Tageszeitung „junge Welt“                                              30.01.2013 / Feuilleton / Seite 12

Primetime ohne Profiler

Der nächste Anti-DDR-Film heute in der ARD

Klaus Huhn

Kaum jemand wird vermuten, daß sich diese Zeitung für intensive ARD-Programm-Werbung anheuern ließe. Heute will die öffentlich-rechtliche Anstalt ihren Zuschauern um 20.15 Uhr einen Film präsentieren, der zwar dem gewohnten Anti-DDR-»Kreuzzug« zuzurechnen ist, aber doch einige einführende Worte verdient.

»Mord in Eberswalde« heißt dieser Film und basiert auf einer wahren Begebenheit. Ende der 60er Jahre waren in der märkischen Stadt drei Schüler umgebracht worden. Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt und Regisseur Stephan Wagner benutzen diese tragische Mordserie in selten primitiver Weise, um die Hatz gegen die Stasi fortzusetzen. «Kommissar Heinz Gödicke und Stefan Witt, Major des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), sind alte Freunde. Gemeinsam sollen sie den bestialischen Mord aufklären«, heißt es in der Ankündigung des Senders. »Der in der Hierarchie höher gestellte Witt hat herausgefunden, daß seine Freundin Carla Böhm und Gödicke ein Verhältnis haben. (...) Weil der Sozialismus im Gegensatz zum dekadenten Westen keine psychisch kranken Subjekte hervorbringt, wird der Fall eingestellt.«

Unterschlagen wird, mit welchem Eifer sowohl Volkspolizei als auch MfS damals gemeinsam mit der Bevölkerung nach dem Mörder fahndeten. Ein MfS-General sorgte dafür, daß 300 Kriminalisten zusammengetrommelt wurden, die in Eberswalde untergebracht und versorgt wurden. Eine bedeutende Rolle spielte in diesem Zusammenhang der Psychologieprofessor Hans Szewczyk (1923-94), der lange als Ordinarius für Gerichtliche Psychiatrie an der Charite fungierte. Bei der Aufklärung des Falles leistete er Pionierarbeit auf dem Gebiet des modernen »Profiling«, wie der namhafte Stralsunder Psychologe Stefan Orlob im historischen Teil seiner Internetseite gerichts-psychiatrie.de ausführt. Mit seinem Gutachten zu den Morden an den drei Jungen, die im Juni 1969 von einem Forstarbeiter entdeckt worden waren, begab sich Szewczyk demnach »auf für ihn fachliches Neuland. Bisher war in der DDR noch nie zu Ermittlungszwecken eine entsprechende wissenschaftliche Täterhypothese erarbeitet worden. In seinen Ausführungen hieß es, daß >es sich bei dem homophilen Sadisten um eine noch ziemlich junge männliche Person handeln kann, die vermutlich in geordneten, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht asozialen Verhältnissen lebt.<«

Nach dem Fund der Leiche eines weiteren Jungen im Oktober 1971 »wurden erneut Sonderermittlungskommissionen eingesetzt. Wiederum wurde Szewczyk zu den Ermittlungen herangezogen. Er sollte anhand des neuen Materials die Täterhypothese präzisieren. Innerhalb seiner folgenden Analyse verwies Szewczyk auf Ähnlichkeiten bei den Eberswalder Mordfällen mit dem sogenannten >Kirmesmörder< Jürgen Bartsch. Mit Hilfe des MfS beschaffte sich Szewczyk näheres Aktenmaterial aus der Bundesrepublik, welches er zur Erstellung seiner neuerlichen Täterhypothese mit heranzog.«

Daraus, daß dieser Pädophile aus Velbert (NRW) vor seinen Serienmorden »bereits mehrfach durch sexuell-sadistische Handlungen an Jungen polizeibekannt aufgefallen war«, leitete Szewczyk gemeinsam mit den zuständigen Kriminalisten »die Ermittlungsstrategie ab, eine groß angelegte Befragung von Kindern betreffenden Alters in den Schulen in Eberswalde, insbesondere im Stadtteil Westend, durchzuführen. Alle Daten aus der Ermittlung wurden computertechnisch verarbeitet, auch dies war ein Novum. Diese Strategie sollte sich als richtig erweisen. Am 11. November 1971 berichtete innerhalb der Befragung ein Junge über einen sexuellen Übergriff durch den vermutlichen Mörder im Jahre 1968 - ein Jahr vor den ersten Mordfällen. Da der Junge den vermeintlichen Täter im Stadtbild häufig wiedergesehen hatte, konnte er auch einen Hinweis auf die Wohnung des Täters geben. Am nächsten Tag wurde in dem benannten Haus Erwin Hagedorn, damals 19 Jahre alt, durch die Kripo zunächst zur Polizeidienststelle mitgenommen. Bereits kurze Zeit nach seinem Eintreffen gestand er ohne äußerlichen Zwang die Morde an den Knaben und berichtete detailreich über sämtliche Abläufe.«

Muß man erwähnen, daß der Name Szewczyk in der Liste der Figuren, mit der die ARD ihren Film ankündigt, nicht auftaucht?