„Ossietzky“, 23/2006, Seite 899
Die Stasi
ist an allem schuld
In den
vergangenen Monaten haben verschiedene deutsche Zeitungen das Buch »Aschemenschen«
des Schweizer Journalisten Ulrich Schmid rezensiert. An der Handlung des Buches insgesamt zeigten sie sich wenig interessiert, umso mehr
am zweiten Teil, wo ein fieser Deutscher namens Gerd auftaucht. Er hat, wie kann es anders sein, früher bei
der Stasi gearbeitet. Mehr noch, er war auch Berater der äthiopischen Sicherheitskräfte
für Verhöre und Folter und am
»Roten Terror« unter Präsident Mengistu Haile Mariam beteiligt. Auf das fiktive
Geschehen stürzten sich die Rezensenten, als wäre es Realität.
Auch 3SAT
stellte das Buch in seiner Sendung »Kulturzeit« vor. Der Berliner Afrika-Histonker und -Politikwissenschaftler Ulrich van
der Heyden sah sie, nachdem er zufällig am selben Tag die Akten aus der Behörde
der »Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der
ehemaligen DDR« studiert hatte, die die Filmemacherin Julia Fensterer
als Belege für den Foltervorwurf heranzieht. Da der Wissenschaftler aus den
Akten wie auch aus seiner jahrelangen Beschäftigung mit dem Thema zu ganz
anderen, gegenteiligen Schlüssen gelangt war, wandte er sich an die 3SAT- Redaktion.
Kurz darauf antwortete ihm die Filmemacherin, sie habe »bewußt
nicht - wie andere Medien ... - behauptet, daß die
Stasi in Äthiopien gefoltert oder gar gemordet hat. Das läßt
sich in der Tat nicht nachweisen und das halte ich auch nicht unbedingt für
wahrscheinlich. Es ging um die Aussage, daß die Stasi
ein Regime, das auch vor Folter nicht zurückschreckte, massiv unterstützt hat -
nicht nur finanziell, sondern auch ideologisch...« Sie sei keine
Wissenschaftlerin, sondern Journalistin und habe die Auswertung der Dokumente
in enger Abstimmung mit der Birthler-Behörde vorgenommen, teilte die Autorin
mit.
In der 3SAT-Sendung hieß es unter anderem:
»Die Stasi war an der Folter in Äthiopien beteiligt.«
Das Mengistu-Regime habe »womöglich Hunderttausende vermeintlich
Oppositionelle verhaftet, gefoltert und hingerichtet ... Die Staatssicherheit
aus der DDR war als Vorbild und Lehrmeister dabei.«
Das war die Version für die Öffentlichkeit. Wann wird 3SAT die kühnen,
nicht nachweisbaren Behauptungen zurücknehmen? Oder haben Journalisten und
Filmemacher alle Freiheit, der »Stasi« jedes erdenkliche Verbrechen anzulasten?
Geschichtspropagandisten blasen die DDR zu einem Monster auf, hinter dem der
Faschismus verschwindet.
Es gab im vergangenen Jahrhundert eine Zeit,
in der Äthiopien Schauplatz eines Massenmordes wurde, verübt von den Truppen Mussolinis,
des engsten Verbündeten Hitler-Deutschlands.
Wer spricht noch davon? Wer weiß noch davon? Verdrängte, entsorgte Vergangenheit.
E..S.