junge Welt
01.06.2010 / Feuilleton / Seite 13
Leichen inklusive
Stasi-Raketen oder Warum der Hund sterben musste
Nach der Ausstrahlung des Tatorts »Schlafende Hunde«, für den Radio Bremen verantwortlich zeichnete, veranstaltete der Sender am Sonntag im Internet eine Frage-Antwort-Veranstaltung mit Drehbuchautoren Dagmar Gabler und Wilfried Huismann, Darstellern und Regisseur. Auf ihrer Internetseite berichtete die Anstalt, »das spannende Thema um noch aktive Stasi-Seilschaften« habe »knapp 2000 Besucher aus ganz Deutschland in den Radio-Bremen-Chat« gelockt. In dem Film ging es u.a. um 20 Milliarden DM, die von der DDR-Staatssicherheit 1989/90 beiseite geschafft und nun zur Erringung der Wettherrschaft durch alte Kader genutzt werden- z. B. zum Waffenankauf für Guerilleros in Lateinamerika. Den Befehl zum Weitermachen hatte demnach DDR-Staatssicherheitsminister Erich Mielke schon 1987 gegeben, Leichen inklusive.
jW dokumentiert Auszüge aus dem Chat-Protokoll: Sollte die Stasi wirklich noch aktiv sein?
Wilfried Huismann: Nicht als staatliche Geheimpolizei natürlich, aber die Netzwerke existieren noch - für den Fall, daß das kapitalistische System in Deutschland zusammenbricht, kann man die Stasi reaktivieren. Das glauben jedenfalls einige der alten Offiziere - die meisten haben sich allerdings mit den Realitäten abgefunden.
Klasse »Tatort«! Wieviel Recherchearbeit haben Sie benötigt?
Wilfried Huismann: Schwer zu sagen, weil ich z. B. 1991 für die ARD eine lange Doku zum Thema gemacht habe (»Ost-Mafia«). Davon sind viele Erkenntnisse in das Drehbuch eingegangen.
Warum mußte der Hund sterben?
Redaktion: Die Allmacht der Stasi-Strukturen wollten wir so darstellen.
Was haben denn die lateinamerikanischen Länder mit der Stasi zu tun?
Wilfried Huismann: Nach dem Verlust der DDR haben die Stasi-Netzwerke einen Teil ihrer Strukturen und Gelder nach Lateinamerika verschoben, weil sie dort noch Chancen für eine linke, revolutionäre Entwicklung sehen (Kuba, Chavez in Venezuela, Guerillabewegungen in mehreren Ländern). Das hat also einen realistischen Hintergrund.
Gibt es Erkenntnisse darüber, daß tatsächlich noch derartige Ableger der Stasi in der BRD tätig sind und wenn ja, in welchen Bereichen? Straftaten? Einflußnahme auf Parteien?
Dagmar Gabler: Die Stasi hatte
hochqualifizierte Mitarbeiter, die teils von anderen Geheimdiensten rekrutiert
wurden. Darüber hinaus arbeiten tatsächlich einige in hochrangigen Sicherheitsdiensten, z. B. bei
Banken. Über eine Einflußnahme auf
Parteien dürfen wir hier nur spekulieren.
Warum wurde das Thema in einer Bremen-Folge verarbeitet und nicht im Osten oder Berlin?
Redaktion: Im Film wird es beantwortet: Mats erzählt es Stedefreund in der Berliner Kneipe. Bremen war für das Politbüro wichtig, weil die DKP hier sehr stark war.
Hallo, wo ist denn die Quelle für den im Film genannten »Mielke-Befehl« von 1987? Oder doch nur Fiktion?
Wilfried Huismann: Dieser Befehl erfolgte mündlich. Ich habe 1991 bei der Recherche zur Doku »Mafia-Ost« davon erfahren - von ehemaligen Offizieren der Stasi.
Interessant: Die Stasi hat also laut »Tatort« 20 Milliarden DM beiseite gebracht, »die bis heute nicht wieder aufgetaucht sind«. Die DDR hatte 40 Milliarden Auslandsschulden. Den Autoren sind offenbar Zahlen aus dem Bankenrettungsfonds ins Drehbuch gerutscht. Oder sie haben keine Ahnung.
Redaktion: Es gibt unterschiedliche Zahlenangaben zu dem verschwundenen Stasi-Vermögen. Unsere Angaben waren eine Schätzung der Ermittlungsstelle Vereinigungskriminalität.
Kommt man wirklich ohne weiteres an diese Raketen und werden tatsächlich solche nach Südamerika geschmuggelt?
Wilfried Huismann: »Man« kommt nicht einfach an solche Raketen. Aber jemand mit Kontakten nach Rußland - wie Rodenburg - schon. Bekannt ist auch, daß verschiedene Guerillabewegungen (z. B. die FARC in Kolumbien) mit solchen oder ähnlichen Raketen beliefert wurden - z. B. über Venezuela.
Vollständig im Internet: www.radiobremen.de