„Junge Welt“ vom 01.10.2005

Wochenendbeilage

»Da wird gelogen, was das Zeug hält«

Gespräch mit Hannes Sieberer, Herbert Kierstein und Gotthold Schramm. Über Geheimdienste der USA und der DDR. Über angebliche Folterzellen im ehemaligen MfS-Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen und darüber, wie bundesdeutsche Behörden mit der Wahrheit umgehen

Interview: Peter Wolter

 

* »Verheizt und vergessen« heißt das erstaunliche Buch, das Hannes Sieberer und Herbert Kierstein geschrieben haben. Erstaunlich deshalb, weil ersterer als US-Spion in der DDR gefaßt wurde und letzterer als Offizier des Ministeriums für Staatssicherheit seine Vernehmung leitete. Aus den ehemaligen Gegnern wurden nach dem Anschluß der DDR Freunde. Herausgeber des Buches ist MfS-Oberst a.D. Gotthold Schramm.

»Verheizt und vergessen - Ein US-Agent und die DDR-Spionageabwehr«, von Hannes Sieberer und Herbert Kierstein, Hrsg. Gotthold Schramm, edition ost, Berlin 2005, 224 Seiten, 14,90 Euro, ISBN: 3360010655

F: Herr Schramm, Sie sind Herausgeber des Buches »Verheizt und vergessen«. Was hat Sie an dieser Veröffentlichung gereizt, 15 Jahre nach dem Ende der DDR?

Schramm: Es ist eine nicht alltägliche Geschichte zweier Autoren mit unterschiedlichen Lebenswegen.

Hannes Sieberer wurde als österreichischer Bürger in westliche Lebens- und Denkweisen hineingeboren. Er wuchs als Freund der USA auf und wurde 1976 vom militärischen Zweig des US-Geheimdienstes angeworben, der ihn gegen die DDR einsetzte. 1982 ging er deren Spionageabwehr ins Netz - drei Jahre später kam er im Rahmen eines Agentenaustauschs frei.

Herbert Kierstein ist in der DDR groß geworden. Er war 30 Jahre lang Untersuchungsführer beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS), spezialisiert auf Spionagedelikte.

Beide Autoren schildern ihre jeweilige Lebensgeschichte und vertreten dabei gemeinsame, aber auch unterschiedliche, Positionen. Nach dem Ende der DDR trafen sie sich wieder - aus ehemaligen Gegnern wurden Freunde. Beide zeigen, wie Geschichte aufgearbeitet werden sollte: frei von ideologischem Haß und von bösartigen Unwahrheiten.

F: Geht das Buch über die Lebensgeschichten der beiden Autoren hinaus?

Schramm: Auf jeden Fall. Es zeigt das Vorgehen westlicher Geheimdienste gegen die DDR und schildert Mittel und Methoden der Spionageabwehr, einer legitimen und völkerrechtlich sanktionierten Aufgabe eines jeden Staates. Der Titel des Buches bezieht sich übrigens darauf, daß Herr Sieberer nach seiner Entlassung in den Westen von seinen Auftraggebern fallen gelassen wurde. Man wollte nichts mehr von ihm wissen.

F: Herr Sieberer, Sie haben als verurteilter US-Spion drei Jahre in DDR-Haft verbracht. Welche Gefühle bewegen Sie, wenn Sie heute in Ostberlin sind?

Sieberer: Eher unangenehme, aber die Zeit hat alles verklärt. Heute ist das alles für mich nur noch Geschichte.

F: Eine Geschichte, die in Ihr Leben eingegriffen hat. Waren die Haftjahre für Sie verlorene Jahre?

Sieberer: Verloren insofern, als ich die drei Jahre anders hätte verbringen können. Auf der anderen Seite hat mich diese Zeit reifer gemacht, ich habe an Lebenserfahrung gewonnen. In jeder Krise steckt die Chance für einen Neuanfang - und der ist mir gut gelungen.

 F: Jeder verhaftete Agent ist zunächst mit seinem Vernehmer konfrontiert. Haben Sie Herrn Kierstein als Feind betrachtet?

Sieberer: Eher als Gegner, wie ich auch das MfS als Gegner gesehen habe - als Gegenüber am Schachbrett der internationalen Politik. Gegner haßt man nicht, man respektiert sie.

Kierstein: Ich habe zwar die Untersuchungen geleitet, war jedoch nicht der unmittelbare Vernehmer von Herrn Sieberer. Es gehörte zu meinen Aufgaben, die Arbeit der mir unterstellten Untersuchungsführer zu kontrollieren und anzuleiten. Wir haben sehr wohl unterschieden zwischen dem Spion, dem Menschen also, der uns gegenüber saß, und den Hintermännern, die die Angriffe auf die DDR planten und Personen wie Hannes Sieberer als Werkzeug mißbrauchten.

F: Herr Sieberer, was hat Sie denn dazu gebracht, gegen die DDR zu spionieren? Abenteuerlust, politische Überzeugung?

Sieberer: Eine Kombination von beidem. Aus unserem Buch geht ja hervor, daß ich antikommunistisch und proamerikanisch war. Ich habe also für die USA gearbeitet, ich wollte einen Beitrag für die Freiheit der demokratischen Gesellschaft leisten. Daß die Stoßrichtung gegen die DDR ging, hing mit meinen persönlichen Kontakten dorthin zusammen. Es hätte auch Polen oder die Sowjetunion sein können.

F: Sehen Sie sich auch heute noch als antikommunistisch und proamerikanisch?

Sieberer: Ich habe heute zur Politik ein gespaltenes Verhältnis, ich bin reifer geworden und stehe ein wenig über den Dingen. Liberal - das wäre die richtige Beschreibung. Ich bin Anhänger der freiheitlich-­demokratischen Grundordnung. Kommunist bin ich zwar nicht geworden - ich habe aber überhaupt nichts gegen Kommunisten.

F: Das MfS wird heute immer noch von vielen Medien als Inbegriff des Bösen dargestellt. Sehen Sie das auch so, nachdem Sie mit diesem Ministerium nicht gerade die besten Erfahrungen gemacht haben?

Sieberer: Ich bin zunächst einmal Österreicher und habe daher einen ganz anderen Zugang zu diesem Thema als viele Deutsche. Der innerdeutsche Ost-West-Konflikt berührt mich daher weniger. In Österreich gibt es viele Menschen, die entsetzt darüber sind, daß auch 15 Jahre nach dem Ende der DDR noch soviel Haß geschürt wird. Wir Westspione haben die Mitarbeiter des MfS als Gegner gesehen, die ihren Job gemacht haben - genauso wie wir. Hinzu kommt, daß wir diese Behörde differenziert betrachtet haben: Da gab es zum einen die Auslandsaufklärung und zum anderen die Abwehr. Ein Teil des MfS war mit der Herrschaftssicherung der SED im Inneren der DDR befaßt - den haben wir in unserem Bewußtsein ausgeblendet, damit hatten wir nichts am Hut. Andere Spione der USA vertreten gegenüber dem MfS die gleiche, eher sachliche, Position wie ich.

F: Herr Kierstein, die DDR war böse und das MfS war noch böser. Und Sie steckten mittendrin. Wie wirken solche Vorwürfe auf Sie?

Kierstein: Ich habe 30 Jahre lang im MfS gearbeitet. 25 Jahre lang war ich in der Haftanstalt Hohenschönhausen Untersuchungsführer, zuletzt in leitender Position. In unserem Buch habe ich darüber geschrieben und mich auch zu den Angriffen auf das MfS geäußert, die im Grunde nichts weiter sind als politischer Rufmord.

Die Praxis sah ganz anders aus als das, was uns ständig vorgeworfen wird - wobei ich jetzt natürlich nur für den Bereich sprechen kann, in dem ich tätig war. Die Menschen, mit denen wir zu tun hatten, wurden von uns als Werkzeuge der Gegenseite, nicht als Feinde betrachtet. Je sachlicher und entgegenkommender wir mit ihnen umgingen, desto größer war die Chance, das zu erfahren, was wir noch nicht wußten. Da ging es z.B. um Details über ihre Führungsoffiziere, Arbeitsweisen, operative Planungen der Gegenseite usw.

F: In den Medien wird dem MfS aber ein rüder Umgang mit Verhafteten unterstellt ...

Kierstein: Wie Sie sagten - es sind Unterstellungen. In der ganzen Welt werden Gespräche in einzelnen Zellen der Untersuchungsgefängnisse abgehört - in der DDR war das natürlich auch der Fall. Über uns aber werden laufend Horrorgeschichten erzählt. Dazu ein Beispiel: Die Autorin des Buches »Doppelte Überwachung«, Rita Selitrenny, führt den Fakt, daß meine Abteilung 1984 44 Tonbandgeräte erhielt, als Beleg für flächendeckenes Abhören an. Es war aber ganz anders: Die Geräte waren dazu da, Vernehmungsgespräche zu protokollieren. Das ging nach strengen Regeln vor sich, und zwar so, daß alles dokumentiert wurde, was laut Strafprozeßordnung nötig war.Und das war auch im Interesse des Beschuldigten. Wenn es später im Gericht zu unterschiedlichen Interpretationen der Beweislage kam, konnte sein Verteidiger beantragen, das Band noch einmal abzuspielen. Auch für uns war das wichtig - wir konnten anhand der Aufzeichung die weiteren Vernehmungen planen. Und da alles aufgezeichnet wurde, konnte es sich kein Untersuchungsführer leisten, unsachlich zu werden. Ich weiß übrigens, wovon ich rede: Zu Beginn meiner Tätigkeit als Untersuchungsführer habe ich einmal einen Beschuldigten zurückgestoßen, weil ich eine Bewegung von ihm als Bedrohung mißverstand. Ich wurde deswegen disziplinarisch mit Arrest bestraft.

Frau Selitrenny macht daraus jedoch ein antikommunistisches Drama. Uneingeweihte bekommen aus der Lektüre ihres Buches den Eindruck: Mein Gott, wie schrecklich war das alles, die hatten 44 Tonbandgeräte. Damit wurde ja alles überwacht. Sie kommt erst gar nicht auf den Gedanken, daß wir uns mit Hilfe dieser Technik um eine sachliche Dokumentation der Vernehmungen bemüht haben könnten.

F: Die Vorwürfe gegen das MfS gipfeln darin, in der Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen habe es Folterzellen gegeben. Sie waren beide dort, was sagen Sie dazu?

Kierstein: Wir waren nicht nur damals dort - wir haben die heutige Gedenkstätte vor einiger Zeit auch gemeinsam aufgesucht. Und wir sind beide zu dem Ergebnis gekommen, daß das, was dort präsentiert wird, nichts weiter als Verdrehung und Lüge ist. Und das wird von den regierenden politischen Kräften nicht nur gefördert, sondern auch finanziert. Da gibt es in der Gedenkstätte z. B. das »U-Boot« -angebliche Zellen zur Wasserfolter. In den Jahrzehnten, die ich dort gearbeitet habe, war dieser Trakt eine Großküche zur Versorgung des Personals. Nicht nur dort, sondern auch anderswo hat es nie Folterzellen gegeben -jedenfalls nicht, seitdem diese Haftanstalt unter DDR-Verwaltung war. Da wird gelogen, was das Zeug hält.

F: Sehen Sie das aus der Perspektive des Häftlings auch so?

Sieberer: Genauso. Ich war 1982 in Hohenschönhausen. Nachher war ich in Bautzen II gemeinsam mit vielen anderen verurteilten Spionen inhaftiert, die vorher ebenfalls in Hohenschönhausen waren. Zu vielen von denen habe ich heute immer noch Kontakt. Von diesen Gruselstories hat niemand etwas gehört - es ist alles Quatsch, was da verbreitet wird, das ist einfach nur noch lächerlich.

F: Wie waren die Reaktionen auf Ihr gemeinsames Buch?

Sieberer: In Österreich waren sie sehr gut. Die Medien dort sind stark an dieser Geschichte interessiert. Wir Österreicher haben auch ein anderes Verhältnis dazu, wir hatten normale Verhältnisse zur DDR. Was interessiert es uns, ob die DDR nach bundesdeutscher Völkerrechtsauslegung als Staat nicht anerkannt war?

Kierstein: Nach der Wende mußte ich mir eine neue Existenz aufbauen. Ich bekam Kontakt zu westeuropäischen Unternehmen, die sich in Zusammenarbeit mit Consultingfirmen um Aufträge aus Osteuropa bemühten. Diese Firmen zogen ehemalige Geheimdienstleute als Mitarbeiter vor - auch aus dem Westen. Mit mir arbeiteten z.B. Ehemalige vom britischen oder niederländischen Geheimdienst, auch vom Bundesnachrichtendienst oder Verfassungsschutz. Viele von denen kenne ich heute noch. Dann gibt es meine unmittelbaren Nachbarn, die jahrelang nicht wußten, wo ich tatsächlich arbeitete. Ich bekomme von all diesen Menschen nur positive Reaktionen auf das Buch. Ich werde sogar oft aufgefordert, noch mehr darüber zu schreiben. Selbst weitläufige Verwandte aus Westdeutschland, die nie in ihrem Leben in der DDR waren, haben mir zustimmende E-Mails geschickt oder mich angerufen.

F: Warum gibt es eigentlich Spionage? Haben Geheimdienste nicht auch die Funktion, Überraschungen auszuschließen und den Frieden zu sichern?

Sieberer: Ich habe versucht, die Diskussion über Geheimdienste zu versachlichen, indem ich 1990 über dieses Thema promovierte. Daß die Friedenssicherung ein sehr wichtiger Aspekt ist, hat auch die Konferenz »Spionage für den Frieden?« am 7. Mai 2004 in Berlin bestätigt. Kriege entstehen oft durch Furcht und Unwissenheit. Und dem kann man durch Aufklärung begegnen.

 F: Geheimdienste als systemübergreifende Friedensbewegung?

Sieberer: Geheimdienste gibt es seit Menschengedenken. Sie haben sich aus dem Bestreben der jeweils herrschenden Gesellschaftsschicht entwickelt, sich über andere Kräfte zu informieren. Im Lauf der Zeit zeigte sich, daß sie mitunter auch friedenserhaltende Beiträge leisten. Im kalten Krieg hat das eine entscheidende Rolle gespielt - die Geheimdienste haben dazu beigetragen, daß daraus kein heißer Krieg wurde.

Schramm: Geheimdienste waren immer Machtinstrumente der jeweils herrschenden Klasse. Sie sind Teile des Staatsapparates. Ihre friedenserhaltende Funktion ist aber geschichtlich begrenzt: Die haben sie z. B. in der Zeit des kalten Krieges ausgeübt - zu einer Zeit also, als angesichts des militärischen Kräftegleichgewichts zweier Weltmächte jede politische Unbedachtsamkeit die Welt hätte vernichten können. Die Geheimdienste beider Seiten haben dazu beigetragen, die Lage objektiver einschätzen zu können. Heute gibt es allerdings nur noch die Weltmacht USA - und deren Geheimdienste sind alles andere als friedenserhaltend. Im Gegenteil: Sie bereiten Kriege vor, wie wir im Irak gesehen haben.