RotFuchs 07/2006
Die Stunde der Heuchler und Biedermänner
Künstliche Aufregung herrscht bei einem Teil der
Politelite Berlins. Was ist, geschehen, daß sich das Abgeordnetenhaus damit befaßt und sogar in den Abendstunden
eine „Opferlesung" veranstaltet?
Man könnte denken, es ginge um den Aufschrei der Lehrer über
den Terror an den
Berliner Schulen, um die Sorgen über die
totale Verschuldung der Hauptstadt, um die wachsende Armut
in der Stadt oder gar um die gerade
bekannt gewordene Folterung von Frauen und
Männern durch die britische Besatzungsmacht im Nachkriegsdeutschland, weil sie Kommunisten waren oder solche
gewesen sein sollten. „The Guardian" hatte das
berichtet und das britische Verteidigungsministerium es bestätigt. Weit
gefehlt! Es ging mal wieder um den Geheimdienst der DDR, das MfS. Nun könnte man denken, die
Übriggebliebenen des MfS hätten einen Aufstand gemacht oder das Abgeordnetenhaus
besetzt oder eine Sitzblockade vor dem Roten
Rathaus veranstaltet. Nichts von
dem, sie haben weit Schlimmeres getan. Sie haben - nicht alle, sondern
nur ein paar - an einer öffentlichen Veranstaltung teilgenommen, bei der es um
Dinge ihres früheren Dienstes ging, und
sie haben sich zu Wort gemeldet,
um Aussagen geradezurücken, Wahrheiten aus eigenem Erleben kundzutun und Unwahrheiten zurückzuweisen. Was für ein Verständnis von Demokratie und Meinungsfreiheit haben die aufschreienden
Politiker eigentlich? Sind sie Unwillens oder unfähig, Wahrheiten über historische Ereignisse und Zusammenhänge
anzuerkennen oder zumindest in einen Disput
einzutreten? Die schlechtesten Ratgeber für die Geschichtsaufklärung
sind das Vorurteil und der blinde Haß.
„Wir müssen deutlich dem Eindruck entgegentreten, die früheren Gefängniswärter und Stasi-Mitarbeiter könnten ihre eigene Geschichte
unwidersprochen verfälschen und die Deutungshoheit bei der Aufarbeitung beanspruchen", erklärte der
Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Herr Momper. Das heißt doch im Umkehrschluß, daß die
Deutungshoheit der Geschichte der DDR allein
den westdeutschen Eliten zustehen soll,
also jenen, die die DDR 40 Jahre verteufelt und bekämpft haben. Wie heißt es doch im
„Sachsenspiegel: „Eenes
Mannes Rede ist keene Rede, man muß hören alle beede."
Soweit es um die Geschichte der DDR
geht, wird Gegenrede, wird Wahrheitsforderung, werden Darstellungen von
Zeitzeugen, wird die Darstellung
historischen Geschehens unterdrückt, totgeschwiegen oder, wie hier, totgeschrien.
Ob es diesen Leuten gefällt oder ihrem politischen Geschäft
zuwiderläuft, Artikel 5 des Grundgesetzes ist für alle verbindlich, ist
Verfassungsgebot und kann von jedermann in Anspruch genommen werden. Wer mit
einer Auffassung nicht einverstanden ist,
sollte die besseren Argumente bemühen, nicht aber drohen. Das gehört sich so in der vielgepriesenen
Demokratie. Das ist Bestandteil der Kultur eines Volkes.
Es wird doch immer offensichtlicher und
nach 16 Jahren deutscher
Einheit auch immer perfider, daß eine ganze Berufsgruppe
der DDR, die Bediensteten des Staatssicherheitsbereichs,
zu den Prügelknaben der Nation gemacht werden. Und wenn sich diese mit
rechtlichen Mitteln oder dem Wort wehren,
wird ihnen dieses Wehren noch dazu aufgerechnet. Man sollte doch einmal deutlich folgende
Feststellung treffen dürfen: Seit 16 Jahren werden ca. 100000
geheimdienstlich und militärisch gut ausgebildete Leute in ihrer
Existenz vernichtet, juristisch verfolgt,
sozial in die Enge getrieben und gesellschaftlich
geächtet, und alle halten sich diszipliniert an die Gesetze des sie
verfolgenden Staates, keiner rastet aus, keiner
übt Rache, und es findet keine Verschwörung
statt.
Es wird ein völlig verzerrtes Bild des Geheimdienstes der DDR gezeichnet. Deshalb ist es angebracht und
legitim, nach den Wurzeln der deutschen
Geheimdienste nach dem 2. Weltkrieg
zu forschen. Die BRD und die DDR
wurden auf Befehl der Besatzungsmächte
gegründet. Alles andere zu diesem
Akt ist pure Augenwischerei. Auch die
Geburtsurkunden der deutschen Geheimdienste lagen in Washington oder Moskau. Nur die deutschen Akteure konnten verschiedener nicht sein:
Die „Organisation Gehlen", der spätere BND, war ein
Nazi-Verein mit Leuten schlimmster Verstrickung. Das MfS war eine Truppe der
anderen Seite, der Verfolgten, der gestandenen Antifaschisten. Über
Generalleutnant Gehlen ist heute fast alles bekannt. Über den General Wessel
wohl auch. Mit der schubweisen Freigabe der CIA-Akten
der damaligen Zeit kommt nunmehr ans Licht, welche Figuren in BND Zuflucht gefunden hatten und ihn mitgestalteten.
Da war u.a. der SS-Sturmbannführer Erich Deppner, der als
Lagerkommandant von Westerbork die Juden ins Gas schickte. Da waren die SS- Standartenführer Kirchbaum und Six, die
die gefürchteten und mordenden
Einsatzgruppen im Osten geleitet
haben. Selbst dem Eichmann-Adjutanten - einen Massenmörder, den die
Israelis heute noch suchen - gab die Gehlentruppe
Zuflucht. Nach amerikanischen Einschätzungen gehörten zu den Gründern
des späteren BND etwa 400
stark belastete Nazis, vor
allem aus der SS,
dem SD
und der Gestapo.
Sarkastisch meinte der CIA
Experte Rositzki: „Es war unbedingt notwendig, daß wir jeden Schweinehund verwendeten. Hauptsache
er war Antikommunist." Der damalige Präsident der USA, Truman, wußte von dieser Sache. Sein Kommentar zu Gehlen: „Mich interessiert nicht, ob er Ziegen
fickt, wenn er uns hilft, benutzen wir ihn" (Quelle:
„Der Spiegel" 13/2006, S. 32/33) Es ist also festzustellen, daß der Anfang des
Geheimdienstes der BRD gekennzeichnet
war vom Wirken von Nazi-Verbrechern,
die z.T. auf den Fahndungslisten der
Alliierten standen. Der östliche deutsche Geheimdienst entstand aus anderen
personellen Quellen. Hier hatten SS-Leute
wirklich keinen Platz. Es waren
vielfach die Opfer der Gegenspieler.
Da war Karl Kleinjung, zuletzt Generalleutnant,
der als Panzerfahrer die Spanische
Republik verteidigt hatte. Von der
BRD verfolgt, von Spanien zum Ehrenbürger
erklärt. Da war Markus Wolf, zuletzt
Generaloberst, Sohn des jüdischen Schriftstellers Friedrich Wolf, Berichterstatter
beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß. Da war
Hans Fruck. Im
Krieg Leiter einer Widerstandsgruppe, Haft
in Brandenburg-Görden. Da war Gustav Szinda, der für die Spanische Republik als
Stabschef der XI. Internationalen Brigade
gekämpft hat. So könnte man Namen an
Namen reihen und findet immer wieder die gleichen Merkmale:
Antifaschist, Kämpfer gegen den Faschismus und gegen den Krieg. Heute zu
behaupten, daß die SS-Verbrecher der „Gehlen-Organisation" Träger der Demokratie und die MfS-Gründer Träger einer
Diktatur waren, ist geradezu
grotesk.
Die damalige nahtlose Fortsetzung des Antikommunismus fand vor allem ihren späteren Ausdruck im Haß auf die DDR. Das wirkt auf das heutige Leben fatal nach. So ist es nicht verwunderlich, daß vor allem junge Menschen, die nie in der DDR gelebt haben, durch die Horrorgeschichten über das Wirken der „Stasi" zu beeindrucken sind. Wer erzählt ihnen aber, daß der Geheimdienst der BRD Zufluchtsstätte für Mörder, Judenverfolger, Kriegsverbrecher u.a. war?
Immer wenn es darum geht, die DDR als Diktatur zu verunglimpfen, wird die Opferkeule geschwungen. Mit dem Begriff „Opfer der DDR" wird eine unselige Politik betrieben.
Die BRD hat alles darangesetzt, anhand von tatsächlichen oder vermeintlichen Einzelschicksalen pauschalisierend den Unrechtscharakter des Staates DDR zu beweisen. Alle Register werden gezogen. Spezifische Gruppen (z. B. „AG 13. August", Stiftungen verschiedener Art, „Astak", Antistalinismusvereine, „unabhängige" Vereine zur Geschichtsaufarbeitung, „OFB" usw.) werden mit Steuermitteln gesponsert und mit gutem Timing als „Zeugen des Unrechts" aufgerufen. Ein knappes Dutzend „Bürgerrechtler" wird immer dann ins Rampenlicht gerückt, wenn es opportun erscheint, mit der „authentischen" Opferdarstellung berechtigte Forderungen der Ostdeutschen zurückzudrängen und einen Vergleich der heutigen Realität mit den Erlebnissen, Erfahrungen und dem Leben in der DDR zu verhindern.
Mit Hilfe des westdeutschen Gesetzgebers (1. SED-UnBerG vom 29. 10. 1992, BGBl. I 1992) hat die BRD etwas getan, was wohl internationalen Gepflogenheiten zuwiderläuft, aber dem grenzenlosen Haß auf die DDR entsprang. Sie hat Rechtsbrecher zu Helden erklärt. Das betraf z. B. Personen, die Terrorakte, Menschenhandel, Kriegsverbrechen, Geheimnisverrat u. a. begangen hatten. So wurde der Terrorist, der in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) ein Ehrenmal für die gefallenen Sowjetsoldaten in die Luft jagen wollte, ein Held. Man stelle sich vor, es würde jemand das Luftbrückendenkmal in Berlin sprengen! Was für ein Aufschrei ginge durch das Land.
Wer vorgibt, ein konsequenter Terrorbekämpfer zu sein, darf Terrorhandlungen nicht tolerieren.
Der DDR-Marinemaat, der unter Anwendung der Schußwaffe ein Kriegsschiff entführte, um es einer fremden Macht zu übergeben, wurde zum Helden erklärt, der sich wehrende Kommandant verfolgt. Ich kann mir vorstellen, daß ein solcher Terrorist in der US-Marine kein langes Leben gehabt hätte.
Ein Staat, der überführte und verurteilte Verbrecher aus politischen Gründen nachträglich zu Helden umstilisiert, darf sich nicht wundern, wenn die Rechtswerte und die Achtung vor dem Gesetz immer tiefer sinken.
Was als Zäsur für den Rechtsstaat propagiert wurde, hat sich als Aushöhlung und Niedergang des Rechtsstaates erwiesen. „Opfer" im juristischen Sinne kann nicht sein, wer nachgewiesenermaßen eine Handlung begeht, die nach den geltenden Gesetzen strafbar ist und dessen Verfahren nach den Normen des Prozeßrechts durchgeführt wurde oder wird. Anderenfalls würde das Strafrecht total ausgehebelt werden. Demnach ist der Begriff „Opfer" an objektive Kriterien und nicht an das subjektive Empfinden des Betreffenden gebunden oder gar nach dem Maß von Politikern zu messen.
Leider wird jedoch die Geschichte der DDR subjektiv beurteilt und damit die objektive Wahrheit verdrängt. Da die DDR keine Konzentrationslager betrieb, keine sogenannten Gulags besaß, keine Folterstätten wie Abu Ghreib oder Guantanamo unterhielt, kein Folterschiff außerhalb der Hoheitsgewässer hatte, keine Häftlinge per Flugzeuge in Folterstaaten überführte, niemandem einen Sack über den Kopf stülpte, Käfige nur im Tierpark verwendete, keine Hunde auf zu Vernehmende hetzte, keine Elektroschocks praktizierte und nach internationalem Standard mit Häftlingen verfuhr, muß nun eine Untersuchungshaftanstalt des MfS in Ermangelung des Vorgenannten als Zeugnis der „Unmenschlichkeit" des „SED-Regimes" herhalten.
Das ist von der Sache her zwar lächerlich, hat aber Methode.
Wenn schon eine Untersuchungshaftanstalt als Gedenkstätte gebraucht wird, dann wäre Moabit viel geeigneter, da geschichtsträchtiger.
In Hohenschönhausen wurde unter DDR-Regie niemand hingerichtet. Da haben andere deutsche Haftanstalten mehr zu bieten.
Da die Vertreter der BRD und anderer Staaten dort ein- und ausgingen, war doch kaum etwas zu verbergen. Sie hätten damals die Möglichkeit gehabt, festgestellte oder übermittelte Unregelmäßigkeiten oder gar Menschenrechtsverletzungen den zuständigen Organen der DDR, der Bundesregierung oder internationalen Gremien anzuzeigen.
U-Haftanstalten sind in aller Welt Durchgangseinrichtungen. Die Häftlinge
kommen und gehen, und jeder sieht seine
Situation anders. Die
Ungewißheit über
den Ausgang des Verfahrens zerrt an
den Nerven, und manche drehen durch. Warum gibt es denn in Moabit so
viele Selbsttötungen? In jeder U-Haft
herrscht ein Regime des Zwanges, schon alleine
deshalb, weil die Freiheit entzogen
ist. Wenn man die
Gruselstories über Hohenschönhausen
hört, könnte man zu der Auffassung
gelangen, die dort Eingesperrten
wären samt und sonders Engel gewesen.
Es ist sicherlich an der Zeit,
einmal darzulegen, wer aus
welchen Gründen in dieser
U-Haftanstalt arretiert wurde und wie viele von denen später die Bekanntschaft
der Haftanstalten der BRD machen mußten. Eines
dieser „Stasi-Opfer" wurde
z.
B. wegen Polizistenmordes in Spanien hingerichtet.
Die schlimmsten von der DDR verfolgten Massenmörder saßen dort ein. So der KZ-Arzt Fischer, der Juden in Auschwitz ins Gas schickte. Oder der SS-Offizier, der im französischen Oradour Frauen und Kinder erschießen ließ und eigenhändig erschoß. Es waren auch Gewaltverbrecher aus der DDR wie der skrupellose Neubrandenburger Kindermörder darunter, Terroristen, Menschenhändler und natürlich Spione aller Schattierungen. Sicherlich gab es dann und wann einen Unschuldigen. Man nenne mir eine deutsche U-Haftanstalt, wo es das nicht gibt! Es wäre schon interessant zu erfahren, wie viele unschuldige Menschen jährlich in deutschen U-Haftanstalten eingeliefert werden. Der Oberst des MfS Erich Gaida saß z. B. 18 Monate in einer westdeutschen U-Haftanstalt, bis ein Gericht ihm bescheinigte, keine Straftat begangen zu haben.
Jene, die heute im Zusammenhang mit Hohenschönhausen von „Stasi-Mördern", „Stasi-Schergen", „Folterern" u. a. schreien und das selbst zum Wahlkampfthema hochspielen, müssen ein miserables Verhältnis zum Rechtsstaat BRD allgemein und zur BRD-Justiz im Besonderen haben.
Niemals in der deutschen Geschichte wurde ein Geheimdienst in so kurzer Zeit so total entblößt, wie es dem MfS passierte. Alles liegt offen zutage. Ganze Heerscharen von ZERV-Ermittlern und aus Westdeutschland eingeflogenen Staatsanwälten haben jahrelang in den Akten gewühlt und praktisch nichts gefunden. Wo nichts ist, kann auch der fanatischste Staatsanwalt nichts hervorzaubern. Den angefeindeten und geächteten Mitarbeitern des MfS ist praktisch von der anderen Seite bescheinigt worden, daß sie nach Recht und Gesetz gehandelt haben. Was jetzt wieder einmal vom Stapel gelassen wird, ist eine Mischung aus Wahrheiten, Halbwahrheiten, Lügen, Verzerrungen und Verschweigen. Die meisten Behauptungen sind juristisch ohne jeden Beweiswert. Die Heuchler und Biedermänner, die alles inszenieren, wissen das natürlich selbst. Jede neue Welle der Verteufelung der DDR und ihrer Organe verfolgt nur ein Ziel: von eigenen Problemen und Gebrechen abzulenken. Für die Wahrheit über die DDR zu kämpfen ist unter den heutigen Bedingungen und bei den realen Machtverhältnissen sehr schwer. Aber es lohnt sich um der Ehre und der Zukunft willen.
Dr. Günther Sarge
Unser Autor war Präsident des Obersten Gerichts der DDR und ist
jetzt Mitglied der AG Recht der GRH e. V.