"Neues Deutschland", 30.08.2003
Geheimdienst
Spion! Na und?
Buch
über "Kundschafter im Westen" vorgestellt
Von Karlen Vesper
Hatte man Angst,
dass die Freiheitsglocke
zerspringt? Aus Entsetzen, wegen Entweihung - wenn Spione des "Unrechts-Staats"
Erinnerungen an ihr Maulwurf-Dasein in der freiheitlich-demokratischen
Republik präsentieren?
Jedenfalls hat sich
die CDU die Buchpremiere im Rathaus Berlin-Schöneberg verbeten: In Berlin sei
kein Platz für die "Glorifizierung der DDR und ihrer Stasi-Schergen".
Herausgeber und Autoren mussten ins Domizil
der Gesellschaft für Bürgerrecht und Menschenwürde, nach Lichtenberg
ausweichen. Die Medienvertreter fanden deren Haus dennoch in überwältigender
Zahl. Und sie interessierten sich diesmal nicht für den kleinen Trupp, der vorm
Gebäude gegen "Stasi-Erpresser, Verschlepper, Mörder"
protestierte.
"Kundschafter
im Westen" (Edition Ost, 380 S ,geb., 17,50 €)
heißt der vorgestellte Band. Von 50 angesprochenen
"Spitzenquellen" haben, sich 30 bereitgefunden; einige Autoren bevorzugten noch Pseudonyme. Zielsetzung und Methodik
der DDR-Aufklärung wolle man zeigen, informierte Mitherausgeber Gotthold
Schramm. Sie habe den Frieden sicher gemacht. Angesichts sich heute ungebremst
austobender Kriegs- und Profitlogik fühlt sich Dieter Feuerstein in
seiner Entscheidung Ende der 70er bestätigt, für die HVA militärisch relevante
Informationen aus der Bundeswehr zu liefern; Und Johanna Olbricht (alias Sonja
Lüneburg), die in
der FDP-Zentrale gelauscht hatte, wusste, zu berichten, dass Martin
Bangemann sie bei ihrem Prozess freundlich begrüßte.
Friede, Freude, Eierkuchen?
Mitnichten. Ex-HVA-Chef Markus Wolf informierte, dass in den USA
ehemalige bzw. angebliche HVA-Mitarbeiter zu unverhältnismäßig hohen
Haftstrafen verurteilt wurden. Ihm war es aber auch wichtig, die Äußerung eines
Kollegen, der nur Ost-Agenten moralische Integrität zugestand, zu korrigieren:
Mitarbeitern westlicher Dienste seien nicht unisono unlautere Motive zu
unterstellen. Als dann von "erbärmlichen Verrätern" hinsichtlich der
Überläufer Ost-West die Rede war, mochte ein WDR-Journalist seine Empörung
nicht zügeln.
Dass die Presse auch auf den Fall
Lothar Bisky zu sprechen kam, überraschte nicht. Ebenso wenig die Antwort von
Werner Großmann. Er wisse nichts, "und selbst wenn ich etwas wüsste,
würde ich Ihnen nichts sagen". Sodann erklärte der letzte HVA-Chef
(nicht PDS-Mitglied), Bisky hätte auf die Vorwürfe mit "Na und?"
kontern sollen. Generell brauche sich niemand seiner IM-Tätigkeit zu
schämen und könne auf ein Bundesverfassungsgerichtsurteil verweisen. Und:
"Früher war mancher böse, wenn er abgewiesen, nicht der
geheimdienstlichen Tätigkeit für würdig
erachtet wurde." Großmann unterstrich des weiteren: Die in die USA
verschleppten Rosenholz-Dateien besäßen keine Authentizität. Wäre die
Freiheitsglocke bei solchen Sätzen zersprungen?