Die Jagd nach dem Phantom
Der Kampf der Geheimdienste der UdSSR, der
USA und Westdeutschlands um die Archive des MfS der DDR
Das Ringen um Archive der Auslandsaufklärung des MfS
der DDR: Wer hat sie bekommen?
Unter dem Titel „Geisterjagd“ erschien im
Moskauer Verlag „Zentropoligraf“ der Thriller von
Oleg Nikiforov, verantwortlicher Redakteur der „Nesawisimaya Gazeta“, über Versuche von drei Geheimdiensten
– des CIA, des KGB und des BND –, Zugang zu den Archiven der Hauptverwaltung A(ufklärung), der Auslandsaufklärung des MfS der DDR zu
bekommen.
Im Mittelpunkt seiner Rekonstruktion
historischer Ereignisse vor dem Hintergrund des Falls der Berliner Mauer, des
Wirkens der letzten DDR-Regierung und der Vereinigung Deutschlands steht, wie
der Buchautor gegenüber SNA sagte, die Realisierung des CIA-Plans, der die
Code-Bezeichnung „Rosenholz“ trug. „Dieser Plan ist nach wie vor eine geheime
Verschlusssache der Vereinigten Staaten. Und dies lässt einen denken, dass
seine Akteure nach wie vor existieren und ihre geheimdienstliche Tätigkeit
fortsetzen.“
Die Hauptidee des Plans „Rosenholz“ war
das Aufspüren eines „Maulwurfs“ in der CIA-Führung, durch dessen Verschulden
die USA eine Reihe von Agenten in wissenschaftlichen, diplomatischen und
geheimdienstlichen Strukturen der UdSSR verloren hatten. Als solch ein
„Maulwurf“ wurde Aldrich Hazen „Rick“ Ames enttarnt,
ein Mitarbeiter der CIA-Abteilung Gegenspionage UdSSR, der 31 Jahre lang in dem
Nachrichtendienst gearbeitet hatte, gleichzeitig aber auch Agent des
sowjetischen KGB und russischer Geheimdienste war und mit ihnen etwa neun Jahre
zusammengearbeitet hatte.
1994 wurde er der Spionage für schuldig
befunden und zu einer lebenslänglichen Haftstrafe ohne Recht auf Begnadigung
verurteilt. Derzeit verbüßt er die Strafe in Terre Haute, im US-Bundesstaat
Indiana. „Alle im Buch handelnden Personen haben real existiert, obgleich viele
von ihnen bereits das Zeitliche gesegnet haben“, so Oleg Nikiforov.
Als Korrespondent der sowjetischen
Gewerkschaftszeitung „Trud“ (Arbeit) in Ostberlin
beobachtete er den Zusammenbruch des Honecker-Regimes und die Auflösung des
Geheimdienstes der DDR, analysierte Aussagen von Teilnehmern jener Ereignisse
aus dem sowjetischen Außenministerium und der Internationalen Abteilung des ZK
der KPdSU sowie recherchierte sowjetische, deutsche und US-amerikanische
Informationsquellen. Das CIA-Interesse für die Kartothek des Agentennetzes in
Berlin-Lichtenberg, dem HVA-Dienstsitz, erklärt Nikiforov
mit der Effektivität der DDR-Aufklärungsdienste – vor allem in der damaligen BRD und in Europa,
wo sie praktisch an allen entscheidenden Schaltstellen der Nato zuverlässige
Informationsquellen gehabt hatten.
Wo
sind getarnte Agenten der Auslandsaufklärung des MfS der DDR?
Schließlich seien Offizielle des
vereinigten Deutschlands nach wie vor der Auffassung, dass eine Reihe von tief
abgetauchten und getarnten Agenten der ostdeutschen Geheimdienste ihre
Tätigkeit für neue Auftraggeber fortsetzen würden, behauptet der Buchautor.
„Unter denen möglicherweise nicht nur die Nachfolgeorganisationen der GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije — Hauptverwaltung für Aufklärung, das leitende Zentralorgan
des Militärnachrichtendienstes des russischen Militärs) und des KGB, sondern
auch die CIA sind.“
Für solch eine Annahme spricht die im Buch
wiedergegebene Geschichte von Klaus Kuron, einem hochrangigen Mitarbeiter der
westdeutschen Gegenaufklärung, der weiter für das MfS der DDR gearbeitet und
Geld für die übermittelten Informationen auch nach der offiziellen Liquidierung
dieses Geheimdienstes erhalten hatte. Nicht zufällig bezeichnete der ehemalige
Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz der Bundesrepublik Deutschland
Gerhard Boeden, dessen Tätigkeit als „die größte
Spionage-Affäre aller Zeiten“.
Nikiforov beschreibt, wie Ames im April 1985 durch einen der
Leiter der KGB-Vertretung in Washington, Viktor Tscherkaschin,
angeworben worden war und zur Enttarnung von mindestens 25 Agenten der
amerikanischen Geheimdienste unter Bürgern der UdSSR und Russlands beigetragen
hatte. Mehr als zehn von ihnen wurden durch Erschießen hingerichtet (im
Zusammenhang damit erhielt Ames in den USA das Label eines „Serienmörders“).
Ames wurde am 21. Februar 1994 durch FBI-Mitarbeiter festgenommen. Die Gründe
für sein „Auffliegen“ sind nach wie vor nicht klar, während einige Experten die
Auffassung vertreten, dass sein aufwendiger Lebensstil dank der Moskauer
„Vergütungen“ ihm zum Verhängnis geworden sei und zu seiner Entlarvung geführt
habe.
Einer der Wege bei der Suche nach dem
„Maulwurf“ könnte laut Nikiforov der Zugang zur
Kartothek der Auslandsaufklärung des MfS gewesen sein. „In Langley, Virginia
(ein Vorort nordwestlich von Washington, D. C.), CIA-Hauptsitz, wusste man von
der engen Zusammenarbeit der Auslandsaufklärungsdienste des KGB und des MfS der
DDR und hatte gehofft, durch eine Analyse des Informationsaustausches beider
Aufklärungsdienste Angaben auch zu dem ,Maulwurf‘ zu bekommen.“
Schicksal
von Archiven der Hauptverwaltung A
Der Titel des Buches kommt von den Worten
des ehemaligen Leiters des DDR-Auslandsnachrichtendienstes Markus Wolf, dass
die Welt der Aufklärung moralisch gesehen das Reich der Schatten immer sei. Nikiforov weiter: „Man glaubt, ein Teil der Archive sei
trotzdem in die Hände der CIA gelangt. Bekanntlich war der KGB während der von
Gorbatschow initiierten Perestroika im Zerfall begriffen. Dennoch lag dem
Geheimdienst viel daran, sämtliche Daten zu gemeinsamen Einsätzen u. ä. vor der
CIA zu schützen. Die Vertretung des KGB in Berlin hat dafür gesorgt, dass sie
ungestört nach Moskau gebracht wurden.
Der „Spiegel“ habe allerdings angenommen,
so der Journalist, dass ein Teil der Archive schon von Moskau aus in den Besitz
der Amerikaner gekommen sei. „Dies wird mit dem damaligen KGB-Chef Wadim Bakatin in Zusammenhang gebracht. Gegen Ende des Buches
schreibe ich von seinen Zielen, die er mit Gorbatschow vereinbart hatte. Unterdessen
hatten die einschlägigen Anweisungen des Präsidenten der UdSSR wie gewöhnlich
einen allgemeinen Charakter. Sie konnten unterschiedlich ausgelegt werden.
Darüber hinaus glaubte Bakatin, er sei zum KGB-Chef
ernannt worden, um dies Ressort zu Grunde zu richten. Das tat er auch.
Endgültig ruiniert hat er es jedoch nicht, aber wesentlich geschädigt.“
Der
CIA-Plan „Rosenholz“
Der Plan der CIA „Rosenholz“ habe aber
einen vielseitigen Charakter gehabt, merkt Nikiforov
an, „und die Handlungen der US-amerikanischen Aufklärung in der DDR und BRD
waren nur einer seiner Aspekte. In dessen Rahmen erfolgte in der DDR eine
Bearbeitung des ehemaligen Leiters des DDR-Auslandsnachrichtendienstes Markus
Wolf durch die CIA, der von der Politik Honeckers enttäuscht war und sich mit
Stasi-Minister Erich Mielke überwarf, um ihn anzuwerben.“
Im Buch werden Details dieses Versuches
dargestellt. Dem Buch liegen Erinnerungen von Aufklärer-Kundschaftern aus der
UdSSR, aus Ost- und Westdeutschland sowie den USA, Veröffentlichungen in
deutschen und amerikanischen Medien sowie persönliche Beobachtungen des Autors
zugrunde. Die wichtigsten handelnden Personen sind der sowjetische Mitarbeiter
der Berliner KGB-Vertretung Alexander und der CIA-Agent Jim – reale Männer, die
bereits verstorben sind.
Das Buch hat einen teilweise
belletristischen Charakter. Im Zusammenhang damit, dass ein Teil der
Informationen nach wie vor geheim und damit unzugänglich ist, musste Nikiforov eine Reihe von Episoden entsprechend seinen
Vorstellungen darlegen. Dies betrifft insbesondere die Methoden der operativen
Tätigkeit der CIA, die Organisation des Zusammenwirkens der US-amerikanischen
Geheimdienstvertretung in Bonn mit den westdeutschen Geheimdiensten und den Tod
von Markus Wolf im November 2006.
Ausführlich dargelegt wird die Tätigkeit
der Hauptverwaltung A. Erzählt wird über Arbeitsmethoden der Geheimdienste
jener Zeit. Dargestellt wird die Arbeit der KGB-Vertretung in der DDR zum
Erhalt von Informationen über die Struktur, die als „Lutsch“ („Strahl“) bekannt
ist. Um sie herum existiert eine Vielzahl von Spekulationen, die oft den
Charakter einer zielgerichteten Desinformation haben.
Von
Stalin bis Gorbatschow: das Ringen um die verschiedenen Varianten der
Vereinigung Deutschlands
Beschrieben wird auch das Ringen um die
verschiedenen Varianten für eine Vereinigung Deutschlands, beginnend mit der
Stalin-Note von 1952 (mit Vorschlag an die Westmächte Frankreich,
Großbritannien und die USA zu Verhandlungen über die Wiedervereinigung eines
neutralen, souveränen und demokratischen Deutschlands sowie den Abzug aller
Besatzungstruppen und den Plänen von dem kurzzeitigen Nachfolger Stalins Lawrenti Beria bis zur bekannten 2-plus-4-Formel.
Für Deutsche dürfte laut Nikiforow die Debatte innerhalb der damaligen Sowjetführung
über die Grundlagen der deutsch-deutschen Einheit von Interesse sein,
insbesondere der Umstand, dass die Konzeption der Wiedervereinigung
Deutschlands zu einem bürgerlich-demokratischen (nicht sozialistischen) Staat
von Nikita Chruschtschow abgelehnt wurde. „Beria wurde der Prozess gemacht
unter anderem deswegen, weil er Deutschland auf diese Weise zusammenbringen
wollte. Unter Gorbatschow sollte die Wiedervereinigung anhand der Formel 4+2
erfolgen, unter der Bedingung der Neutralität des unteilbaren Landes, das
keinen Bündnissen beitreten durfte. Dies lag im Interesse der UdSSR, war aber
seinerzeit Stalin und nun auch Gorbatschow misslungen.“
Die Hauptschuld daran, dass die
Wiedervereinigung sich anhand der Formel von Kohl 2+4 vollzogen hat, trägt laut
Nikiforow der damalige Außenminister Schewardnadse,
der Genscher und Kohl zu weit entgegengekommen war, unter Verletzung von
Gorbatschows Anweisungen. Der Buchautor beruft sich dabei auf seine Gespräche
mit einem Berater von Schewardnadse, den er von seiner früheren Stelle her gut
kannte.