junge Welt
07.02.2011 / Politisches
Buch / Seite 15
Auf Gegenseitigkeit
Werner
Großmann und Wolfgang Schwanitz
beantworten 200 Fragen zum MfS
Bodo Wegmann
Wieder ein Buch über die Staatssicherheit
der DDR - wieder ein breites Spektrum der Reaktionen. »Zwei Spitzenfunktionäre eines
verbrecherischen Systems verteidigen ihr >Lebenswerk<«, schreibt ein Amazon-Rezensent und legt
die Attribute »extrem gefährlich« und »volksverhetzend« nach. Dagegen sieht es ein anderer Kritiker als »sehr selbstkritische, unverklärte und damit objektive
Rezension zur Geschichte und Arbeit des MfS« und schätzt seine »hervorragende Objektivität«.
Bewußt haben die Herausgeber
ihr Vorwort mit dem 8. Februar datiert: es ist der Gründungstag des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS)
1950. Werner Großmann war damals junger
Student in Dresden, Wolfgang Schwanitz machte eine kaufmännische Lehre. Als Großmann 1952 in die
Auslandsaufklärung (die spätere HV A) eintrat, war
Schwanitz schon bei den Abwehrorganen des MfS. Knapp vier Jahrzehnte später waren beide Stellvertreter Erich Mielkes, des Ministers für Staatssicherheit, im Generalsrang. In den 20 Jahren seit dem
Ende ihres Staates und seines MfS haben sich beide weder ihrer Verantwortung
entzogen, noch die Öffentlichkeit gescheut.
Immer wieder haben sie und andere Ehemalige sich Fragen gestellt -gegenüber Einzelnen ebenso wie gegenüber großem Publikum, der Wissenschaft und den Medien. So unterschiedlich
die Fragesteller, so ähnlich waren und sind
oft die Fragen. Es lag nahe, die Antworten so zusammenzufassen, daß
sie der Nachwelt erhalten bleiben.
Historischer Vergleich
Im Laufe der Zeit hatte die Staats- und Parteiführung der DDR das Aufgabenrepertoire des MfS beständig erweitert. Je mehr sie sich politischen Debatten nicht
stellen wollte oder konnte, desto mehr verschob die Staatsmacht den Lösungszwang auf die Staatssicherheit. So erklären es auch die Autoren, und so ergibt sich die thematische
Vielfalt der rund 200 Fragen, auf die sie in dem Band »Fragen an das MfS. Auskünfte über eine Behörde« zusammen mit zahlreichen anderen ehemaligen MfS-Angehörigen Antwort geben. Dennoch haben sich die Herausgeber bemüht, sich nicht in Details zu verlieren, sondern Übergreifendes zu berücksichtigen. Der
historische Vergleich zu Einrichtungen mit entsprechenden Aufgaben in anderen Ländern wird oft bemüht, ganz besonders mit
Bezügen zum anderen deutschen Staat. Hier wie an
vielen weiteren Stellen wird auch jene politische Dimension beleuchtet, die das
gegenseitige Selbstverständnis ebenso erklärt wie die selbstverständliche Gegenseitigkeit
der geheimen Dienste von Ost und West im Kalten
Krieg.
Die Zahl der Menschen, die diese Periode und ihre Bedingungen
nicht mehr selbst erlebt haben, wächst ständig. Um besonders auf die jüngere Generation
zuzugehen, haben die Autoren bewußt deren Fragen aufgenommen, eine
sachlich-lockere Sprache gewählt und die Antworten
kurz gehalten: Zur Aufklärung im »Operationsgebiet«, also der
Bundesrepublik und Westberlin, zu kooperativen Beziehungen mit den Sicherheitsorganen
anderer Staaten des Warschauer Vertrages und zu Befreiungsbewegungen in der »Dritten Welt«. Breiten Raum nimmt die
Frage zum Wissen und Handeln des MfS in bezug auf den
Terrorismus ein. Die Antworten reichen vom berühmten »Carlos« bis zu den Aussteigern
der Roten Armee Fraktion, die in der DDR ein neues Leben aufgebaut hatten.
Rechtsverständnis
Es geht um »hat das MfS gemordet?«,
um angebliche Killerkommandos, tödliche Röntgenkanonen, »Das Leben der Anderen« und »Die Frau vom Checkpoint
Charly«, Geschichten, die ins Reich der Fabeln zurückverwiesen werden. Dem ebenfalls gerne kolportierten Bild, das
MfS sei ein »Staat im Staate« gewesen, »vor dem sich offenbar alle gefürchtet« haben, setzen Großmann, Schwanitz und ihre
Mitautoren Argumente entgegen. Viel wissend war nicht allmächtig, und darum konnte das MfS schlichtweg »1989 nicht die DDR retten«.
Nicht jede Antwort befriedigt den Leser, manche wird ihn gar
verwundern. Nicht nur Juristen werden einige Antworten zum Rechtsverständnis kritisch aufnehmen. Unumwunden wird zwar zugegeben, »das MfS hat das Postgeheimnis verletzt«. Aber es gab ja das »Statut des MfS«, das hier wie an manch anderer Stelle als Handlungslegitimation
vorgeschoben wird. Alle Verfassungen der DDR (1949, 1968, 1974) garantierten
die Unverletzbarkeit des Post- und auch des Fernmeldegeheimnisses; ein
Gesetzesvorbehalt wies ihre Einschränkbarkeit aus. Die beiden Statuten für das MfS waren allerdings »Geheime Kommandosachen«, unterlagen als solche höchster Geheimhaltung und waren damit alles
andere als ein eine allgemeine Rechtsgrundlage
bildendes Gesetz.
Die Antworten dieses Buches sind eine authentische Quelle für Wissenschaftler und Journalisten sowie aufschlußreich für jeden, der sich für das komplexe Thema
Staatssicherheit der DDR interessiert. Hubertus Knabe irrt mit seiner Einschätzung, es sei »der letzte Aufschrei der
Obristen«.
Werner Großmann/Wolfgang Schwanitz (Hrsg.): Fragen an das MfS - Auskünfte über eine Behörde, edition ost,
Berlin 2010, 398 Seiten, 17,95 Euro