schreiben doch (S. 159) selbst, dass nach 1990 in Sachsen 8. 300 Ermittlungsverfahren
eingeleitet worden sind, die zu 36 Anklagen führten. Aber nur in neun (von 8.300) Fällen
kam es zu Urteilen, die in lediglich vier Fällen rechtskräftig wurden.
(Und auch diese vier Urteile sind einer Analyse wert.)
Weil bundesdeutsche Richter Sympathie mit den Angeklagten hatten?
Weil „ Opfer" Angst hatten, über ihre Torturen auszusagen?
Oder weil die „ Siegerjustiz" entgegen ihrem Auftrag keine Handhaben für eine
Verurteilung von „ Tätern" gehabt haben?
Der Rezensent Henry Krause könnte in einem Punkt zum Nachdenken reizen:
„ Die ehemaligen Mitarbeiter des MfS betonen bis heute die Rechtmäßigkeit ihres Handelns
im Einklang mit den Gesetzen der DDR und können sich dabei auch auf die „ sauber
geführten Akten stützen."
Indessen geht es hier weniger um die „ sauberen" Akten, sondern die Arbeit einer
Untersuchungshaftanstalt und ihrer Mitarbeiter.
Wenn die „ Stiftung Sächsische Gedenkstätten" Steuergelder eingesetzt hat, um einen
sachlichen Streit über die Arbeit dieser Mitarbeiter auszulösen, könnte das nützlich sein.
Aber der Streit hat erst dann Sinn, wenn Haftanstalten in ganz Deutschland, auch in den
westlichen Bundesländern, einbezogen werden.
Vielleicht ist eine neue Wissenschaftsdisziplin begründet worden: Der Vergleich
von Haftanstalten und Haftbedingungen.
Da steht einige Arbeit bevor. In Berlin gibt es sechzehn Haftanstalten, in Hamburg acht,
Baden - Württemberg kommt auf etwa fünfzig.
Selbst kleine Länder wie das Saarland bringen es auf zehn, Thüringen auf acht.
Wenn die Justizministerien der Bundesländer in ihren Bereichen einen Überblick haben,
gibt es nur in Hessen Veröffentlichungen: „ Justizverwaltung in Hessen - Übersicht" und
„ Justizvollzug in Zahlen 2003".
Möge die „ vergleichende Haftforschung" bald Erfolge zeitigen.