Junge Welt
06.04.2013 /
Schwerpunkt / Seite 3
»Ohne jede inhaltliche Prüfung«
Glaubwürdigkeit in Sachen
Terrorismusbekämpfung: Wer in der DDR unter anderem wegen »Boykotthetze« verurteilt wurde,
gilt in der BRD als rehabilitiert. Ein Gespräch
Peter Wolter
Hans Bauer ist
Rechtsanwalt in Berlin und war bis 1990 stellvertretender Generalstaatsanwalt
der DDR
Das Landgericht
Berlin hat jetzt ein Urteil des Amtsgerichts über 1 200 Euro gegen Ihren Mandanten Wolfgang Schmidt bestätigt - wegen »Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener«. Der Verstorbene hieß Johann Burianek, er wurde vor
51 Jahren vom Obersten Gericht der DDR zum Tode verurteilt. Was wurde ihm vorgeworfen?
Verbrechen,
die er mit einer Gruppe in den Jahren 1951 und '52 begangen hatte, darunter
Anschläge
auf die Weltjugendfestspiele, Spionage und Sabotageakte. Das schwerwiegendste
war die Planung und Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen auf Eisenbahnbrücken. Eine Brücke bei Erkner sollte in
dem Moment in die Luft fliegen, in dem der »Blaue Express« regelmäßig Richtung Moskau rollte -
bei einem Gelingen des Anschlags wären mit Sicherheit viele Menschen ums Leben
gekommen.
Verurteilt
wurde er auf Grundlage von Artikel 6 der DDR-Verfassung, der Verbrechen der
Boykotthetze unter Strafe stellte und der Kontrollratsdirektive 38. Kein
DDR-Gesetz, sondern Richtlinien der Alliierten »zur Verhaftung und Bestrafung von
Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle
und Überwachung
von möglicherweise
gefährlichen
Deutschen.«
Gibt es heute irgendwelche
Zweifel an den Handlungen Burianeks?
Daran
selbst gibt es keinen Zweifel - Es gab objektive Beweismittel; Burianek und sechs weitere Angeklagte hatten außerdem vor Gericht Geständnisse abgelegt. Burianek war der Kopf der Bande, die im Auftrage und mit
Unterstützung
der »Kampfgruppe
gegen Unmenschlichkeit«
handelte.
Er hat Personen- und schwere Wirtschaftsschäden angerichtet, aber keine Menschen getötet. Ist da ein Todesurteil gerechtfertigt?
Das
Todesurteil läßt sich wohl nur aus der
Zeit heraus begreifen, es war sechs Jahre nach Kriegsende. Das Verhältnis zur Todesstrafe war damals in ganz Europa
völlig
anders. Nach heutigen Maßstäben kann man darüber streiten. Damals tobte der Kalte Krieg. Ein
Wirtschaftskrieg und 80 Geheimdienste wüteten gegen die junge DDR.
Ihr Mandant hatte Burianek auf
seiner Internetseite als »Bandit»
und »Anführer einer terroristischen Vereinigung« bezeichnet. Warum darf man das nicht sagen, wo doch
niemand seine Terroraktivitäten bestreitet?
Beide
Instanzen beriefen sich auf die Rehabilitierung Burianeks
2005, die nach dem Rehabilitierungsgesetz aus dem Jahre 1992 erfolgte. Nach
diesem Gesetz konnten alle Verurteilungen der DDR, die sich auf den Vorwurf der
Boykotthetze bezogen, als rechtsstaatwidrig erklärt werden - ohne jede inhaltliche Prüfung.
Aber es gibt doch genügend Figuren in der Geschichte, die Massenmorde begangen
haben und dafür
nie zur Verantwortung gezogen wurden. Niemand regt sich
auf, wenn man sie Terroristen, Mörder oder Massenmörder nennt...
Da stimme
ich überein,
so habe ich als Verteidiger von Herrn Schmidt auch argumentiert. Die Gerichte
wollten ihn aber verurteilen und suchten ihre Begründung. Im übrigen
ging es meinem Mandanten nicht um Burianek, sondern um die Glaubwürdigkeit der BRD in
Sachen Terrorismusbekämpfung.
Wie ist es überhaupt zu dieser Anklage gegen Schmidt gekommen?
»Verunglimpfung
des Andenkens Verstorbener«
ist ein Antragsdelikt, d. h. - ein Angehöriger muß einen
Strafantrag stellen. Eine Anzeige, die hier der Leiter der »Stasi«-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe,
erstattete, reicht nicht aus. Nur im Ausnahmefall kann von Amts wegen verfolgt
werden. Und davon wurde Gebrauch gemacht.
Womit rechtfertigt die
Staatsanwaltschaft dieses Vorgehen?
Laut
Gesetz besteht diese Möglichkeit,
wenn der Verstorbene »sein
Leben als Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und
Willkürherrschaft
eingebüßt
hat«.
Und genau die »Gewalt-
und Willkürherrschaft« wurde der DDR
rechtswidrig unterstellt. Ein Antrag auf ein Gutachten wurde abgelehnt.
Welche juristischen
Chancen sehen Sie, gegen dieses Landgerichts-Urteil vorzugehen?
Mein
Mandant hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Nun wird das Kammergericht
Berlin entscheiden. Die Verteidigung bestreitet, daß
in der DDR in dem in Frage kommenden Zeitraum eine »Gewalt-und Willkürherrschaft« bestand - wegen eines
Verfahrenshindernisses hätte
gar nicht erst ermittelt werden dürfen. Beide Gerichte hätten das Verfahren also
einstellen müssen.
Zum
anderen: Selbst wenn das Gericht diese Voraussetzung bejaht, liegt keine
Verunglimpfung vor. Ist es verunglimpfend, wenn bewiesene Tatsachen beim Namen
genannt werden? Amts- und Landgericht haben mit ihren Urteilen jedenfalls dem
Rechtsstaat einen schlechten Dienst erwiesen. Sie haben nicht juristisch,
sondern politisch geurteilt. Ich hoffe, daß
die nächsten
Richter anders entscheiden.