Neues Deutschland vom 14. Mai 2010, Seite 12 (Brandenburg) Leserbrief
LPG-Opfer war SS-Täter
Ob es im Zuge der Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR viele Verhaftungen gab, weiß ich nicht. Von einer erfuhr ich. Betroffen war ein Wilhelm Schäfer aus Röhrensee, damals Kreis Arnstadt im Bezirk Erfurt. Er war nicht in Röhrensee aufgewachsen, sondern nach Kriegsende hingezogen. Mit einer Bäuerin, deren Mann im Krieg geblieben war, bewirtschaftete er einen Hof. Er wollte nicht in die LPG und sprach sich deutlich gegen die »Kolchose« aus.
Zum Verhängnis wurde ihm der Umstand, dass keiner der Letzte sein wollte bei der »Vollgenossenschaftlichkeit«. Im Bezirk Erfurt hatte der Kreis Arnstadt noch Probleme, während der Kreis Nordhausen schon weiter voran war. Folglich erging Order an die Nordhäuser, bewährte Kader in den Kreis Arnstadt zu schicken. So kam an einem Frühjahrssonntag 1960 zum Bauern Schäfer in Röhrensee auch ein Mann aus Nordhausen, um ihm den Eintritt in die LPG schmackhaft zu machen. Dieser Mann war vor 1945 im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert gewesen. Daran wurde er nun abrupt erinnert. Auf dem Bauernhof stand er plötzlich dem SS-Mann Wilhelm Schäfer gegenüber, einem der berüchtigtsten Schläger und Mordgesellen aus dem KZ Buchenwald. Das Erkennen war nur einseitig, denn der Bauer Schäfer war noch genau so stattlich wie der SS-Hauptscharführer, aber der Mann aus Nordhausen glich natürlich nicht mehr dem ausgemergelten KZ-Häftling.
Der war kurz darauf beim Chef des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Erfurt und berichtete. Zunächst erntete er ungläubiges Staunen, Wer ein Sündenregister wie dieser SS-Mann hatte, ließ sich wohl kaum in der DDR nieder, noch dazu nur 35 Kilometer vom Ettersberg entfernt. Zur BRD war die Grenze offen und dort fanden solche Leute Beistand bei ihresgleichen. Wenn man Nazis dort überhaupt verfolgte, was 1960 selten war, konnten sie mit milder Strafe rechnen. Warum also sollte ein Schäfer in der DDR leben? Doch die Überprüfung ergab: Es war der SS-Mann Wilhelm Schäfer. Er kam in die Untersuchungshaftanstalt Erfurt, Andreasstraße. Das Ermittlungsverfahren führte die Bezirksverwaltung Erfurt des MfS. Schäfer war anfangs im KZ Lichtenburg tätig, wo er Häftlinge misshandelte und ermordete. 1937 bis 1943 tat er gleiches in Buchenwald. Er war einer der Mörder sowjetischer Kriegsgefangener in der Genickschussanlage im »Pferdestall«. Danach war er in einer SS-Division in der UdSSR an Kriegsverbrechen beteiligt. Wegen des Umfanges seiner Verbrechen wurde Schäfer vor dem Obersten Gericht der DDR angeklagt. Am Prozess nahmen Beobachter der Weltpresse teil. Im Mai 1961 wurde das Todesurteil gesprochen. Es wurde in der »Neuen Justiz« veröffentlicht, einer Zeitschrift der DDR. Am Fall Schäfer lassen sich einige Fragen festmachen zum Lob des Wiesenthal-Zentrums für die Verfolgung von NS-Tätern in der BRD:
Während des Prozesses vor dem Obersten Gericht saß Schäfer in der Haftanstalt Hohenschönhausen, heute Gedenkstätte. Kann man dort erkennen, warum Leute wie Schäfer inhaftiert waren oder zählt er automatisch mit als »Opfer der SED«?
Der Freistaat Thüringen stellt 5,6 Millionen Euro für den Ausbau der Haftanstalt Andreasstraße in Erfurt zu einer Gedenkstätte bereit. Wird verhindert, dass Leute wie Schäfer dort als »Opfer der SED« mitzählen?
Die
Menschen, die damals die Ermittlungen gegen Schäfer führten, erhalten dafür ihre Rente gekürzt. Sie waren ja Angehörige des MfS. Das Land des Holocaust
verschafft einem Teil von Hitlers willigen Vollstreckern späte Genugtuung, indem es ihren Verfolgern
die Rente kürzt, sie
amtlich als Täter bezeichnet
und de facto als Ganoven hinstellt. Wird dieser Skandal fortgeführt?
Friedrich Thiemann 06429 Nienburg