„junge
Welt“ 7.12.2017
„Noch nie so feindselig“
Blamage der bürgerlichen
Medien: Wie vor zehn Jahren eine wissenschaftliche Konferenz zur Hetze gegen die DDR genutzt wurde
Peter Wolter
Wenn es einen
zeitgemäßen Gottseibeiuns, einen modernen Teufel zu
erfinden gälte, brauchte man nicht lange nach einem Modell dafür zu suchen: Das
seit 27 Jahren aufgelöste »Ministerium für Staatssicherheit der DDR« (MfS)
bietet auch heute noch genügend Anknüpfungspunkte für Gruselstories
jeder Art: Knebelung Andersdenkender, Kindesraub, Attentate, skrupellose Spionage.
Damit sich die in der Öffentlichkeit generierte
Abscheu auf hohem Niveau hält, wird unverdrossen immer wieder nachgelegt. Die
vorwiegend zu diesem Zweck geschaffene »Behörde des
Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der
ehemaligen Deutschen Demokratischen
Republik« (ßStU) hat noch kaum eine Gelegenheit
ausgelassen, so ziemlich alles mit Dreck zu bewerfen, was mit
DDR-Geheimdiensten zu tun hat. Und Medien wie Frankfurter Allgemeine Zeitung, Springer-Presse, ARD, Focus und andere nehmen derartige Anregungen dankbar auf - eigene Recherche
unterbleibt in der Regel.
Einen besonderen Coup leistete sich die Behörde vor fast genau zehn Jahren, als sich das »Zentrum
für die Studien des Kalten Krieges« der dänischen Universität Odense
vorgenommen hatte, in einer
wissenschaftlichen Tagung Erkenntnisse über die tatsächliche Rolle der DDR-Auslandsaufklärung (Hauptverwaltung A des MfS,
kurz: HVA) zu gewinnen. Da hatten diese unbedarften Dänen doch tatsächlich die Stirn, in Berlin eine Tagung
anzusetzen, auf der auch ehemalige H
VA-Mitarbeiter als Zeitzeugen zu Wort kommen sollten. Diesen Wunsch nach wissenschaftlicher
Aufklärung empfanden BStU und andere Behörden als
unverfrorene Frechheit Die Tagungsräume
wurden gekündigt, der Kongress abgesagt.
Die Dänen ließen sich nicht einschüchtern - für
den 17. und 18. November 2007 wurde ein neues Treffen in den Räumen der
Universität Odense angesetzt - unter Teilnahme ehemaliger DDR-Aufklärer und
HVA-Offiziere, Dazu kamen 13 westliche Wissenschaftler und etliche ehemalige Angehörige
britischer und US-amerikanischer Geheimdienste. Selbst ein Historiker der BStU, Helmut Müüer-Enbergs, der allerdings durch Krankheit verhindert
war, ließ ein Referat verlesen. Es wurden Vorträge gehalten,
Diskussionspapiere ausgetauscht» man kam ins Gespräch. Die Atmosphäre war
sachlich und themenbezogen - fast kollegial.
Genau das hatte die BStU verhindern wollen -
eine ehrliche Berichterstattung über
diese Veranstaltung hätte ihre Propagandaplanung
konterkariert. Wenn schon die Tagung seihst nicht mehr torpediert werden
konnte, sollte zumindest deren Resonanz in der Öffentlichkeit
korrigiert werden. Um auch die Berichterstattung im
Ausland in den Griff zu bekommen, holte die Behörde
die Daumenschrauben aus ihrer Trickkiste.
Teilnehmende
Wissenschaftler hatten sich zunächst
zufrieden über
den Ablauf der Veranstaltung geäußert, ihr Organisator, der
damalige Assistenzprofessor Thomas Wegener Friis kommentierte gegenüber)!/!/,
die Konferenz sei »sehr vernünftig gelaufen, es war ein spannendes Experiment«. Die niederländische Historikerin Beatrice de Graaf bemerkte -
ebenfalls zur jW: »Das
war hochspannend, ich habe noch nie so viele interessante Details erfahren.« Und die US-Professorin Kristie Macrakis
von der Harvard Universität sagte: »Ich
bin begeistert, es herrschte eine sehr angenehme Stimmung. Ich
glaube, dass sowohl die Geheimdienstler als auch die Historiker hochzufrieden waren,«
Wenige
Tage darauf war vieles anders. Die Springer-Presse beschwerte sich über den »Propagandaerfolg der
MfS-Rentner«,
die FAZ schrieb über
eine »Stasi-Butterfahrt«
weil einige Dutzend ehemaliger HVA-Offiziere per Bus angereist waren. Wegener
Friis, der zuvor noch kritische Worte zur deutschen Berichterstattung gefunden
hatte, wechselte plötzlich
die Front: Offenbar auf Druck der deutschen
Regierung hieß es jetzt, eigentlicher
Zweck der Konferenz sei von Anfang an die
Entlarvung »der geistigen Verfassung der alten Stasi-Elite« gewesen. Diese Ehemaligen seien zur »Aufarbeitung der Geschichte« weder willens noch fähig.
Als jW versuchte, ihn mit seinen
vorherigen Äußerungen zu konfrontieren,
tauchte er ab und war nicht mehr zu sprechen. Und Müller-Enbergs
von der BStU kassierte eine - nach einem Rechtsstreit
später
zurückgenommene
- Abmahnung, wie die Frankfurter Rundschau berichtete.
Die Stockholmer Professorin Birgitta Almgren,
die ebenfalls an der Konferenz teilgenommen hatte, verstand die Welt nicht
mehr, nachdem sie sich einen Überblick über das Medienecho verschafft hatte. »Mit Blick auf die Verfasser
frage ich mich: Waren wir auf derselben Konferenz? Und die US-Professorin Macrakis beschwerte sich in einem Leserbrief an die FAZ:
»Ich
habe früher
ähnliche Tagungen in Deutschland organisiert {...}, aber
die Presse berichtete nie so feindselig, wie
sie es jetzt tat. Der Berichterstattung fehlten Objektivität und Angemessenheit.«