RotFuchs /
Februar 2021 Seite 15/16
Tschekisten in der Konterrevolution
Über die „Wertschätzung“ des Gegners für das
MfS und die Haltung der PDS
Der Umgang der PDS-Führung mit den Tschekisten war entweder
eine hanebüchene Dummheit, eine naive politische Fehlkalkulation oder bewußter Verrat. Wohl Letzteres. Forschungen zur polnischen
(1944–1948, 1980/81), der ungarischen sowie die Analyse der osteuropäischen
Konterrevolution (1988–2000) haben u. a. zu folgenden Erkenntnissen geführt:
Zunächst einmal ist die Annahme falsch, daß
Geheimdienste im Zuge des Zerfalls ihrer Staatsmacht ein dynamisches Eigenleben
entwickeln, um das Ruder herumreißen zu können. Diese Auffassung diente
kleinbürgerlichen Konterrevolutionären, aus eigener Schuld „Zu-kurz-Gekommenen“
(„Bürgerrechtler“) als Vorwand für ihre terroristischen Angriffe auf die
Sicherheitszentren. Zerfällt die Staatsmacht, zerfällt auch sein
Sicherheitsdienst, denn er ist Teil von ihr. Ist die Partei führungs- und somit
konzeptionslos, ist er es auch. In beiden Fällen ist er dadurch paralysiert,
handlungsunfähig, wirkungslos und somit für den Gegner ungefährlich geworden.
Widerstand könnte er nur in den Anfängen leisten, später spielt er militärisch
und politisch keine Rolle mehr. Obwohl es sich um überaus fähige und politisch
standhafte Leute handelt, können aus ihnen in dieser Phase keine politischen
Führungskräfte hervorgehen, denn darauf sind sie durch ihre Aufgabenspezifik
nicht eingestellt. Hinzu kommt noch der entscheidende soziale Faktor: Faktisch
arbeits- und perspektivlos, potentiell physisch bedroht, haben sie andere
Sorgen. Als Machtfaktor sind sie vorerst ausgeschaltet. Kommt es zu gewaltsamen
Auseinandersetzungen, dann nur, wenn der Gegner Zentralen oder in Wohngebieten
bewaffnet angreift wie in Poznań/Polen 1956 und Rumänien im Dezember 1989.
Sobald der Gegner schießt, stabilisiert sich die Abwehrhaltung, haben die
Mitarbeiter faktisch wieder eine Motivation, wachsen zu einer ernstzunehmenden
militärischen Kraft gegenüber zumeist schlecht organisierten und geführten
kleinbürgerlichen Massen heran. Wehrt sich die Staatsmacht, so existiert sie
noch. In diesem Zusammenhang ist die Existenz der Dienststellen/Kasernen und
ihrer bewaffneten Kräfte (Mitarbeiter, Schutzeinheiten, Eingreiftruppen) zu
sehen. Fallen sie in gegnerische Hände oder werden sie aufgelöst, ist der
bisher bestehende Staat praktisch am Ende. Obwohl sich jede Konterrevolution am
aktivsten gegen die Sicherheitsorgane gerichtet hatte, blieben durchschlagende
Erfolge aus. Die rechten Angreifer eröffneten beim Sturm auf Gebäude der
Staatssicherheit stets selbst das Feuer. Die Verteidiger kannten jene Kräfte
und wußten, daß sie kein
Pardon von ihnen zu erwarten hatten. Diese politische Einstellung verstärkte
ihre Kampfkraft und ließ die zumeist miserabel geführten Rechten scheitern.
Zudem bestand immer die Gefahr des Eingreifens von Regierungstruppen. Der
großspurig angekündigte Sturm auf die Sicherheitszentralen wurde auch von den
verblendeten Massen bei ersten eigenen Verlusten nicht mehr mitgetragen. Am 17.
Juni 1953 zogen sich die rechten Angreifer nach Einsatz von Schußwaffen
durch die Sicherheitsorgane schnell zurück. Jene waren für ein vermeintlich
kommendes luxuriöses Leben gegen die Linken angetreten. Das wollten sie erleben
und nicht vorzeitig sterben. Die meisten von ihnen verzogen sich, oft für
immer. Da man so der Tschekisten nicht habhaft werden konnte, jagte man sie
oder vermeintliche außerhalb ihrer Objekte auf Straßen und in Wohngebieten. Die
Erfahrungen von 1956 wurden im Westen dahingehend ausgewertet, daß ein bewaffneter Sturm auf Sicherheitszentralen
prinzipiell keinen Sinn macht, zumal sich die sozialistischen Staaten in den
nächsten Jahren eingedenk dessen auch sicherheitspolitisch gefestigt hatten. In
keiner Hauptstadt fanden daher derartige Stürme statt. Hinzu kam: Auch die
innenpolitischen Bedingungen waren unterschiedlich. Ein bewaffneter Angriff
hätte das Konzept „friedlicher Revolutionen“ mit weitreichenden Folgen
scheitern lassen können. Budapester Verhältnisse hätten die Linken gestärkt und
auch, entgegen heutigem Gerede, sowjetische Truppen zum Einsatz gebracht. Warum
aber griff die Konterrevolution gerade in der DDR dennoch auf ihre erfolglose
„Sturm-Konzeption“ zurück? Hierfür gibt es Gründe, die von ausgeschlafenen
Kräften im Westen erkannt und von Feindseligen, Naiven, Gutwilligen,
Verblendeten und Verrätern in der DDR durchgesetzt werden sollten: Die DDR war
mit ihren Errungenschaften und auch als Friedensstaat weltweit angesehen, vor
allem bei Werktätigen. Auf Berlin und nicht Moskau blickte man, um zu sehen, ob
und wie Sozialismus funktioniert. Allein mit der „Fluchtwelle“ 1989 konnte man
keinen westlichen klassenbewußten Arbeiter täuschen,
denn er kannte die DDR-Reiseverhältnisse. Wenn aber Massen von Werktätigen die
Machtzentren landesweit gerade hier stürmten, dann würden der Sozialismus und
seine Ideologie unglaubwürdig. Die westlichen Bruderparteien gerieten auch deshalb
in eine tiefe Krise. Obwohl das MfS nach Grenzöffnung im November 1989 faktisch
nicht mehr handlungsfähig war, reichte das Bonn nicht aus. Weitsichtiger als
Partei, Regierung und die meisten DDR-Bürger hatten die Tschekisten begriffen, daß der BRD-Anschluß vor der Tür
stand, und begannen mit der Aktenvernichtung. Bonn, für das der Anschluß in Absprache mit Moskau schon beschlossene Sache
war, benötigte aber die MfS-Akten, um bei sich Kundschafter zu enttarnen – und um entscheidenden politischen Einfluß
im künftigen Anschlußgebiet nehmen zu können. Die
Akten gaben nicht nur Auskunft über Zahl und Qualität künftiger Kollaborateure,
Wendehälse und unbegrenzte Erpressungsmöglichkeiten gegen Widerständler.
Mindestens genauso wichtig waren die Akten der offiziellen und inoffiziellen
MfS-Mitarbeiter. Sie enthielten eine komplette namentliche Aufstellung der
standhaftesten DDR-Verteidiger und eingeschworener künftiger Gegner. Obwohl
nicht in jedem Falle zutreffend, traf das für die überwiegende Mehrheit durchaus
zu. Und es waren viele, etwa über 200 000, also weitaus mehr, als die Linke
heute Mitgliedern zählt. Diese Listen waren weit umfangreicher, umfassender und
zugleich detaillierter als die der Politischen Polizei der Weimarer Republik,
mit denen die Nazis 1933 ihre Jagd auf Antifaschisten eröffneten. Das
demokratische Deutschland konnte damit nach 1990 gezielt diffamieren,
diskreditieren, diskriminieren, isolieren, kriminalisieren, verfolgen, aus dem
öffentlichen Dienst ausschließen, somit ihren politischen Einfluß
wesentlich einschränken und sie ins Prekariat treiben. Diese „Wertschätzung“
durch den Gegner war begründet. Anders als in anderen sozialistischen Ländern mußten in einem Gebiet des ehemaligen Nazideutschlands, bei
offener Grenze zum politisch starken, wirtschaftlich übermächtigen Gegner
besonders gebildete, intelligente, ideologisch gefestigte, politisch standhafte
und moralisch integre Menschen für die Geheimdienstarbeit gefunden werden. Nur
darin war das MfS allen westlichen Geheimdiensten immer überlegen.
Tschekisten waren diejenige Berufsgruppe in der DDR, die am
besten politisch gebildet war und in der fast jeder der Partei angehörte.
Ähnliches traf auch auf die Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) zu, die zumeist aus sozialistischpatriotischer Pflicht handelten. Vor allem
waren sie, anders als viele Staats- und Parteifunktionäre und Angehörige der
Intelligenz durch ihre jahrelangen Kampfkontakte zum Gegner gegenüber
feindlichen Handlungen bedeutend wachsamer und völlig illusionslos. Es war ein
enormes politisches Kapital, das sich schon bei der Formierung der PDS
auszahlen sollte. In vielen Basisorganisationen und Kreisvorständen waren
Tschekisten besonders aktiv. Das Überleben der Partei war auch ihnen zu verdanken.
Zusammen mit ehemaligen Politoffizieren, Grenzoffizieren, anderen
Militärangehörigen, ehemaligen Parteiarbeitern und sozialistischen
Wissenschaftlern hätten sie ihre hervorragenden politischen Eigenschaften zum
Klingen bringen können. Hier gab es genügend charismatische Genossen, die mit
der Zeit auch das rhetorische Niveau eines Gregor Gysi übrigens sein einziger
Vorzug erreicht hätten. Reformisten wären an ihnen gescheitert. Deshalb mußten sie von der Partei getrennt und gesellschaftlich
isoliert werden. Eine einmalige Chance ist durch Schuld der Staats- und
Parteiführung bewußt vertan worden. Man wähnte sich
in einem naiven Vertrauensverhältnis zur BRD. Dafür sollte alles gewaltfrei
bleiben. Trotz realer Möglichkeiten wurden die MfS-Dienststellen nicht
abgesichert, man distanzierte sich vom MfS, um angeblich die eigene Partei zu
retten. Jeder, der sich mit Konterrevolutionen beschäftigt, weiß, daß das immer ein verhängnisvoller Fehler ist. Zudem wurde
das MfS, das immer auf Anweisungen der Partei gehandelt hatte, durch die
respektvolle Behandlung der HVA gespalten, wurden die Genossen der Abwehr
faktisch zum Abschuß freigegeben. Dadurch war auch
die gewaltlose Besetzung der MfS-Dienststellen erst möglich geworden. Von der
Partei im Stich gelassen, zunehmend verleumdet, vom Pöbel angefeindet, in
zunehmender Arbeitslosigkeit, zogen sich die meisten Tschekisten aus dem
politischen Leben zurück. Für die Reformisten, die im Dezember 1989 das Ruder
übernommen hatten, bildeten sie keine Gefahr mehr. Für Bonn war das die
Garantie für die Entwicklung der PDS zu einer zunehmend systemkonformen und für
sie ungefährlichen Partei. Die ständigen Angriffe auf die PDS waren
antikommunistischer Verblendung geschuldet und auch als Warnung gedacht, den
Weg der Anpassung nicht zu verlassen. Während auf unserer letzten
SED-Kreisdelegiertenkonferenz im Dezember 1989 die Diskussionsbeträge der
MfS-Genossen noch mit großem Beifall honoriert worden wurden, machte sich
später ein „Anti-Stasi-ismus“ breit, dem die
PDS-Führung durch ihre fortschreitende Distanzierung von der „stalinistischen“
DDR nicht entgegen zu treten bereit war. Ihre DDR-Feindlichkeit zog
folgerichtig auch eine MfS-Feindlichkeit nach sich. Für die Tschekisten gab es
kein Wort der Verteidigung oder zumindest des Bedauerns. Im Gegenteil! Mit der
ungerechtfertigten Verhaftung von Erich Mielke wurde ein deutliches Zeichen
gesetzt: Wir wollen Euch nicht. So gab es auch PDS-Basisorganisationen, die
sehr ungern umgemeldete Tschekisten aufnahmen. Als mit der Gauck-Inquisition
hunderttausende IM ihren Arbeitsplatz verloren, stellte sich die PDS nicht
hinter sie, sondern empfahl, einzeln im Vertrauen auf den Rechtsstaat zu
klagen. Damit stellten sie sich auf die Position der Konterrevolution, denn
Gleiches rieten auch die Regierenden, wohl wissend, daß
bei der real fast 40prozentigen Arbeitslosigkeit kaum eine Chance auf
Wiederbeschäftigung bestand.
Hierzu ein paar persönliche Worte: Ich selbst war kein
Angehöriger des MfS, auch kein IM, habe aber als Grenzoffizier immer mit der
Abwehr gut zusammengearbeitet. Mein Vater hingegen hatte es als Arbeiter zum
Juristen und MfS-Oberstleutnant gebracht. Seine Genossen gehörten zu den besten
Menschen, die ich je kennengelernt hatte. Meiner vom MfS gewünschten Übernahme
widersetzte sich mein Vater aus gutem Grund: Ich sagte immer und überall meine
Meinung, wollte nicht nachgeben, lieber diskutieren. Kurioserweise waren das
Eigenschaften, die mich 1994 ins Fadenkreuz der Gauck-Behörde rücken sollten,
denn ich verteidigte als Lehrer die Arbeit der Tschekisten mit offenbar guten
Argumenten. Doch ihr Versuch, mir eine IM-Tätigkeit anzuhängen und ein
bundesweites Berufsverbot für mich durchzusetzen, scheiterte ebenso wie der
meiner vorgesetzten Wendehälse 2012, mich mit 63 Jahren, u. a. wegen meiner
Haltung zum MfS, die ich als Lehrer für Geschichte und politische Bildung
bekundet hatte, zu kündigen. Als wir auf dem PDS-Parteitag 1991 versuchten, dem
„Anti-Stasi-ismus“-Kurs der Führung entgegenzuwirken,
scheiterten wir an der Parteitagsregie. Daraufhin trat ich der DKP bei. Als der
Anti-DDR-Kurs der PDS-Führung zunahm und Sarah Wagenknecht angegriffen wurde,
trat ich 1997 aus der Partei aus, der ich seit 30 Jahren angehört hatte.
Dr. Bernhard Majorow
Am 8. Februar jährte sich die Gründung des MfS
zum 71. Mal. Die Redaktion des „RotFuchs“ gratuliert
aus diesem Anlaß allen ehemaligen Mitarbeitern zu
ihrem Ehrentag