Junge
Welt
06.04.2013 / Schwerpunkt / Seite 3
Politisches Urteil
Freiheitskampf
oder Terrorismus - kaum etwas hängt
so sehr von Zeit und Ort ab. Ein Paradebeispiel ist der Fall des 1952 in der
DDR hingerichteten Antikommunisten Johann Burianek
Claudia Wangerin
Wenig hängt so sehr von Zeit und
Ort ab wie die Frage, wer als Freiheitskämpfer gilt und wer als Terrorist. Der 1952 in
der DDR hingerichtete Johann Burianek und die
antikommunistische »Kampfgruppe
gegen Unmenschlichkeit«
(KgU) sind ein Paradebeispiel. Burianek
wurde die Planung eines Sprengstoffanschlags auf eine befahrene Eisenbahnbrücke vorgeworfen, der
wohl zahlreiche Menschenleben gefordert hätte. Der Verurteilte hatte in der DDR eigentlich
Polizist werden wollen, doch eine Überprüfung ergab, daß er als Kommandanturfahrer in den letzten Kriegstagen einen
Deserteur festgenommen hatte, der nur mit knapper Not der Hinrichtung entkam.
Im November 1949 wurde Burianek deshalb zu einem Jahr
Gefängnis
verurteilt, das er zur Hälfte
absitzen mußte.
Nun
zeichnen sich Gegner der Todesstrafe gerade dadurch aus, daß
ihnen Opfer derselben nicht sympathisch sein müssen und im Einzelfall durchaus Terroristen
gewesen sein können.
Wer Burianek heute als Terroristen bezeichnet,
legitimiert damit nicht automatisch ein Todesurteil, riskiert aber in jedem
Fall eine Geldstrafe wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener.
Diese
Erfahrung konnte der frühere
Oberstleutnant des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) Wolfgang Schmidt Ende März vor dem Landgericht
Berlin machen, das ihn in zweiter Instanz zu einer Geldstrafe von 1200 Euro
verurteilte. Schmidt hatte Burianek als »Banditen« und »Angehörigen einer
terroristischen Vereinigung« bezeichnet.
Über
die KgU hieß es im November 1952 im westdeutschen Magazin
Spiegel, Westberlins Polizeipräsident
Dr. Stumm habe bereits knapp zwei Jahre zuvor in Anwesenheit seines
Stellvertreters gesagt, »daß
sich in bestimmten westlichen Kreisen, die sich vielfach aus alten belasteten
Nationalsozialisten rekrutierten, so etwas wie eine neue Feme-Organisation
aufbaut«.
Sinn und
Zweck der KgU war nach den Worten ihres langjährigen Vorsitzenden
Ernst Tillich die »politische
Seelsorge und politische Seelenführung der Menschen, die das stalinistische Joch
zu tragen haben«.
Um diese Menschen zu überzeugen,
daß
sie es mit einer Mißwirtschaft
zu tun hätten,
tat die KgU alles, um den Alltag der DDR-Bürger zu erschweren -
etwa durch Sabotage an Güterzügen oder Kurzschlüsse in Elektrizitätswerken. Milchvorräte wurden von KgU-Aktivisten durch den Zusatz von Saccharin oder Seife
ungenießbar
gemacht. In den 1950er Jahren fehlte dafür auch westdeutschen Journalisten jeder Humor.
So wurde die KgU
in einem Spiegel-Bericht von 1958 als »dubioser Verein« und Tillich als »verspäteter Werwolf« bezeichnet, der im Osten »nicht ganz zu Unrecht« als »Inkarnation des
Saboteurs«
gegolten habe. Die Autoren warfen Tillich vor, Jugendliche zu verheizen, die in
der DDR lange Haftstrafen absitzen müßten. Von dem damals 38jährigen Burianek soll er sich nach dessen Verhaftung distanziert
haben. Ohne sich mit dem Todesurteil gemein zu machen, sah das Hamburger
Magazin sechs Jahre danach zumindest den Sachverhalt als erwiesen an, daß
Burianek eine Eisenbahnbrücke östlich von Berlin in dem
Augenblick sprengen wollte, in dem der »Blaue Expreß« von Berlin nach Moskau
darüberfuhr.
Die KgU-Widerstandsabteilung habe dafür den Sprengstoff, aber
nicht das von Burianek gewünschte Auto geliefert -
auch der US-Geheimdienst habe in diesem Fall nicht aushelfen wollen. Für Störaktionen bei den III.
Weltjugendfestspielen 1951 in der DDR habe sich Burianek
von der KgU 150 Stinkbomben, 1000 »Reifentöter« und fünf Pakete mit Brandsätzen »zum Anzünden von Propagandagerüsten« besorgt. Es braucht
nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, daß vergleichbare Methoden in der BRD mit dem Antiterrorparagraphen
129a geahndet werden würden.