jungeWelt
15.08.2007 / Schwerpunkt / Seite 3
Der Fund und der Feind
Das »missing link« von Magdeburg: Warum sich Birthler-Behörde und Medien in einer zu allen Kriegen bereiten BRD auf einen Schießbefehl der DDR stürzen
Kurt Pätzold
Am Samstag war es noch der endlich gefundene Schießbefehl an die Grenztruppen der DDR, das »missink link«, erwartet und erhofft von den Autoren der einzig wahren Geschichte des ostdeutschen Staates. Die Sensation. Am Montag schon war der Fund der sogenannten Birthler-Behörde geschrumpft und verfilzt wie Wollsachen nach Behandlung im falschen Waschprogramm. Nun hieß das in Magdeburg gefundene Dokument schlicht Einsatzauftrag für einen Unterfeldwebel, der einer Spezialeinheit des Ministeriums für Staatssicherheit angehört hatte, ein Papier ohne Kopf, Absender und Unterschrift und - wie zugegeben wurde - ohne Folgen. Denn es sind weder Ereignisse noch Personen bisher bekannt geworden, die von einem diesem Auftrag gemäßen Handeln zeugen: Das macht niemandem den Sachverhalt sympathisch. Aus ihm spricht der eisige Atem des Kalten Krieges, als die DDR sich vor dem Ausbluten zu schützen suchte. Sie errichtete an ihren Westgrenzen ein Regime strikter Kontrolle. Es war bekanntgemacht, daß, wer sich ihr entziehen wollte, sich in Todesgefahr begab.
Daß Frau Birthler die eigene Dienststelle aufwerten und deren Existenz sichern will, überrascht umso weniger, als die Forderungen, deren Archivbestände dem Bundesarchiv zu übergeben, wo sie hingehören, nicht verstummen wollen. Geschähe das, wäre die Behörde auf ihre wirkliche Rolle reduziert, die eines Propagandainstruments, nicht anders als die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und ähnliche Einrichtungen. Daß Zeitungen vom Aufmacher über die politischen Seiten bis in die Feuilletons sich auf die Nachricht aus Magdeburg stürzten, besitzt jedoch anderen Grund als den der Beihilfe. Auch erklärt sich die Gier zum wenigsten aus dem vielzitierten Sommerloch, das mit dem Mix von Meldungen über Überschwemmungen da und dort, südkoreanische Taliban-Geiseln und schmelzendes Arktis-Eis reichlich gefüllt werden konnte. Und selbst der Verweis auf den merkwürdigen Zufall, daß der Fund zeitgerecht zum Jahrestag der Schließung der DDR-Grenze vorgelegt wurde, dringt zum Kern der Blitzkampagne nicht vor.
Was dann? Staaten im Unruhezustand brauchen Feindbilder. Je mehr
Unruhe, umso farbenkräftigere werden verlangt.
Und Bilder vom inneren Feind sind nützlicher als die vom äußeren,
wenn auch letztere die bessere Chance bieten, die Volksgemeinschaft
herauszustellen und zu formieren. Woher den Feind aber nehmen? Das ist der Fall
in der Bundesrepublik, die vor der eigenen Tür nichts ausmachen kann,
was als Popanz dienen könnte. Der Feind am Hindukusch ist weit und allein deshalb nur bedingt
tauglich. Rußlands
Präsident Wladimir Putin erscheint
geeigneter, doch da sind der wirtschaftlichen Interessen und Rücksichten
viele. Die polnischen Ultranationalisten? Rühren im Grunde doch
niemanden ernstlich. Mit den »Polacken«
sind wir noch allemal fertig geworden.
Bleibt: Intra muros. Da fällt der Blick zuerst auf Oskar Lafontaine. Jedoch, den beständig zu markieren heißt auch, ihm Aufmerkamkeit und womöglich mehr noch zu verschaffen. Kostbar und von Nachteilen unbehaftet bleibt hingegen das Feindbild einer Toten namens DDR. Das eint, das steht für alles, was wir nicht wollen. Ärgerlich nur, daß es fortgesetzt und jüngst erheblich verblaßt. Und das nicht als Folge nostalgischer Umtriebe. Es ist das vielmehr das Werk derer, die derzeit die Bundesrepublik landauf und landab refomieren und damit eine Folie anfertigen, durch die sich der Blick auf die ostdeutsche Vergangenheit verändert. Was tun? Es müssen Schwarz- und Blutrotfarben her, mit denen das Bild zu restaurieren ist. Mehr Mauerschützen und Mauertote, mehr Schießbefehl und Mordschützen, mehr Todesstreifen und Todeszonen. Dazu Beschriftungen wie unmenschlich, grausam, gnadenlos, menschenverachtend und dann die Gedankenbrücke hinüber zu Holocaust und nach Auschwitz. Haben die braunen Diktatoren die Juden auch nicht im Reich »eingemauert«, sondern umgebracht, was macht da großen Unterschied? Befehl ist Befehl.
Nicht ganz. In der gleichen Ausgabe, in der eine Zeitung jene Befehle brandmarkt, die besagten, daß Grenzdurchbrüche bewaffnet zu verhindern sind, findet sich eine Annonce, die an den Tod eines Hauptmanns der Naziwehrmacht erinnert, dessen Leben 1943 am Mius endete. Der hatte in die richtige Richtung und auf die richtigen Leute geschossen: Bolschewiken und andere Untermenschen. Und so wird ihm nach Walhalla ehrendes Andenken nachgerufen.