Neues Deutschland
07.04.07
Du sollst nicht falsch Zeugnis geben
Vorab: Notizen zu einer Ausstellung über Antisemitismus in der DDR
Von Kurt Pätzold
»Der Staat
aber erklärte die Bevölkerung zu Antifaschisten. Auch in den Familien oder
Gemeinden fand in der Regel keine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
statt. So blieb der Bodensatz des Antisemitismus unangetastet.«
Diese drei Sätze sind einer Einladung zu einer Ausstellung entnommen, die am
11. April in Berlin im Wappensaal des Roten Rathauses eröffnet und anschließend
im Rathaus Lichtenberg zu sehen sein wird und Beweise für die weniger kühnen
als dreisten Behauptungen liefern soll.
Die Aussagen der Einladung sind eindeutig. Sie bezeugen ein seit, 1990 ungestilltes Bedürfnis.
Der
untergegangene ostdeutsche Staat soll
seines Charakters als antifaschistisches Staatswesen
entkleidet werden. Dass er
sich so darstellte, wird als bloße Lüge zum Zwecke seiner Legitimation dargestellt. In Wahrheit
habe er die Hinterlassenschaft des Naziregimes, hier Bodensatz genannt, »unangetastet« belassen. Die Verfechter der
These spekulieren womöglich auf jene Wirkung, auf die
auch Joseph Goebbels vertraute, der meinte, eine Lüge müsse nur oft genug wiederholt
werden, damit sie auch geglaubt würde. So verfuhren die Nazis mit
der haltlosen Anschuldigung und Kampfansage »Die Juden sind
unser Unglück«, formuliert
von dem preußisch-deutschen Historiker
Heinrich von Treitschke, der noch immer Namensgeber einer Straße in einem Westberliner Bezirk ist. Und wie der
Propagandaminister mögen seine gelehrigen Schüler auf die Unwissenheit der Adressaten hoffen, zu der sie
durch unterschlagene Informationen und verbreitete Falschinformationen kräftig beitragen. Dieses Verfahren ein wenig zu erschweren,
kommen wir im Folgenden auf einige Fakten aus der Geschichte des Staates DDR,
denn um ihn geht es, nicht um Familien und irgendeine oder eine Anzahl von
nicht genannten Gemeinden zwischen Ostsee und Erzgebirge.
Im letzten Jahr vor dem
Ende der DDR arbeiteten die aus dem Staatshaushalt finanzierten Studios der
DEFA in Potsdam-Babelsberg und die ihnen verwandten Einrichtungen des
Fernsehfunks in Berlin-Adlershof an einem künstlerischen und ideologischen Programm weiter, dem sie
seit Langem folgten. Dazu gehörte, dass 1988/1989 insgesamt
sieben Dokumentarfilme fertiggestellt wurden, deren
Gegenstand oder Thema die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden waren. »Jeder konnte
es sehen - Novembertage« hieß der Film von Karl Gass, des
Altmeisters des Dokumentarfilms in der DDR, der unlängst seinen 90. Geburtstag feierte. Seine Bilder
widerlegten einmal mehr die hartnäckig verbreitete Lüge, dieses und jenes der massenhaft begangenen Verbrechen
sei ganz geheim geschehen, eine Ausrede, der auch ein sozialdemokratischer
Bundeskanzler aufhalf, als er behauptete, in seiner Kieler Kaserne sei von dem
Pogrom des November 1938 nichts zu erfahren gewesen. Über den größten jüdischen Friedhof in Mitteleuropa drehte Roza Berger-Fiedler
den Streifen »Erinnern heißt leben - Weißenseer Friedhof«. Von den Schikanen,
die Stuttgarter Juden erlitten, hatten sich Aufnahmen erhalten, die von der
Gestapo gemacht worden waren. In der Bundesrepublik war der Fund unverwertet geblieben.
Gerhard Scheumann und Walter Heynowski schufen in
ihrem Studio »Die Lüge und der Tod«. Konrad Weiß' Film »Ich bin klein aber wichtig -
Janusz Korczak« wandte sich
besonders, aber natürlich nicht nur an junge Leute
und Pädagogen. »Herr Schmidt von der Gestapo.
Filmische Dokumentation einer Beamtenkarriere« nannte
wiederum Roza Berger-Fiedler jenen Dokumentarfilm, den sie vom Prozess gegen
einen spät entdeckten, dann vor Gericht gestellten Gestapomann
machen konnte. Und ein weiterer Streifen der gleichen Autorin und Regisseurin
hatte »Die Nacht als die Synagogen brannten« zum Thema. »Mann an der Rampe« hieß ein Film
aus der Werkstatt von Scheumann und Heynowski. Keine
Frage, dass die Dichte dieser Filmreihe, die man sich auf einer in Schulen
verwendbaren DVD wünschen könnte, durch den 50. Jahrestag jenes Verbrechens
mitbestimmt war, das am 9. November 1938 und in der Folge verübt worden war.
Doch bedeutete diese
Zuwendung keinen Wandel. Sie setzte eine schon in der »Zonen«-Zeit begonnene
Arbeit fort. In der Erinnerung mehrerer Generationen von DDR-Bürgern blieb sie vor
allem mit den Spielfilmen »Ehe im Schatten« (Kurt Maetzig,
1947), »Affäre Blum« (Erich Engel, 1948), »Sterne« (Konrad Wolf, Angel
Wagenstein, 1959), »Professor Mamlock« (Konrad Wolf,
1961), »Nackt unter Wölfen« (Frank Beyer, 1963), »Jakob der Lügner« (Frank
Beyer, 1974). Der unvollständigen Aufzählung ließen sich Zahlen über die
Besucher der Vorführungen anfügen, nicht zustande gekommen, weil Junge und Alte
in Klassen oder Brigaden in die Kinos heilsam genötigt worden wären. Jede
dieser Filmhandlungen forderte zu Parteinahme heraus und nicht wenige
berichteten davon. So auch »Sterne«, dessen Geschichte in die Wandlung eines
Wehrmachtssoldaten mündet, der in Bulgarien Zeuge des Abtransports griechischer
Juden in den Tod von Auschwitz geworden war. Der Film gelangte zu einem Verleih
in der Bundesrepublik und sollte in den Vorteil gebracht werden, den ein
lobendes Prädikat ihm verschaffen konnte. Es wurde erteilt, jedoch an eine
Bedingung geknüpft. Der Schluss, die einsetzende Wandlung, war als unglaubwürdig
zu tilgen. Das geschah. Soviel zum Staat und seinen Filmproduktionsstätten. Dem
könnte eine Darstellung der einschlägigen Buchproduktion aus den zumeist
volkseigenen Verlagen folgen, der voranzuschicken wäre, dass auch sie (wie
sonst wären die Buchpreise zu halten gewesen) staatlich hochsubventioniert
wurde. An ihr waren die Schriftsteller Friedrich Wolf, Lion
Feuchtwanger, Stephan Hermlin, Jurij Brezan, Bruno Apitz, Franz Fühmann, Rolf
Hochhuth, Peter Weiß, Jurek Becker, Rosemarie Schuder
und Rudolf Hirsch und viele andere beteiligt. Zu ihr trugen Wissenschaftler
bei, in deren Reihe Georg Lukacs, der Ökonom Siegbert Kahn, der Jurist
Karl-Friedrich Kaul, der Kirchenhistoriker Kurt
Meier, der Philosoph Wolfgang Heise, der Romanist Victor Klemperer gehören.
Schon in dieser Aufzählung scheinen die Namen verfolgter Juden auf. Opfer des
antijüdischen Terrors erinnerten sich und schrieben eindrucksvolle und vielgelesene Bücher. Peter Edels »Wenn
es ans Leben geht« mag hier für sie alle stehen.
Welch Ignoranz und
Missachtung gegenüber dem, was Menschen erlitten und leisteten, drücken sich in
Texten wie dem zitierten aus, die auf den ersten Blick »nur« der Diffamierung
des ostdeutschen Staates dienen. Der hat auch auf diesem Felde Unterlassungen
und Versagen aufzuweisen. In der Frühphase der DDR hat es zeitweilig eine
politisch sektiererische, verständnislose und dumme Politik gegenüber jüdischen
Gemeinden mit verheerenden, nicht wieder zu behebenden Folgen gegeben, die zu
Flucht und Weggang von Juden »in den Westen« führte. Lange mangelte es der
Erinnerung in öffentlichen Räumen an Konkretheit, präzisen
Angaben über Umstände und Personal, von dem Verbrechen verübt wurden, was die
gedankliche und emotionale Provokation herabsetzte. Manchen Opfern wurde aus Gründen
politischer Differenz das Gedenken verweigert. Auch davon soll nichts vergessen
sein. Doch was die Bekämpfung der Ideologie des Rassismus und des rassistischen
Antisemitismus betrifft, hat die DDR, ohne und nicht nur wegen der
Nachbarschaft der Bundesrepublik einen Totalerfolg erzielen zu können, eine
Hinterlassenschaft aufzuweisen, die ohne erkennbares Verfallsdatum ist und in
ihren besten Hervorbringungen zum unverlierbaren Bestand nationaler und
internationaler Kultur gehört. Das wird ungewollt eingestanden durch den
Versuch, Antizionismus, eine nicht nur bei Sozialisten anzutreffende Haltung,
und Antisemitismus gleichzusetzen. Über diese Brückenkonstruktion soll sonst
fehlendes Beweismaterial für den ostdeutschen Antisemitismus herangeschafft
werden - für Unbedarfte. Nein, einen Staatssekretär Hans Maria Globke hat es bei uns wirklich nicht gegeben.
Prof.
Pätzold lehrte, forschte und publizierte an der
Humboldt-Universität Berlin über die Geschichte des faschistischen
Antisemitismus. Der Anlass seines kritischen Essays wird als Wanderausstellung zum Leihpreis von
100 Euro feilgeboten.