Neues Deutschland vom 20. Mai 2010, Seite 17 (Politisches Buch)
Auskünfte über eine Behörde - ein neues Kompendium über das MfS
Ohne Zorn, aber mit Eifer
Fünfundzwanzig ehemals führende
Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit haben Werner Großmann, ab 1986
als Generaloberst Leiter der HV A, und Wolfgang Schwanitz, ab Dezember 1989 als
Generalleutnant Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit der DDR, um sich geschart,
um gemeinsam ein Kompendium vorzulegen, das »Auskünfte über eine Behörde« gibt,
die seit 20 Jahren im Fadenkreuz sowohl berechtigter Kritik als auch
sensationsgieriger Polemik steht. Schon ihre Konzeption, »Fragen an das MfS« zu
beantworten, verspricht eine offene Auseinandersetzung und dieses Versprechen
wird weitgehend eingehalten. Das Werk ist deutlich selbstkritischer als die
bisherigen Publikationen aus den Reihen der Ehemaligen, ohne sich grundsätzlich
von den Traditionslinien zu entfernen und den »Tschekistenstolz«
abzulegen. Es behandelt alle wesentlichen Fragen, die seit 1990 aufgeworfen
wurden. Auch, was die Sprache betrifft, haben sich die Autoren frei gemacht von
MfS-Idiomen und der »Dienstsprache« und unterhalten bisweilen sogar mit
ironischen Untertönen.
Die rund 200 Fragen und
Antworten decken ein weites Spektrum ab, zeitlich von der Mobilmachung zum
Kalten Krieg bis zur Diskussion um die gegenwärtige (grundsätzlich bejahte)
Notwendigkeit von konspirativen Behörden, thematisch vom Einsatz von
Romeo-Agenten über die in Einzelfällen eingeräumte Vertuschung von tödlichen
Grenzzwischenfällen bis zum Auslandsengagement des DDR-Dienstes.
Breiten Raum und eine
fundierte Darstellung finden die Debatten um den Antifaschismus der DDR und der
Vergleich mit, der extensiven Nutzung der NS-Eliten in der BRD. Die Aussage, »eine
Zusammenarbeit mit nachweislichen NS-Verbrechern war für das MfS tabu«, ist
jedoch nachweislich zu apodiktisch. In wenigen Fällen wurden Kriegsverbrecher
wie der ehemalige SS-Obersturmführer Hans Sommer als Spion gegen die
SS-Offiziere in der Organisation Gehlen und dem BND eingesetzt. Die
Auseinandersetzung mit Kinoerfolgen wie »Das Leben der anderen« und mehr noch »Die
Frau vom Checkpoint Charly« erhellt, dass filmisch das Ende der
Propagandaindustrie noch nicht eingeläutet wurde. Dass das wirkliche Leben oft
schillernder ist als die filmische Scheinwelt, wird am Beispiel von Robert Havemann deutlich: Der Parade-Dissident der Westmedien war
Nazigegner und zugleich Sicherheitsbeauftragter der Gestapo, Regimekritiker an
der DDR, aber auch zeitweise Mitarbeiter des sowjetischen und ostdeutschen
Nachrichtendienstes.
Widerlegt werden die Vorwürfe
zur aktiven Unterstützung des internationalen Terrorismus ebenso wie solche zur
Entsendung von Killerkommandos. Allzu schnell ziehen sich die Autoren
allerdings da aus der Affäre, wo es um Entführungen in die DDR geht. Mehrere
Hundert Menschen wurden vom MfS vornehmlich vor 1961 verschleppt und in vielen
Fällen anschließend hingerichtet. Die Bewertung, sie hätten sich »schwerer«,
also todeswürdiger Verbrechen gegen die DDR schuldig gemacht, ist eindeutig überzogen.
Die Legitimation von DDR-Maßnahmen
schöpfen die Autoren zum einen aus der Einbettung dieser Aktionen in den Kalten
Krieg und zum anderen durch Vergleiche mit dem Verhalten westlicher Staaten.
Auf diese Weise wird die »Notbremse« Mauerbau erläutert und zugleich der Blick
auf das gegenwärtige EU-Grenzregime mit mehr als 3000 Todesfällen von 1993 bis
2002 gerichtet. Dass eine solche Betrachtungsweise nicht an den Haaren
herbeigezogen ist, hat die angesehene Pariser Zeitschrift »DIPLOMATIE« anlässlich
des 20. Jahrestags des Mauerfalls deutlich gemacht, indem sie illustrierte, wo
noch heute von Korea über Palästina bis zur Grenze zwischen Mexiko und den USA todbringende
Mauern teilen. Gegenüber dieser globalen Sichtweise werden jedoch jene
westdeutschen Intellektuellen noch lange fremdeln, die mit dem Tunnelblick der
Totalitarismusforschung aufgewachsen sind.
Bei ihnen stößt sicher auch
die Behauptung auf Skepsis, es habe ab den 1950er Jahren in der DDR eine
wachsende Bereitschaft gegeben, freiwillig und aus politischer Überzeugung als
IM für die Sache des Sozialismus tätig zu werden. Eine Studie der Organisation
Gehlen aus diesen Jahren hält dazu korrespondierend fest, die Anwerbung eigener
Agenten sei durch die erfolgreiche »Bolschewisierung«
der jungen DDR-Generation deutlich schwieriger geworden. Bislang gilt: Je mehr
westliche Geheimdokumente zu Tage treten, desto mehr kippen die von Vorurteilen
geprägten Zweifel an der Validität ostdeutscher Erfahrungen.
In der MfS-Kritik wurde vielfach
unterbewertet, dass der ostdeutsche Geheimdienstapparat nicht wie in so mancher
westlichen Demokratie zum Staat im Staate tendierte, sondern unter direkter
Kommandogewalt der SED stand, die sich auch nicht scheute, dem MfS die Schuld für
den Aufstand am 17. Juni 1953 in die Schuhe zu schieben. Das zeitigte Konflikte
zwischen einer verbohrten Staats- und Parteiführung und eines näher am Puls der
Menschen und der Wirtschaft befindlichen Aufklärungsdienstes, dessen
progressivere Positionen bislang unterschätzt wurden, beispielsweise da, wo es
1989 um Vorschläge des MfS an das Politbüro ging, in einen Dialog mit
oppositionellen Gruppen einzutreten, die von Hardlinern jedoch blockiert
wurden.
Gregor Gysi, Hans Modrow und Markus Wolf
hätten nach dem Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik vereinbart, dem
MfS für alle Fehlleistungen der DDR den Schwarzen Peter zuzuschieben, um einer
aus der Schusslinie genommenen SED-PDS den Aufstieg in der Parteienlandschaft
zu erleichtern, heißt es. Sofern diese vielfach kolportierte These zutrifft,
bedeutet dieses Buch auch das Ende der Bereitschaft, das eigene Ansehen der
Parteiräson unterzuordnen und weiterhin als »Vehikel für Diffamierungsabsichten«
zu dienen. 20 Jahre nach der Entwaffnung des Arms, der das Schwert hielt, sinkt
auch der Schild.
Werner Großmann/Wolfgang Schwanitz (Hg.):
Fragen an das MfS. Auskünfte über eine Behörde, Edition Ost, Berlin. 398 S.,
br., 17,95 €.