"junge
Welt" vom 04.10.2003
Wochenendbeilage
Auftragsfall DDR-»Killerkommando«
jW sprach mit Generaloberst a. D. Werner Großmann über
Basteleien der Bundesanwaltschaft, die »Arbeitsgruppe Minister« des
Ministeriums für Staatssicherheit, »Gladio« und angebliche Mordopfer
Interview: Klaus Fischer/ Arnold
Schölzel
* Generaloberst a. D.
Werner Großmann (geb. 1929) war seit 1986 stellvertretender Minister für
Staatssicherheit der DDR und Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA). Er
ist Autor des Buches »Bonn im Blick. Die DDR-Aufklärung aus der Sicht
ihres letzten Chefs«. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2001, 320 Seiten, 17,50
Euro (Bestellung auch über den jW-Shop möglich)
F: Am Mittwoch, dem
24. September, verbreiteten die Nachrichtenagenturen folgende Mitteilung: »Der
Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat am 22. September 2003 auf Grund
eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 3.
September 2003 den 53 Jahre alten deutschen Staatsangehörigen Jürgen G. aus
Berlin durch Beamte des Bundeskriminalamts wegen des Verdachts des Mordes
festnehmen lassen. Der Beschuldigte steht im dringenden Verdacht, zwischen 1976
und 1987 als Angehöriger eines im Staatsapparat der ehemaligen DDR
angesiedelten Kommandos mehrere Personen, die aus Sicht des DDR-Regimes
Verrat begangen hatten oder zu begehen drohten, getötet zu haben.
Der Beschuldigte
wurde am 23. September 2003 dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes in
Karlsruhe vorgeführt. Dieser hat den gegen ihn bestehenden Haftbefehl aufrechterhalten
und Haftfortdauer angeordnet.
Weitere Einzelheiten
zum Tatvorwurf können derzeit mit Blick auf noch laufende Ermittlungsmaßnahmen
nicht mitgeteilt werden.«
Vom Ministerium für
Staatssicherheit (MfS) war in dieser Meldung keine Rede, dennoch befaßten sich
die meisten Presseberichte ausschließlich mit ihm. Wie haben Sie die
Information aus Karlsruhe aufgenommen?
Mich hat diese
Meldung sehr überrascht. Mir fiel die Formulierung auf, daß dieser Jürgen G. in
einem Kommando gewesen sein soll, das im Staatsapparat der DDR angesiedelt
gewesen sein soll. »Staatsapparat« ist ein weitläufiger Begriff, darunter kann
man sich nichts Konkretes vorstellen. Es gab eine Unmenge von Ministerien und
Dienststellen, die man dem zuordnen muß. Ich fand es auffällig, daß bei der
Bundesanwaltschaft entgegen ihren früheren ständigen Einlassungen von MfS oder
»Stasi« keine Rede war.
Zweitens fiel mir der
Hinweis in Medienberichten auf, daß man an diesem Vorgang vier oder fünf Jahre
gearbeitet hat, dabei verdeckte Ermittler einsetzte bzw. Agenten an diesen Mann
schleuste, um ihn zu bestimmten Aussagen zu bringen. Das halte ich für eine
sehr fragwürdige Angelegenheit. Es wird auf die CIA verwiesen bzw. darauf, daß
man CIA-Methoden angewandt hat. Das scheint mir ein Hinweis zu sein, daß
man bewußt einen Vorgang entwickeln wollte, um eben einen solchen Nachweis
erbringen bzw. solch einen Vorwurf erheben zu können. Einfach gesagt: Man hat
mehrere Jahre gebastelt, um jetzt eine solche. Sache öffentlich zu machen.
F: War Ihnen eine
solche Organisation bzw. ein solches Kommando bekannt?
Nein. Ein solches
Kommando ist mir nicht bekannt.
F: Die
bundesdeutschen Medien haben die Meldung des Generalbundesanwaltes sofort
aufgegriffen und z. T. sehr spektakulär das MfS ins Spiel gebracht. Es wurde
erneut über verschiedene Todesfälle, für die man offenbar gern das MfS
verantwortlich machen würde, spekuliert. Angeführt wurden ein Finanzminister
der DDR, zwei Mitarbeiter von Alexander Schalck-Golodkowski, der
Fußballspieler Lutz Eigendorf, eine schwedische Journalistin samt Begleitung
etc. Die Rede war u.a. von einer Arbeitsgruppe des Ministers für
Staatssicherheit - AGM -, die dabei eine Rolle hätte spielen
können, Was war das für eine Arbeitsgruppe?
Dazu muß ich zunächst
sagen: Es wundert mich überhaupt nicht, daß die Mehrzahl der Printmedien
aufgrund dieser Mitteilung der Bundesanwaltschaft sofort in schlimmer Weise auf
das MfS verweist. Für diese Medien kommen das MfS und die verschiedenen
Diensteinheiten des Ministeriums - darunter auch die »Arbeitsgruppe
Minister« - nur als Mörder und Verbrecher in Betracht. Das kennt man nun
schon seit 13 Jahren. Ich muß das aus meiner Kenntnis und meiner Sicht der
Dinge zurückweisen und kann es zurückweisen, weil es sich um bloße
Unterstellungen handelt. Es hat das alles nicht gegeben.
Konkret zur
»Arbeitsgruppe Minister«: Ich bin über diese Diensteinheit natürlich nicht
völlig im Detail informiert. Wir als Nachrichtendienst haben auch Mitarbeiter
dieser Diensteinheit zeitweise übernommen und im Einsatz gehabt. Und jetzt
formuliere ich das bewußt so: Wir übernahmen sie nicht, weil wir Mitarbeiter
benötigten, die das Töten gelernt hatten, oder weil wir sie für Einsätze
brauchten, um jemand zu töten. Wir haben sie übernommen, um sie in den
Auslandsvertretungen der DDR für den Schutz von Personen und von Einrichtungen
der DDR einzusetzen, d. h. wenn man so will, um Leben zu erhalten, nicht um zu
töten. Es handelte sich natürlich um Mitarbeiter, die eine spezielle Ausbildung
hatten. Sie waren im Nahkampf ausgebildet und natürlich auch im Gebrauch von
Schußwaffen, also von Pistolen.
Der Anlaß für diese
Einsätze waren Vorfälle in den DDR-Auslandsvertretungen. Sie waren Ziel
von Terroranschlägen, es gab Einbrüche und Drohungen. Wir waren in Ländern
vertreten, in denen Bürgerkrieg herrschte. In Mocambique wurden z. B. mehrere
DDR-Bürger getötet. Es gab andere Anlässe wie den Terroranschlag 1975 in
Stockholm gegen die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. Daraus mußten wir
Schlußfolgerungen ziehen, um in unseren Botschaften die Sicherheit entsprechend
zu gewährleisten. Das gehörte mit zu unserem Auftrag. Da wir als HVA diese
speziell ausgebildeten Mitarbeiter nicht hatten, haben wir auf die
Arbeitsgruppe zurückgegriffen und zeitweise Mitarbeiter übernommen, die dann
wieder in diese Diensteinheit zurückgegangen sind. Ich kann mit Bestimmtheit
und Sicherheit sagen, daß alle bei uns eingesetzten Mitarbeiter dieser
Diensteinheit ihren Auftrag ehrenvoll erfüllt haben und an keinem Verbrechen
beteiligt gewesen sind.
F: Und außerhalb
Ihres Verantwortungsbereiches?
Soweit meine
Kenntnisse reichen, kann ich mit Bestimmtheit sagen, daß diese »Arbeitsgruppe
Minister« auch außerhalb unseres Verantwortungsbereiches, das heißt im
Verantwortungsbereich des Ministeriums insgesamt, keine anderen Aufgaben als
solche Schutz- und Sicherungsmaßnahmen hatte. Ich verweise darauf, daß es
bei westlichen Diensten sogenannte Einsatzkommandos »Gladio« gab - in der
BRD beim BND auch unter der Bezeichnung »Stay Behind«-Kräfte geführt. Es
gab z.B. in der Bundesrepublik eine GSG 9. Das war völlig legal und legitim.
Die Frage ist, warum man der DDR und den Sicherheitsorganen der DDR das Recht
abspricht, Gleichartiges aufzubauen, um ihre Bürger, ihre Einrichtungen, den
Staat insgesamt zu schützen?
F: Neben der AGM
werden auch andere Diensteinheiten genannt, darunter die HVA-Abteilung
XVIII.
Die Abteilung XVIII
wurde 1987 in der HVA gebildet. Sie bestand aus einem Teil der Mitarbeiter
einer früher Abteilung IV genannten Diensteinheit des MfS, die aufgelöst wurde.
Wir haben Teile dieser Diensteinheit übernommen. Die Abteilung XVIII erhielt
die Aufgabe, Einrichtungen der Zivilverteidigung in der Bundesrepublik
aufzuklären. Das war ein Arbeitsgebiet, das bis dahin von niemandem bearbeitet
wurde. Völlig falsch ist, wenn jetzt behauptet wird - ganz vehement von
dem sogenannten Stasi-Experten Hubertus Knabe, für meine Begriffe einem
Verschwörungstheoretiker -: Eben die Tatsache, daß wir von der Abteilung
IV Mitarbeiter übernommen hätten, sei der Beweis dafür, daß von da an auch die
HVA Aufträge erhalten habe, im Ausland mit Mord und Totschlag zu arbeiten und
andere Kapitalverbrechen zu verüben. Das weise ich mit Entschiedenheit zurück.
Diese Aufträge gab es nicht. Wir haben in der HVA generell solche Verbrechen
nicht geplant, wir haben niemanden damit beauftragt, wir haben sie demzufolge
auch nicht ausgeführt und schon gar nicht diese Diensteinheit.
Es kommt nämlich
etwas hinzu. In der Erklärung der Bundesanwaltschaft wird darauf hingewiesen,
daß die Taten im Zeitraum von 1976 bis 1987 verübt wurden. Jetzt diese
Abteilung XVIII damit in Zusammenhang zu bringen, ist völliger Blödsinn, denn
sie wurde wie gesagt 1987 gegründet.
F: Bleiben wir kurz bei den westlichen
Spezialkommandos. Was wissen
Sie über »Gladio«?
»Gladio« existiert
seit 1948. Auf Beschluß des Nationalen Sicherheitsrates der USA sollte eine
Einheit aufgebaut werden, die im Kriegsfall hinter den Linien im Feindesland
Terror-, Sabotage- und Zersetzungsakte durchführen sollte. Auf
Initiative der USA, insbesondere der CIA, traten sofort andere Mitgliedstaaten
der NATO wie Italien, Frankreich, Dänemark, Norwegen oder Belgien diesem
Vorhaben bei, und in diesen Ländern wurden unter Federführung ihrer
Geheimdienste solche Einheiten aufgebaut. Das ging so weit, daß man Spanien
schon einbezog, als es noch nicht Mitglied der NATO war. Auch Geheimdienste
neutraler Staaten wie die der Schweiz und Schwedens wurden einbezogen, d. h.
auch die haben sich mit solchen Dingen befaßt. Natürlich auch die
Bundesrepublik. Sie begann in den fünfziger Jahren mit dem Aufbau einer solchen
Einheit, die bis 1989/90 existiert hat. Soweit mir bekannt ist, umfaßte sie
1989 beim BND noch 200 Personen.
Die »Gladio«-Einheiten
hatten in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Bezeichnungen. In der
Bundesrepublik war sie vor allem bekannt unter »Stay Behind«.
F: Gab es in den
Staaten des Warschauer Paktes ähnliche Einheiten?
Ich sage jetzt ja,
ohne genau zu wissen, welche Einheiten mit weicher Unterstellung das waren.
Aber man muß davon ausgehen, daß ein Staat sich auf eventuelle Kriegsfälle
vorbereitet und natürlich auch der Armee und den Sicherheitsorganen
entsprechende Aufgaben zuweist. In Zeiten des Kalten Krieges gab es eine
Vielzahl von Möglichkeiten bzw. Ereignisse, bei denen der Ausbruch eines heißen
Krieges doch sehr wahrscheinlich war. Es wäre selbstmörderisch gewesen, wenn
der Warschauer Pakt keine Vorbereitungen getroffen hätte. Alles, was
diesbezüglich in der DDR geplant wurde, war im Warschauer-Pakt-System
abgestimmt.
F: Es gab für den
Kriegsfall entsprechende Anweisungen für die Tätigkeit der Sicherheitsorgane
und Spezialeinheiten in der DDR?
Wie gesagt: Ein Staat
bzw. eine Militärorganisation wie der Warschauer Pakt bereitet sich auf solche
möglichen Ereignisse vor. Das Schlimme ist, daß man heute so tut, als ob die
Weisungen, Befehle oder Unterlagen, die man dazu gefunden hat, für
Friedenszeiten oder für den täglichen Gebrauch gegolten hätten. Sie sind alle
ausschließlich für den Kriegsfall vorbereitet und erarbeitet worden - so
wie es auf jeder Seite der Fall gewesen ist.
F: Was sagen Sie zu
den Medienberichten über angebliche Mordopfer des MfS?
Ich halte das alles
für reine Spekulation und bewußt aufgemachte Hetze, um zu suggerieren, daß das
MfS, die DDR generell solche Verbrechen beging. Mir ist ein Großteil dieser
Personen nicht bekannt. Wir haben auch von niemanden jemals einen Auftrag
erhalten, gegen eine dieser Personen etwas zu unternehmen, und wir haben solche
Aufgaben auch nicht gestellt.
Das MfS generell
betreffend möchte ich darauf verweisen, daß allein gegen hauptamtliche
Mitarbeiter und inoffizielle Mitarbeiter der HVA, besonders gegen Kundschafter,
nach 1990 über 6000 Ermittlungsverfahren durchgeführt worden sind. Es kam zu
über 300 Verurteilungen durch deutsche Gerichte. In keinem dieser Verfahren ist
auch nur im Ansatz erarbeitet worden, daß unsere Diensteinheit solche Taten
begangen hätte. Über solche Verfahren kann man sich in den kürzlich
erschienenen Bänden »Siegerjustiz? Zur politischen Strafverfolgung infolge der
deutschen Einheit« und »Kundschafter im Westen« informieren.
F: Sogenannte
Killerkommandos haben in den Verfahren gegen Offiziere der HVA und des MfS
insgesamt immer wieder eine Rolle gespielt. Der schon genannte Hubertus Knabe
führte in einem DeutschlandfunkInterview am Montag z.B. an, Markus Wolf habe
1982 Einzelkämpfer angefordert, die zu Spezialeinsätzen auch in der
Bundesrepublik vorgesehen waren. Wie verhält es sich mit solchen Vorwürfen?
Die Frage nach einem
Killerkommando, auch einem Killerkommando der HVA, hat im letzten Verfahren
gegen Markus Wolf eine Rolle gespielt. Möglicherweise bezieht sich Herr Knabe
darauf. Ich empfehle ihm, sich mit den Prozeßakten zu befassen. Denn in dem
Prozeß ist eindeutig nachgewiesen worden, daß es hierbei eben um die von mir
schon geschilderten Einsätze von Mitarbeitern der »Arbeitsgruppe Minister« in
unseren Auslandsvertretungen ging. Dafür haben wir Mitarbeiter angefordert. Und
da die »Arbeitsgruppe Minister« dem Minister unterstand, mußte der seine
Zustimmung geben, also angeschrieben werden. Herr Knabe sollte aufhören,
irgendwelche Dinge neu zu erfinden. Übrigens ist auch der Leiter der »Arbeitsgruppe
Minister«, Oberst Heinz Stöcker, in einem gesonderten Verfahren von solchen
Vorwürfen freigesprochen worden.
F: Was meinen Sie,
sind die Gründe dafür, daß gerade jetzt kampagnenartig »DDR-Killerkommandos«
von Justiz und Medien hochgespielt werden?
Den Hauptgrund sehe
ich darin, daß der Sozialstaat DDR angesichts des massiven Sozialabbaus, der
zur Zeit betrieben wird, vielen verstärkt ins Bewußtsein kommt. Dem soll
gegengesteuert werden, indem der DDR Verbrechen jeder Art unterstellt werden,
Angesichts der Resultate nach 13 Jahren deutscher Einheit ist offenbar immer
noch jedes Mittel recht, um die DDR zu verteufeln.