junge
Welt vom 21.08.2004
Wochenendbeilage
Kläffende Hundewelpen
Die Gesellschaft für Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) hat eine einstweilige Verfügung gegen das Buch einer australischen Autorin erwirkt
jW-Drucksachen
* Im März dieses Jahres erschien das
Buch der australischen Autorin Anna Funder »Stasiland«, das in den
einschlägigen Medien wohlwollend besprochen und bereits
ausgezeichnet wurde. In der Gesellschaft für
Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) las
man mit Erstaunen auf den Seiten 104 ff des Buches eine
phantasievolle Darstellung der GBM-Tätigkeit. Die international tätige Nichtregierungsorganisation wird
dort als Fortsetzung des Ministeriums für
Staatssicherheit der DDR »enttarnt« und milder Terrortätigkeit
beschuldigt. Die GBM erwirkte kürzlich eine einstweilige Verfügung gegen die weitere Auslieferung des
Buches. l
Das Original
»Wir haben den Namen geändert. Wir heißen jetzt: Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrechten und Menschenwürde.«
Das Insiderkomitee. Bürgerrechte und Menschenwürde? Ich habe von dieser Gruppe gehört. Es ist eine mehr oder weniger geheime Gesellschaft früherer Stasi-Männer, die Artikel schreiben, in denen sie ihre Seite der Geschichte darstellen, eine Lobby für die Ansprüche früherer Stasi-Offiziere, die sich gegenseitig unterstützen, wenn ihnen ein Gerichtsverfahren droht. Sie haben enge Verbindungen zur Nachfolgepartei der früheren SED, der PDS, und es wird behauptet, sie hätten Zugang zu den zehn Millionen Mark, die der SED gehört haben und unauffindbar sind.
Es besteht ein weit verbreiteter Verdacht, daß diese Männer auch Leute terrorisieren, von denen sie befürchten, enttarnt zu werden. Ein früherer Grenzposten, der in einer Talkshow im Fernsehen auftrat, wurde mit einem Säureüberfall bedroht und mußte unter Polizeischutz gestellt werden. Belästigung durch unbestellte Hauslieferungen ist beliebt: Ein Mann bekam ein tickendes Paket vor die Haustür gelegt; Ehefrauen mußten Pornosendungen annehmen, die der Ehemann gar nicht bestellt hatte. Der seltsamste Vorfall, von dem ich gehört habe, war, daß ein Mann einen Lastwagen voller kläffender Hundewelpen zugestellt bekam, für die der Fahrer eine Unterschrift verlangte. Bremskabel in Autos wurden durchgeschnitten, Unfälle und Todesfälle durch Rückwärtsgang herbeigeführt. Das Kind eines Schriftstellers, der kein Blatt vor dem Mund nahm, wurde von einer unbekannten Person von der Schule abgeholt und zu einer Tasse Schokolade eingeladen, etwa für eine Stunde, Leute festzuhalten, hat offenbar seinen Reiz; eine Gewohnheit, die nur schwer abzulegen ist.«
Anna Funder: Stasiland. Aus dem Englischen übersetzt von Harald Riemann. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2004, 350 Seiten, 24,90 Euro
Eine Reflexion
Das Buch wirbt im
Klappentext und Buchrücken mit einem Zitat aus Die
Welt, das ihm »gründliche
Recherche« bescheinigt. Es wird darüber
informiert, daß
die Autorin für »Stasiland« mehrfach ausgezeichnet wurde. Zumindest in zwei Sprachen
und Ländern ist es schon erschienen. Es ist also - nach eigenem
Anspruch und Bekunden - ein Buch, an dem die Öffentlichkeit
nicht vorbeigeht. Die Verantwortung des Verlages und der Autorin, ihren Ausführungen wenigstens eine elementare Recherche zugrunde zu legen und für ihre Urteile, die oftmals nur
Vorurteile oder Verurteilungen sind, allgemeinzugängliche
Quellen zu nutzen, ist offensichtlich.
Insbesondere auf den Seiten 104 bis 107 geht die Autorin auf die »Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde« e.V. (GBM) ein. Diese Gesellschaft hat ca. 4 000 Mitglieder, ist Gründungsmitglied des Forums Menschenrechte, dem seit 1993 etwa 40 deutsche und internationale Menschenrechtsorganisationen angehören, darunter z.B. die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Amnesty International, Pax Christi etc., etc.. Die GBM ist eine Nichtregierungsorganisation, die bereits mehrfach Schattenberichte zu Staatenberichten der Bundesrepublik Deutschland bei der UNO abgab und Mitglied mehrerer nationaler und internationaler Vereinigungen und Netzwerke ist (Forum Frieden und Menschenrechte, Sitz Brüssel; Weltfriedensrat, Sitz Athen; Europäisches Friedensforum, Sitz Berlin). Die GBM steht im Internet und ist im Menschenrechtshandbuch der Bundesrepublik Deutschland verzeichnet. Sie ist gemeinnützig.
Da die Autorin an der Freien Universität Berlin studierte, ist ihr vielleicht auch der indes emeritierte Professor Fritz Vilmar vom Otto-Suhr-Institut bekannt, der als Vizepräsident der GBM seit mehr als einem Jahrzehnt agiert.
Auf Seite 104 »erinnert« sich die Autorin: »Ich habe von dieser Gruppe gehört.« Der Anlaß ist eher pikant. Sie traf sich mit einem Mitglied des Insiderkomitees zur kritischen Aufarbeitung der Geschichte des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS). Sie nennt den vollen Namen des Komitees nicht, da die »kritische Aufarbeitung« ihr anscheinend nicht in das Konzept des Buches paßt. Gerade zu diesem Zwecke hatte das Insiderkomitee sich aber gebildet. Es wurde übrigens von den Generalen des MfS gemieden, die sich von dem Namen nicht sonderlich angezogen fühlten und nie Mitglied waren. Bei der Gründungsversammlung des Insiderkomitees waren es 16 Anwesende. Nicht gerade eine Zahl, die späterhin die Aufgaben und Ziele der GBM sonderlich beeinflussen konnte. In diesem Falle gab es jedoch ein gemeinsames Interesse an einer »kritischen Aufarbeitung« der Geschichte des MfS. Deshalb traten 1997 einige Mitglieder des Insiderkomitees im Zusammenhang mit der Auflösung desselben in die GBM ein. Das kann man wohl kaum eine »Umbenennung« des Insiderkomitees nennen. Es wurde in der GBM ein entsprechender Arbeitskreis gebildet, der ähnlich wie das Alternative Geschichtsforum sich weiterhin mit der »kritischen Aufarbeitung« der Geschichte des MfS beschäftigt und publiziert, Konferenzen veranstaltet etc., teils mit internationaler Beteiligung. Von »geheim« kann nicht die Rede sein. So dubiose Zusammenhänge bieten sich zur weiteren Recherche an und nicht, für bare Münze genommen zu werden.
Auf dieser unseriösen und absurden Identifizierung von GBM und Insiderkomitee, das überdies statt als Organ der kritischen Reflexion über die Geschichte der Staatssicherheit als deren Fortsetzer dargestellt wird, ergeben sich nun ebenso absurde wie böswillige Verleumdungen des Charakters und der Arbeit der GBM.
Es müßte widerrufen werden:
- wir seien eine »mehr oder weniger geheime Gesellschaft« (Publikationen und sogar Debatten in Parlamenten beweisen das Gegenteil. Die GBM ist einer derjenigen Experten, die die meisten Stellungnahmen für die Rentenrechtsprechung Ost im Bundesverfassungsgericht abgegeben haben und in den Urteilen oft breit zitiert wird, so auch im letzten Urteil)
- wir seien eine »Gesellschaft früherer Stasi-Männer«. (Frauen hat die Autorin wohl nicht im Sinn, obwohl sie einen großen Teil unserer Mitglieder ausmachen). Es wird keineswegs bestritten, daß einige unserer Mitglieder - siehe oben - früher Mitarbeiter des MfS waren. Jedoch schon um ihre Rentenrechte sorgten sich andere Vereine, obwohl wir einen Schwerpunkt darin sehen, Rentengerechtigkeit zwischen Ost und West herzustellen.
- wir hätten »Zugang« zu den zehn Millionen... Ich habe davon nie etwa in meiner Arbeit vernommen. Das ist ein äußerst schwerwiegender Vorwurf und angesichts unserer knappen Finanzen sogar ein Zynismus. Wir müßten dafür natürlich Steuern zahlen etc. Es handelt sich um den Vorwurf einer Straftat ohne jeden Beweis, ja ohne jedes Indiz.
- Wir terrorisierten Leute, um nicht enttarnt zu werden. Nun hat sich das »Insider«-Komitee schon durch seinen Namen selbst »enttarnt«. Oder was sollten Insider sonst sein als ehemalige Mitarbeiter des MfS. Sie wollten gerade, indem sie sich dazu bekannten, die Glaubwürdigkeit ihrer Kritik und Selbstkritik öffentlich machen. Dafür gab ihnen die GBM einen »Rahmen«. Was sollten wir also für ein Interesse haben, daß diejenigen, die das zu befürchten hätten, nicht enttarnt werden, wenn sie es selbst taten. Sie haben übrigens über ihre Arbeit in der Öffentlichkeit publiziert. Dem Vorwurf fehlt schon die elementarste Logik.
- Alle folgenden Beispiele
sind völlig aus der Luft gegriffen. Sie beinhalten Straftaten
schwersten Ausmaßes und erwecken beim Leser den
Eindruck, die Autorin habe genauere Kenntnisse darüber, daß die GBM eine kriminelle und terroristische
Vereinigung ist. Denn auch das Wort »terrorisieren« fehlt nicht unter den Anschuldigungen. Man ist fassungslos
über den Erfindungsreichtum an
derartigen Haltlosigkeiten. Keine einzige dürfte
wiederholt werden.
- Es wird durch den letzten Satz des Absatzes auf Seite 104 der Eindruck gezielt geweckt, die GBM treibe derartiges Unwesen noch weiter. Es gipfelt in der Anschuldigung. Die GBM - Insiderkomitee koordiniere die Aktivitäten gegen die, die mit der Aufklärung von »Stasiverbrechen« beschäftigt sind. Das ist die Meinung der Autorin als Frage, und es bleibt von ihr selbst unbezweifelt.
Wir sind eine Menschen- und Bürgerrechtsgesellschaft mit einem umfassenden Ziel der Wahrung der Bürger- und Menschenrechte. Solche Anschuldigungen sind eine gezielte Rufschädigung und stellen eine Diskriminierung und Anstiftung zur Diskriminierung im Sinne der Menschenrechtskonventionen dar.
Wolfgang Richter
Eine Verfügung
In Sachen
Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e.V. (GBM),
vertreten durch den Vorstand, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Richter, 10317 Berlin, Weitlingstr. 89
Antragstellerin
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte
Dr. Friedrich Wolff und Partner GbR,
Torstr. 49, 10117 Berlin,
gegen
Europäische Verlagsanstalt/Sabine Groenewold Verlage KG,
vertreten durch Sabine Groenewold,
Bei den Mühren 70, 20457 Hamburg,
Antragsgegnerin
wird im Wege der einstweiligen Verfügung - wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung -angeordnet (§§935, 940, 92 Abs. l, 269 Abs. 3 ZPO; §§ 823, analog 1004 Abs. l S. 2 BGB, 185 ff StGB, Art. 2 Abs. l GG).
Der Antragsgegnerin wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250000,00 Euro ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an der Komplementärin, untersagt, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten und/oder zu verbreiten:
- der Antragsteller habe Zugang zu den zehn Millionen, die der SED gehört haben und unauffindbar sind;
- Männer (der GBM) würden Leute terrorisieren;
- Belästigung durch unbestellte Hauslieferungen sei beliebt: Ein Mann bekam ein tickendes Paket vor die Haustür gelegt; Ehefrau mußte Pornosendungen annehmen, die der Ehemann gar nicht bestellt hatte;
- ein Mann habe einen Lastwagen voller kläffender Hundewelpen zugestellt bekommen, für die der Fahrer eine Unterschrift verlangte;
- Bremskabel in Autos seien
durchgeschnitten worden, Unfälle und Todesfälle durch Rückwärtsgang herbeigeführt;
- das Kind eines Schriftstellers sei von einer unbekannten Person von der Schule abgeholt und zu einer Tasse Schokolade eingeladen worden, etwa für eine Stunde.
Die bereits aufgebundenen und/oder ausgelieferten Exemplare des Buches »Stasiland« von Anna Funder sind von der Verbotsverfügung ausgenommen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsgegnerin zu 3/4 und der Antragssteller zu 1/4.
3. Der Verfahrenswert wird auf 10 000,00 Euro festgesetzt. Gründe:
Die einstweilige Verfügung war aus den Gründen der verbundenen Antragsschrift nebst Anlagen sowie des Schriftsatzes vom 3. August 2004 zu erlassen.
Mauck von Bresinsky Becker