„RotFuchs“,
Januar 2005
Die „Revolutionäre“ des Herbstes 1989
Im biographischen Lexikon „Wer war wer in der DDR?"
sind auch 70 Personen aufgeführt, die nach Meinung der rechtsstehenden
Herausgeber maßgeblichen Anteil an der „friedlichen Revolution" gehabt
hätten. In der Tat handelt es sich um bekannte DDR-Gegner wie Gauck, Birthler, Hilsberg, Poppe, Bohley usw. Sie
waren in jenen Herbsttagen im Durchschnitt 43 Jahre alt. Fast alle wurden sie
nach dem Krieg geboren und sind dann in der DDR aufgewachsen. Sie kannten also
die kapitalistische Gesellschaftsordnung nicht aus eigenem Erleben. Ihre Eltern
gehörten meist dem Kleinbürgertum an. 26% waren Pfarrer, 23% Selbständige, 16%
Angestellte sowie Angehörige der technischen und humanistischen Intelligenz,
11% bürgerliche Staatsdiener (Beamte, Wehrmachtsoffiziere, höhere Mitarbeiter
des Forst- und Schulwesens usw.), 3% waren mit der Kirche verbundene
Künstler. Nur 7% der Eltern gehörten der Arbeiterklasse an. Von 14%
lagen keine Angaben vor. Lediglich 23% der Leute, die am lautesten „Wir sind
das Volk" skandierten, entstammten der Bevölkerungsmehrheit, über zwei
Drittel hingegen kamen aus einem Elternhaus, bei dem man eine dem Sozialismus
gegenüber ablehnende Haltung vermuten mußte. Man kann
davon ausgehen, daß sie von ihm die ersten
politischen Impulse bekamen und später im Antikommunismus bestärkt wurden. Das
äußerte sich auch darin, daß keiner von ihnen je
SED-Mitglied war. Das ist im Vergleich zu anderen sozialistischen Ländern
ungewöhnlich, wo die „Reformer" fast durchweg aus der „Nomenklatura"
stammten.
Betrachtet man die Berufe jener DDR-Bürger, die den Herbst
1989 „gestalteten", dann ergibt sich: Fast alle, d. h. 90%, gehörten zu
diesem Zeitpunkt der Intelligenz an. Das bedeutet, daß
sie sich ungeachtet ihrer Herkunft im Arbeiter-und-Bauern-Staat gut entwickeln
konnten. Das betrifft auch jene, die nach Ablehnung oder Exmatrikulation durch
eine andere Hochschule Theologen wurden. Für die meisten „Dissidenten" -
87 % - verlief die Berufsausbildung reibungslos bis sehr gut. 12 von ihnen
vermochten sogar zu promovieren (Theologie, Physik, Mathematik, Biologie,
Geschichtswissenschaft, naturwissenschaftlich-technische Fächer). Einer brachte
es bis zum Professor. Niemand mußte deshalb Mitglied
der SED oder einer Blockpartei werden. Das widerlegt die Behauptung, die DDR
habe ein Bildungsverbot für Angehörige kleinbürgerlicher Schichten und Menschen
„weltanschaulich nichtkonformer Herkunft" verhängt. Als Musterbeispiel
hierfür mag die Entwicklung von Angela Merkel dienen: Pfarrerstochter,
Oberschulbesuch, Abitur, erfolgreiches Physikstudium, anschließend Tätigkeit
in der höchsten Forschungseinrichtung der DDR, Promotion. Eine glänzende
Perspektive stand ihr bevor, die ihr den Respekt aller gesichert hätte.
Lediglich 13% der „Herbstaktivisten" hatten Schwierigkeiten, die sie oft
selbst verursachten. Einige besaßen keine abgeschlossene Berufsausbildung, die
nicht nur ein in der Verfassung verbrieftes Recht, sondern auch Pflicht (Art.
25, Abs. 4) war. Das hinderte die berufslose und von der BRD zur
„Bürgerrechtlerin" hochstilisierte Ulrike Poppe
nicht daran, regelmäßig anmaßende Urteile - nicht zuletzt über das
DDR-Bildungswesen - abzugeben. 6% der Konterrevolutionäre galten als Arbeiter,
d. h. sie hatten nur eine Berufsschule abgeschlossen. Meist versuchten sie über
die Kirche mit den Angehörigen der Intelligenz gleichzuziehen. Aufschlußreich ist die Struktur des Kreises der „Bürgerrechtler"-Intelligenz. Entgegen bisherigen
Annahmen überwogen hier nicht Theologen, obwohl sie mit 42% die größte Gruppe
bildeten und in den Medien bis heute präsent sind. Sie besaßen häufig Kontakte
zu BRD- und USA-Stellen. Sie verfügten über Netzwerke, Organisationsstrukturen,
Erfahrungen im Umgang mit Bürgern und Staatsorganen usw. Die zweitgrößte Gruppe
bildeten mit 34% Angehörige der mathematisch-naturwissenschaftlichen,
technischen und medizinischen Intelligenz. Sie waren politisch oft weniger gebildet
und anfälliger für bürgerliche Ideologie als Gesellschaftswissenschaftler. Sie
standen zumeist der Kirche nahe. Über sie gewann diese nicht nur logistische
Mitarbeiter, sondern auch Multiplikatoren für die verschiedensten Bereiche des
Berufslebens, in die sie bislang nicht hatte eindringen können. Bei den
Gesellschaftswissenschaften (21 %) handelte es sich überwiegend um Menschen,
die sich aus unterschiedlichen Gründen schon lange vor 1989 auf
„westliche" Positionen begeben hatten. Mit 3% waren erfolglose und wenig
bekannte Kunstschaffende vertreten. Obwohl die meisten „Reformer" seit
Jahren verfassungswidrige und strafrelevante Ziele verfolgt hatten und auch von
den Sicherheitsorganen beobachtet worden waren, wurde nur ein Viertel von
ihnen für kurze Zeit inhaftiert. Die Drangsalierung durch das MfS und andere
Staatsorgane gehörte bei den meisten daher zur Legende. Joachim Gauck und
Marianne Birthler, die Symbole der konterrevolutionären Abrechnung mit der DDR,
wurden nie festgenommen oder durch die Sicherheitsorgane verfolgt. Ihre „historische
Rolle" spielten die „Herbstrevolutionäre" vor allem bei der
Organisierung der ersten Demonstrationen und bei gewalttätigen Angriffen auf
Gebäude des MfS. Damit hatten sie die für den konterrevolutionären Umsturz
und späteren Anschluß der DDR an die BRD notwendigen
Vorarbeiten geleistet. Dann war ihre „Blütezeit" beendet, was ihnen die
Wähler im März 1990 mit einem Stimmenanteil von 3% bescheinigten. Das schien
auch den „Bürgerrechtlern" klar gewesen zu sein, denn viele von ihnen
sahen im Anschluß an die BRD ihre Felle davonschwimmen.
Jahre danach hatten nur Gauck und Birthler eine üble, Thierse und Merkel eine
belächelte Berühmtheit erlangt. Einige Pfarrer brachten es zu Ministern von Landesregierungen.
Zu bedeutenden politischen Ämtern gelangten dann Leute, die
erst um die Jahreswende 1989/90 dazugestoßen waren
und ihre persönliche Chance gewittert hatten. Sie schienen dem Westen für die
Aufgaben der Rückwende geeigneter zu sein. Die meisten der kleinbürgerlichen
Konterrevolutionäre kamen nach 1990 auch deshalb nicht zum Zuge, weil nur
wenige ausgewiesene Fachleute waren. Die meisten der Fähigen hatten es
vorgezogen, sich aus verschiedenen Gründen in fragwürdige politische Abenteuer
zu stürzen statt sich beruflich zu profilieren. Zudem verfügte - außer Prof.
Jens Reich - keiner von ihnen über die Erfahrungen eines staatlichen Leiters.
Selbst mit den Theologen konnte man auf Dauer in einer mehrheitlich zum
Atheismus neigenden ostdeutschen Bevölkerung keinen Staat machen. Die meisten
wurden daher mit kleinen oder Ruheposten im Bundestag abgespeist und dienen
heute vor allem dazu, bei passender Gelegenheit die DDR zu verteufeln und den
rabiaten Sozialabbau zu verklären. Insofern haben sie ihre politische Rolle
geändert. Sie waren vor 1989 Handlanger fremder und volksfeindlicher Interessen
und sind das in etlichen Fällen auch heute.
Dr. Bernhard Majorow