Vom ND am 25.5.2019 veröffentlichter Leserbrief zu einem Beitrag von
Andreas Fritsche „Die Stasi im ND - Gedenkstätte Hohenschönhausen informiert
über konspirative Wohnungen“
(ND 20.04.2019 - siehe Anlage)
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Interesse habe ich den Beitrag von Andreas Fritsche
„Die Stasi im Neuen Deutschland“ (ND vom 20.04.19) gelesen. Ich war langjährig
als leitender Analytiker in der Hauptabteilung XX tätig, die u.a. auch für die
Gewährleistung der staatlichen Sicherheit im ND verantwortlich war und gehöre
als Geschäftsführer der ISOR e.V. auch zu jenen ehemaligen MfS-Mitarbeitern,
die heute in einem Büro im Gebäude des ND arbeiten.
Ich kann Ihnen versichern, dass es nicht Aufgabe des MfS
war, eine Redakteurin des ND zu „belauschen“. Absolute Priorität bei der
Absicherung des ND hatte die Gewährleistung eines störungsfreien Druckes des
Zentralorgans der SED, die vorbeugende Erkennung und rechtzeitige Beseitigung
entsprechender Gefährdungen und die Untersuchung eingetretener Störungen und
Havarien auf ihre Ursachen, die auch staatsfeindlicher Natur sein konnten.
Spektakuläre Vorkommnisse sind mir nicht in Erinnerung, aber immer wieder
einmal musste überprüft werden, wie es zu bestimmten Druckfehlern, vertauschten
Bildunterschriften oder zu durch den Rasterdruck entstandenen Bildelementen
kommen konnte, die von ND-Lesern als Hakenkreuze gedeutet wurden. Die Kontrolle
der ND-Journalisten auf ideologische Klarheit und Reinheit war nicht Aufgabe
des MfS. Dafür sorgte schon deren enge Anbindung an das ZK der SED.
Der für das ND (zusätzlich auch für die ZENTRAG) zuständige
Mitarbeiter der Hauptabteilung XX arbeitete im ND keineswegs anonym. Er
unterhielt ständige offizielle Kontakte zu verantwortlichen Mitarbeitern und Parteifunktionären
des ND und seiner Druckerei und sprach bei Erfordernis auch mit einzelnen
Angestellten. Das gemeinsame Anliegen, das reibungslose Funktionieren der
Zeitung, stand dabei im Mittelpunkt der von gegenseitigem Respekt geprägten und
- wie unter Genossen der SED üblich – kameradschaftlich geführten Gespräche.
Dazu stand dem MfS auch ein Zimmer im ND-Gebäude zur Verfügung. Möglicherweise
unterhielt das MfS im ND-Gebäude zusätzlich auch eine konspirative Wohnung, die
unter irgendeiner Legendierung zur Durchführung von
Treffs mit IM (vermutlich ohne jeden Bezug zum ND) genutzt wurde.
Im ND hatte das MfS nur wenige Personen als IM geworben,
schwerpunktmäßig an neuralgischen Positionen beim Druck des ND. Operative
Vorgänge zur gezielten Bearbeitung von ND-Angehörigen, die im Verdacht
staatsfeindlicher Aktivitäten standen, sind mir nicht bekannt. Die für Parteiobjekte zuständige Abteilung 10
der HA XX verfügte auch über keinen einzigen für eine solche Bearbeitung
geeigneten IM. Nur 2,25 % der Gesamtzahl der IM des MfS waren nach den
MfS-Statistiken IMB, also solche IM, die über Feindverbindungen verfügten und
zur unmittelbaren Bearbeitung im Verdacht feindlicher Tätigkeit stehender
Personen eingesetzt wurden. Dass solche IM innerhalb der Familie (wie im Fall
des Ehemannes von Vera Lengsfeld) tätig wurden, bildete eine äußerst seltene
Ausnahme, wird aber aus durchsichtigen Gründen immer wieder als typisches Paradebeispiel
für die IM-Arbeit des MfS präsentiert. Zumeist nicht erwähnt wird, dass der
Vater von Vera Lengsfeld Offizier des MfS war.
Als 1987/1988 ein Reisekader des ND vom BND angeworben und
kurze Zeit darauf enttarnt wurde, war das ein Erfolg der Spionageabwehr des
MfS.
Mit der neuen Ausstellung in der Gedenkstätte
Berlin-Hohenschönhausen soll das MfS unter Hinweis auf eine vorgebliche
Überwachung der gesamten Bevölkerung in Berlin weiter als Inkarnation alles
Bösen dargestellt werden. Im Kern handelt es sich aber um einen moralisierenden
Vorwurf, losgelöst vom tatsächlichen Inhalt der Arbeit des MfS und deren Folgen
für die Berliner. Übrigens müssen die 11.000 Angehörigen des Wachregimentes des
MfS in die Gesamtzahlen von 90.000 insgesamt bzw. 40.000 in Berlin eingerechnet
werden. Zu beachten ist außerdem, dass von den 90.000 hauptamtlichen
Mitarbeitern des MfS nur ca. 12.000 IM geführt haben. Die konspirativen
Wohnungen des MfS stellten kein Netz der totalen Überwachung der Berliner
Bevölkerung dar. Ihre Inhaber hatten lediglich die logistische Aufgabe, Treffs
operativer Mitarbeiter mit ihren IM unter konspirativen Bedingungen zu
ermöglichen. Eine Observierung von Wohnungsnachbarn war weder ihre Aufgabe noch
waren sie dafür geeignet. Die Inhaber solcher Wohnungen waren hauptsächlich
zuverlässige Mitglieder der SED, darunter viele anerkannte Opfer des
Faschismus. Ihre politische Haltung war im Wohngebiet bekannt und niemand wäre
auf die Idee gekommen, ihnen feindliche Pläne oder Absichten anzuvertrauen. Entsprechend
der Aufgabenstellung der jeweils IM-führenden Diensteinheiten, die diese
konspirativen Wohnungen eingerichtet hatten, dienten diese Treffs der
Informationsgewinnung z.B. aus Schwerpunktbereichen der Volkswirtschaft, des
Verkehrswesens, des Staatsapparates, im Rahmen des Auslandsaufklärung, der
Spionageabwehr usw. Abwegig ist die Vorstellung, das eine Konzentration
konspirativer Wohnungen in der Innenstadt Ausweis einer besonders engmaschigen
Überwachung gewesen sei. Es handelte sich einfach um Standorte, die für
Mitarbeiter und IM besonders verkehrsgünstig zu erreichen waren. Die 11
konspirativen Wohnungen in der Oderberger Str. in Prenzlauer Berg dienten nicht
der Überwachung der dortigen alternativen Szene sondern den Aufgaben jener
Diensteinheiten, die sie eingerichtet hatten, manche sicherlich bereits in
einer Zeit, in der von dieser Szene noch gar keine Rede war. IM aus dieser
Szene sind bestimmt nicht im eigenen Wohngebiet getroffen worden, soviel
Konspiration musste schon sein.
Wenn Sie unter den dargestellten Fakten anführen, dass das
MfS täglich 400 bis 600 Telefongespräche abgehört habe, so ist das nur die
halbe Wahrheit. Abgehört werden konnten gleichzeitig maximal 400 bis 600
Telefonanschlüsse. Nicht wenige davon sind über längere Zeit abgehört worden.
Vor einiger Zeit hatte ich ein Gespräch mit einem Journalisten aus den USA. Ich
erläuterte ihm, dass meine Hauptabteilung maximal 40 Telefonanschlüsse abhören
konnte. Ein neuer Abhörauftrag konnte nur erteilt werden, wenn ein laufender
Auftrag beendet wurde. (Bei Betrachtung der umfangreichen Aufgaben der HA XX
werden auch Sie sicherlich zu dem Schluss kommen, dass die Wahrscheinlichkeit
des Abhörens von ND-Mitarbeitern gegen Null geht). Der betreffende
USA-Journalist kommentierte meine Bemerkung mit einem lauten Lachen. Die NSA
würde regelmäßig zwei Drittel aller Telefonanschlüsse in den USA abhören. Dabei
kann man wohl davon ausgehen, dass fast alle USA-Bürger über ein Telefon
verfügen, während gegen Ende der DDR hier nur ca. 25 % der Haushalte ein
Telefon hatten.
Angesichts der heutigen Möglichkeiten der Geheimdienste,
die praktisch jedes Telefon, jedes Handy, jeden Computer, jedes GPS-System und
alle sozialen Netzwerke im Internet überwachen, die Inhalte automatisch digital
speichern und auswerten können, ist der moralisierende Vorwurf der Überwachung
gegen das MfS einfach nur lächerlich. Wem das alles noch nicht reicht, der kann
seine Haushaltsgeräte digital vernetzen oder sich eine „Alexa“ anschaffen. Ich
erinnere mich noch an die Empörung, als gegen Ende der DDR bekannt wurde, dass
der Berliner Alexanderplatz von einer Videokamera überwacht wurde. Wie viele
Lämpchen würden auf der Berlinkarte in Berlin-Hohenschönhausen aufleuchten,
wenn alle heute in Berlin installierten Anlagen zur Videoüberwachung sichtbar
gemacht würden. Die Arbeiten an der Personenidentifizierung per Videoaufnahmen
sind schließlich erfolgversprechend und werden weiter forciert.
Wolfgang Schmidt
Anlage
© Tageszeitung »neues deutschland« vom 20.04.2019
„Bis zur Wende war die Belegschaft der
Tageszeitung »Neues Deutschland« so groß, dass nicht jeder jeden
Kollegen kannte. Doch im Redaktionshaus am Berliner Franz-Mehring-Platz 1 gab
es in der fünften Etage ein Zimmer, in dem Männer ein- und ausgingen, die hier niemand kannte. Gerüchten zufolge handelte es sich dabei um Mitarbeiter
des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). »Die belauschen uns«, soll eine Redakteurin
der Abteilung Volksbildung, die ihr Büro direkt nebenan hatte,
damals entrüstet gesagt haben. Entrüstet deswegen, weil doch bis auf wenige Ausnahmen für untergeordnetes, technisches Personal beim
SED-Zentralorgan sowieso nur überzeugte Genossen
eingestellt wurden, die man nicht hätte überwachen müssen.
Von dieser Regel gab es nur ganz wenige
Ausnahmen: Einen Lehrling in der Druckerei, der aus der Berufsschule flog, weil
er einen der in kirchlich-oppositionellen Kreisen beliebten pazifistischen
Aufnäher »Schwerter zu
Pflugscharen« auf dem Rucksack trug, einen
Auslandskorrespondenten, der sich in Indien verliebte und deswegen der
Aufforderung zur Rückkehr nach Berlin nicht Folge leistete.
Sensible Bereiche abzusichern, das gehörte nun einmal zu den Aufgaben des MfS. Dass es beim »ND« ein Zimmer hatte, steht
heute fest. Die Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen zeigt gegenwärtig eine Ausstellung,
die das offenlegt. In dem Ausstellungsraum laufen die Besucher über ein Luftbild von Berlin und können auf einem Tablet sehen, wo sich MfS-Objekte
befanden. Zum Teil gibt es dazu Fotos, Filme und erklärende Texte. Einen Kurzfilm gibt es beispielsweise zu
dem Fußballstadion, in dem der BFC Dynamo seine
Heimspiele austrug. Minister Erich Mielke war Fan und saß als Zuschauer auf der
Tribüne.
Für den
Franz-Mehring-Platz 1 ist eine »konspirative Wohnung« der Hauptabteilung XX erfasst, die für die Bereiche Staatsapparat, Kirche, Kultur und
Opposition zuständig war. Der Begriff »Wohnung« ist hier missverständlich. Doch das MfS benutzte auch echte Wohnungen -
beispielsweise, um sich dort mit »Inoffiziellen Mitarbeitern« (IM) zu treffen oder um von dort aus Nachbarn zu
observieren. Es gab Wohnungen, die allein diesem Zweck dienten, aber auch
Quartiere von verlässlichen Genossen, die dafür ein Zimmer in ihrer Wohnung zur Verfügung stellten.
Auch Knud Wollenberger, IM »Donald«, traf sich in einer
konspirativen Wohnung mit seinem Führungsoffizier. Die
Verabredung dazu erfolgte am Telefon mit den Worten: »Wir treffen uns bei den Grünpflanzen.« Denn mit diesen
Pflanzen sei die Wohnung voll gewesen, erzählte Wollenberger vor
seinem Tod im Jahr 2012. Den Führungsoffizier
schilderte er als einen vernünftigen Mann, der zur
Reformpolitik von »Glasnost« (Offenheit) und »Perestroika« (Umbau) des sowjetischen
Staatschefs Michail Gorbatschow neigte - eine Haltung, die in der
Hauptabteilung XX keine Seltenheit gewesen sein soll, obwohl die DDR ihre
Probleme damit hatte. Wollenberger sah sich bis zuletzt als Mann der
Opposition, der dem MfS offen seine Meinung sagte, aber sich an die Regeln der
Konspiration hielt und seiner Frau, der späteren
CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld, nichts von den Treffs bei den Grünpflanzen verriet.
4200 solcher Adresspunkte mit
Stasiobjekten verzeichnet die Ausstellung. Es verblüfft, wie dicht die konspirativen Wohnungen in der
Innenstadt beieinander lagen, etwa die jeweils gleich um die Ecke gelegenen
Wohnungen »Finnland«, »Meyer« und »Kurt« in der Czarnikauer, Driesener und
Paul-Robeson-Straße in Prenzlauer Berg. Das sei auch die
Absicht zu zeigen, wie engmaschig das Netz gewesen sei, das die Stasi über die Stadt geworfen hatte, bestätigt Andre Kockisch,
Sprecher der Gedenkstätte Hohenschönhausen.
Im nd-Gebäude gehen die Offiziere von einst heute offen ein und
aus. Sie belauschen niemanden mehr. Vielmehr finden sie Hilfe bei der Initiativgemeinschaft
zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe
und der Zollverwaltung der DDR und bei der Gesellschaft zur rechtlichen und
humanitären Unterstützung. Diese haben hier
Büros angemietet. Es wäre interessant zu erfahren, wo sich der
Verfassungsschutz mit seinen Spitzeln trifft. Doch um das aufzudecken, muss
auch dieser Geheimdienst erst aufgelöst werden.
Fakten
Die am 29. März 2019 eröffnete interaktive Ausstellung »Stasi in Berlin -Überwachung und
Repression in Ost und West« ist bis zum 31. März 2019 täglich von 9 bis 18 Uhr
in der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Genslerstraße
66 in 13055 Berlin, zu besichtigen. Der Eintritt ist frei.
Knapp zweieinhalb Jahre wurde an dieser
multimedialen Ausstellung gearbeitet. Dafür sind im Archiv des
Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen mehr als 600 teils
mehrbändige Akten ebenso gesichtet worden wie
Fotos und Filme. Recherchiert wurde außerdem im Deutschen
Rundfunkarchiv, im Archiv des Senders rbb sowie in Bildarchiven. Darüber hinaus wurden Interviews mit Zeitzeugen und
Experten geführt.
Die Ausstellung zeigt mehr als 90 Adressen
des sowjetischen Geheimdienstes aus der zweiten Hälfte der 1940er Jahre,
etwa 50 Adressen aus den Anfängen des
DDR-Ministeriums für Staatssicherheit und rund 300 seiner
Dienstsitze und Stützpunkte der 1980er Jahren. Außerdem vermerkt sind Tausende konspirative Wohnungen.
Das Ministerium für Staatssicherheit beschäftigte 1989 etwa 90 000
hauptamtliche Mitarbeiter, davon allein 40 000 in Berlin. Dazu kamen 11 000
Soldaten und Offiziere des Wachregiments »Feliks Dzierzynski«.
Ende der 1980er Jahre hörte das MfS täglich 400 bis 600
Telefongespräche ab und beschlagnahmte zwischen 1984
und 1989 32 Millionen D-Mark aus Westpaketen.
In Berlin gab es allein elf konspirative
Wohnungen in der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg, wo
sich in den 1980er Jahren eine alternative Szene geformt hatte, af“