9.2.2016 Tageszeitung
junge Welt
Friedensdienst
Die
Spione der DDR handelten nach der Maßgabe, einen Krieg zu verhindern. Ihre Leistungen werden in Zeiten sich verschärfender Konflikte
deutlich erkennbar
Werner Großmann und Wolfgang Schwanitz
In der kommenden Woche erscheint im Vertag Das Neue Berlin
das von Klaus Eichner und Gotthold Schramm herausgegebene Buch »Top-Spione im Westen«. Darin berichten
Agenten der Hauptverwaltung Aufklärung,
des Auslandsnachrichtendienstes der DDR, über ihre Tätigkeit
an den Schaltstellen westdeutscher Politik und
Wirtschaft. Der Band erschien bereits 2003 unter dem Titel »Kundschafter im Westen« und ist um weitere drei
Beiträge erweitert . jW veröffentlicht
an dieser Stelle vorab das für diese Ausgabe verfasste Vorwort. (jW)
Seit nunmehr einem Vierteljahrhundert ist die DDR Geschichte. Ihr Auslandsnachrichtendienst und alle anderen
Institutionen sind es damit auch. Wer bei politischem
Verstand ist, hat viele Gründe,
dies zu bedauern. Der wichtigste Grund ist die Tatsache, dass inzwischen der
Krieg wieder als eine normale Fortsetzung der Politik praktiziert wird.
Der französische Sozialist Jean
Jaures (1859-1914) sah nicht als erster und einziger den kausalen Zusammenhang
zwischen Kapitalismus und Krieg, aber er kleidete diesen in ein sehr überzeugendes
Bild: »Der Kapitalismus trägt
den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.« Womit gesagt ist:
Solange es Kapitalismus gibt solange wird es auch Kriege geben.
Die
Deutsche Demokratische Republik brach mit dem Kapitalismus in Deutschland, der
Schwur der Überlebenden
des Konzentrationslagers Buchenwald »Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!« wurde Staatsdoktrin. Womit die DDR zwangsläufig zur Zielscheibe kapitalistischer Staaten wurde,
insbesondere jenes Nachfolgestaates des Deutschen Reiches,
der ein einheitliches, antifaschistisch-demokratisches Deutschland verhinderte,
indem er das Land teilte. Die existentielle Auseinandersetzung mit den
alternativen Gesellschaften, die eine antikapitalistische Entwicklung
einschlugen, nannten sie Kalter Krieg. Und dieser
wurde, grundsätzlich
betrachtet, nach den gleichen Prinzipien geführt, die Kaiser Wilhelm II. 1905 in seinem
Neujahrsbrief an den deutschen Reichskanzler Bernhard von Bülow formuliert hatte: »Erst die Sozialisten
abschießen,
köpfen
und unschädlich
machen, wenn nötig
per Blutbad, und dann Krieg nach außen. Aber nicht vorher
und nicht a tempo.«
Der Krieg »nach außen« wurde bis 1990
verhindert allein durch die Existenz eines zumindest
militärisch gleichwertigen Widerparts, eines Bündnisses, das sich die Sicherung des Weltfriedens auf die Fahnen geschrieben hatte. Die
Androhung wechselseitiger Vernichtung war zwar kein
auf Dauer erträglicher Zustand, außerdem verschlang die Rüstung Ressourcen, die den Völkern
fehlten. Aber das wies den Kapitalismus in die Schranken. Diese
waren beseitigt, als die Mauer fiel und der Warschauer Vertrag sich auflöste.
In Europa wurde wieder geschossen. Zuerst auf dem Balkan - wie schon einmal 1914.
Ab 1999 waren auch deutsche Soldaten dabei. Solange zwei deutsche Staaten existiert hatten, hatte man sich solche
Unverfrorenheit, nicht getraut...
Opfer der
Siegerjustiz
Diesen großen politischen Bogen
sollte man schon schlagen, um sich bewusst zu machen, welchen Beitrag die Spione der DDR - die wir zu ihrer Unterscheidung
von den Agenten des Kapitalismus »Kundschafter« nannten - zur Bewahrung des Friedens bis 1990 nachweislich
leisteten. Und wir sollten auch sagen, dass sie dazu nur deshalb in der Lage
waren, weil die sie führende Hauptverwaltung
Aufklärung (HV A) zu einem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gehörte, in welchem der Schutz des Friedens staatlich
organisiert und koordiniert worden ist. Selbstredend gemeinsam mit anderen Institutionen,
denn das MfS inklusive HV A stand nicht über anderen Einrichtungen der DDR, sondern es war Teil
eines großen Ganzen.
Die
Kundschafter, auch die der Militäraufklärung, kämpften in der ersten Linie, die keineswegs unsichtbar war. Der Verlauf der
Klassenfront war durchaus erkennbar. Und sie selbst blieben nur solange unsichtbar, solange sie nicht erkannt
wurden. Falls sie jedoch enttarnt wurden, verhielt man sich ihnen gegenüber so, wie es der deutsche Kaiser seinerzeit gefordert
hatte: »abschießen, köpfen und unschädlich
machen«. Horst Hesse, der 1958 aus einer
Filiale des US-Nachrichtendienstes M1D in Würzburg die Datei mit den
amerikanischen Agenten in der DDR sicherstellte (was später die Vorlage für den DEFA-Film »For eyes only« lieferte), wurde in den USA in Abwesenheit zum Tode
verurteilt. Andere Kundschafter wie Hans Voelkner
oder Marianne und Hans-Joachim Bamler wurden in
französischen Kerkern »unschädlich« gemacht, Christel und Günter Guillaume, Renate und Lothar-Erwin
Lutze in denen der Bundesrepublik, Lutze war elf Jahre inhaftiert, ehe er 1987 ausgetauscht werden konnte. Er saß von allen am längsten.
All diese Genossen und unsere Gefährten
wussten, wie hoch ihr Risiko war. Sie gingen es mit Bedacht ein, weil sie nicht
nur von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugt
waren, sondern auch von dessen Notwendigkeit.
Daran änderte auch die Niederlage
nichts, die wir 1989/90 erlitten. Dieser Überzeugung
blieben sie, blieben wir ebenso treu wie jene Kräfte
der Konterrevolution, die obsiegten, der ihren: Sie machten die Sozialisten mit
Hilfe der Justiz unschädlich, um »dann Krieg nach
außen (zu beginnen). Aber nicht vorher und nicht a tempo.« Es gab etwa dreitausend Ermittlungsverfahren
nach 1990, viele Kundschafter wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Die
kapitalistische Justiz - die trotz gegenteiliger Bekundungen eine Klassenjustiz
ist und bleibt - drängte
sie an den sozialen Rand der Gesellschaft Die Rentenkassen erledigten auch die
Führungsoffiziere
und die Mitarbeiter, die hinter diesen Kundschaftern in der DDR standen. Und
die kapitalistische Propaganda besorgte die Gehirnwäsche bei den Außenstehenden.
Inzwischen haben wir es mit einer ganzen Aufarbeitungsindustrie zu tun. Das
Land ist überzogen
von einem Netzwerk staatlicher oder staatlich alimentierter Einrichtungen, die jenen Generationen, die keine
lebendige Erinnerung an die DDR haben, ein Bild von dieser »zweiten deutschen
Diktatur«
vermitteln sollen, in der »die
Stasi« spitzelte
und spionierte, Unschuldige verfolgte und zu seelischen Krüppeln machte.
Menschenverachtender
Plan
Dass solche Darstellungen falsch und verlogen sind, wissen alle, die
dabei waren. Wir werden aber immer weniger, das ist der Lauf der Welt. Deshalb legen wir
Zeugnis ab, solange es geht. Dabei geht es nicht um Rechtfertigung. Wofür sollten wir uns »rechtfertigen«? Die Sicherung des Friedens bedarf keiner Begründung. Eher stehen doch wohl jene in der Pflicht zu erklären, warum sie fortgesetzt den Frieden brechen. Sie führen weltweit Krieg gegen den Terror, wie sie behaupten.
Sollte man
nicht besser nach dessen Ursachen fragen? Wurzeln diese nicht in Jahrhunderte währender kapitalistischer
Bevormundung, Ausbeutung und Unterdrückung? Oder in der Zerschlagung staatlicher Strukturen,
um einen »Systemwechsel« mit dem Ziel höherer Profite herbeizuführen? Wenn dann
Unwissenheit auf Leichtgläubigkeit trifft, finden
religiöse Vorstellungen Zuspruch, die Glück und Zufriedenheit versprechen.
Natürlich und mit Recht stößt
das zu Beginn des 21. Jahrhundert auf Widerspruch, und alle Verbrechen, die
sich auf antiquiertes Denken oder auf eine Religion berufen, sind zu
verurteilen. (Das gilt für den Islam wie für das Christentum) Doch die Auseinandersetzung mit
solchen Auffassungen und den daraus resultierenden Rechtsbrüchen darf nicht die
Frage nach dem Warum ausblenden. Das aber geschieht
absichtsvoll. Sie wird weggebombt. Denn hinter den Rauch- und
Propagandaschwaden verschwinden auch andere Probleme.
Der
Imperialismus - diesen Begriff liebt man nicht, weil er zu deutlich den
Charakter der kapitalistischen Gesellschaft
benennt - hat keine Moral außer
jener, an die schon Karl Marx im »Kapital« erinnerte: »300 Prozent (Profit) und es existiert kein Verbrechen,
das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens.« Wir erinnern uns: Im
Mai 1945 - soeben war von der Antihitlerkoalition Nazideutschland
niedergerungen und der Krieg in Europa beendet worden - sollte die Sowjetunion
von britischen und US-Truppen militärisch niedergeworfen
werden. Für die »Operation Unthinkable« wollte man etwa 100.000 kriegsgefangene
Wehrmachtsoldaten reaktivieren. Der Termin des Überfalls
war auf den 1. Juli 1945 festgelegt. Er wurde abgeblasen, weil man erstens die
Sowjetunion militärisch für zu stark hielt und zweitens Probleme sah, der
eigenen Bevölkerung
einen Krieg gegen den bisherigen Verbündeten glaubwürdig
zu vermitteln. Dieser streng geheime Plan wurde erst 1998 publik.
Ende 2015
erfuhr die Welt von einem anderen »streng geheimen« Plan: die nukleare Vernichtung von 1.200 Städten
in den Staaten des Warschauer Vertrages sowie Chinas. Deren
Namen standen in einer »Atomwaffenbedarfsstudie« des strategischen
Bomberkommandos der USA. Die 800 Seiten umfassende Zielliste machte Washington Ende der 50er Jahre zum Regierungsprogramm, es
wurden dafür 1.200 Wasserstoffbomben
MK-15 produziert, von denen jede die Sprengkraft von 300 Hiroshima-Bomben besaß. Allein 68 solcher Mordinstrumente sollten auf die
DDR-Hauptstadt Berlin abgeworfen werfen, für Leningrad - drei Jahre
von der faschistischen Wehrmacht erfolglos belagert - waren 145, für Moskau 179 vorgesehen.
Der Deckname der Zielorte: »Ground Zero«.
Dass dieser irrwitzige, menschenverachtende Plan nicht ausgeführt wurde, war nicht irgendwelchen Humanitätsgedanken oder
christlicher Nächstenliebe
geschuldet, sondern einzig der Tatsache,
dass die Sowjetunion und ihre Verbündeten
unter großen Mühen ein atomares Patt erreicht hatten, was zu der simplen Logik
führte, die selbst Kalte Krieger begriffen: Wer als erster
schießt, stirbt als zweiter!
Nicht grundlos hieß damals das Uranerz, das
wir oft unter unsäglichen Bedingungen und keineswegs
schadlos für
Mensch und Umwelt aus den Schächten
in der DDR kratzten, »Friedenserz«. Der Preis, den wir zahlten, war hoch. Aber die Rendite
rechtfertigte unseren
Einsatz: Wir verhinderten dadurch die nukleare Vernichtung der
Menschheit. Zu den notwendigen Aufwendungen, die uns auszehrten, gehörten auch die zugunsten der Schutz-
und Sicherheitsorgane im In- und im Ausland. Ohne unsere Aufklärer und das gesellschaftliche
Hinterland hätten
wir nicht bis 1990 Frieden sichern und für eine stabile Ordnung
sorgen können. Ein System
kollektiver Sicherheit, in den 70er Jahren mit der Konferenz
für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) geschaffen, wäre ohne dieses kollektive Engagement nicht möglich gewesen,
Globale Bespitzelung
Und jene geheimen Pläne zur Eroberung und
Beherrschung der Welt waren nicht die einzigen
- das Thema ist keines ausschließlich
für den Geschichtsunterricht. Es ist Gegenwartskunde, wie
wir etwa von Edward Snowden wissen, einst Mitarbeiter
der CIA. Von ihm erfuhr 2013 die Welt, dass die Geheimdienste der USA
systematisch die Welt ausforschen. Ob Freund
oder Feind, Verbündeter oder Gegner: egal,
gespitzelt wird global. Seither dringen mehr und mehr Details an die Öffentlichkeit Im
Bundestag beschäftigt
sich seit 2014 ein Untersuchungsausschuss mit der NSA-Affäre, in dem auch die Kooperation
des Bundesnachrichtendienstes mit den US-Spionageeinrichtungen ans Licht kam wie auch die Tatsache, dass der BND
gleichfalls EU-Partner abhörte.
Als 2013 ebenfalls ruchbar wurde, dass die Amerikaner das Telefon der
Bundeskanzlerin abhörten, empörte sich Angela Merkel: »Ausspähen unter Freunden, das
geht gar nicht.«
Zwei Jahre später kam heraus, dass der BND das gleiche tat - er hörte die »Freunde« in Paris ab. Uns überraschte
das nicht.
Dem Bereich Gegenspionage der HV A war es in den 80er Jahren gelungen,
ein Dokument mit der Bezeichnung »National
SiGiNT Requirements List« (NSRL) sicherzustellen. Es handelte sich um eine
Wunschliste der Intelligence Community der USA für die weltweite fernmelde- bzw. elektronische Aufklärung. Federführend
bei der Erstellung dieses Dokuments war die NSA. Darin fixiert waren das
Interesse aller US-Geheimdienste, des Weißen Hauses und einiger Regierungsorgane, etwa des Außen- und des Energieministeriums, an spezifischen
Informationen aus bestimmten Regionen und Ländern.
Verlangt wurden detaillierte Daten zur Außen-,
Innen-, Wirtschaftspolitik, über die Potenzen an strategischen Rohstoffen, die Streitkräfte, das Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen,
Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung (vor allem in solchen Bereichen, bei denen die USA unangenehme Überraschungen fürchtete),
spezielle Rüstungsforschungen,
Entwicklungen in der Energiepolitik etc. Und natürlich verlangte man auch Auskünfte über die Tätigkeit
der Geheimdienste jener Länder,
Durch
diese Liste, von unseren Kundschaftern besorgt, erhielten wir Kenntnis von den geheimen
Informationsinteressen der USA an jedem einzelnen Land der Erde und wie diese bedient werden
sollten. Wir hatten somit die Möglichkeit darauf
prophylaktisch zu
reagieren und uns (und unsere Verbündeten)
zielgerichtet vor den Angriffen der US-Geheimdienste
zu schützen.
Darüber berichtete Oberst a. D. Klaus Eichner, Chefanalytiker
der HV A, in seinem Buch »Imperium ohne Rätset,
Was bereits die DDR-Aufklärung über die NSA wusste«.
Das wurde, wie üblich,
als reine DDR-Propaganda und als »Rechtfertigungsschrift« abgetan - bis im Mai 2014 eine Podiumsdiskussion in den Räumen der Bundeszentrale für
politische Bildung in Berlin stattfand. Daran nahm auch
William Binney teil, der 32 Jahre lang bei der NSA unter anderem als Technischer Direktor gearbeitet
hatte, ehe er nach Nine Eleven hinwarf. Ins Zentrum
des Gespräches rückte bald jene »National SIGINT Requirements
List«. Binney und andere
Diskutanten bestätigten, dass dieses
Arbeitsprogramm der US-Führung unverändert existiere und laufend aktualisiert werde.
Und die Diskussion der Experten offenbarte
ferner: Kern des Problems ist der Drang der Großmacht USA, ihren globalen
Herrschaftsanspruch mit Hilfe ihrer Nachrichtendienste gegen Feind wie Freund durchzusetzen. Dieser Überzeugung war die DDR seinerzeit aus politischen Gründen - unsere Aufklärer
brachten dafür fortgesetzt die Beweise.
Klaus Eichner, sonst in der
Regel ausschließlich mit einer
untergegangenen und
geschmähten DDR-Institution in
Verbindung gebracht, wurde nach dieser Gesprächsrunde in
einem Hamburger Nachrichtenmagazin plötzlich
als »ehemaliger DDR-Offizier« bezeichnet.
Das war nicht falsch. Aber eben nur die halbe Wahrheit: Klaus Eichner war Offizier
in der Hauptverwaltung Aufklärung
des Ministeriums für
Staatssicherheit, dem er von 1957 bis 1990 angehörte. Er wurde auf einmal als seriöser, kundiger Fachmann behandelt und als gleichberechtigter Gesprächspartner akzeptiert. Aber dass er Mitarbeiter des MfS war, das behielt man lieber für sich.
Dokumentendiebstahl
Im Juni
1990 waren alle US-Unterlagen mit Blaulicht und bewaffnetem Schutz der Volkspolizei zur Archivierung in die
Normannenstraße, der einstigen
MfS-Zentrale, gefahren worden. Darunter
jene 13.088 Blatt, die zum Komplex NSRL von unseren Kundschaftern und ihren Quellen zusammengetragen worden
waren. In den Abendstunden des 4. Oktober 1990 - am ersten
Arbeitstag nach dem Ende der DDR - durchsuchte
im Auftrag der Bundesanwaltschaft ein Spezialkommando des BKA mit vier Beamten
und zwei Technikern das Archiv.
25 Jahre später berichteten
verschiedene Quellen, darunter auch der RBB im Januar 2014, dass
diese und andere Maßnahmen
im Auftrage des seinerzeitigen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble erfolgt waren. Um die
Berliner Polizei damit nicht zu belasten, sei der Bundesgrenzschutz mit der
Besorgung bestimmter Akten beauftragt worden. Diese wurden
ungesichtet umgehend nach Übersee ausgeflogen,
womit auch der Auftraggeber
für diesen Diebstahl
genannt war: die USA. Wie es im Spiegel 30/1999 dazu hieß: »Washington hatte ganz
ordentlich Druck in Bonn gemacht - schließlich trugen etliche der Dokumente Stempel der höchsten amerikanischen
Geheimhaltungsstufen Top Secret und Top
Secret Umbra.«
Den Grund für diesen Druck nannte das
Nachrichtenmagazin auch: »Sie
waren der Beweis dafür,
wie ungeniert die Amerikaner (...) Spionage betrieben - auch gegen die
Westdeutschen.«
Als die
NSA-Akten das einstige MfS-Archiv verließen und in die USA ausgeflogen wurden, verschwanden sie auf Nimmerwiedersehen, wodurch
es unmöglich gemacht wurde, schon damals
den US-Amerikanern schwarz auf weiß zu beweisen, wie sie gegen die DDR und gegen
die Bundesrepublik Deutschland in den 70er und 80er Jahren spioniert hatten.
Die Spuren waren erfolgreich beseitigt
worden.
\~
So wie man seit einem Vierteljahrhundert eifrig dabei ist, die Spuren
der Kundschafter zu eliminieren. Das wird aber nicht gelingen, solange es die
Erinnerung gibt und Bücher. Sie dokumentieren
die Arbeit, die Haltung und die Motive von Frauen und Männern, die sich dafür engagierten, dass
Frieden blieb - indem sie für
den Friedensstaat DDR kundschafteten,
politische, wirtschaftliche, wissenschaftlich-technische, militärische und geheimdienstliche
Institutionen des Klassengegners ausforschten, uns warnten oder halfen, unser Land und seine Verbündeten ökonomisch zu stärken, indem sie die Lücken
schlossen, die der Gegner schlug, um uns zu
schwächen. Markus Wolf (1923-2006), der die Hauptverwaltung
Aufklärung aufbaute und sie bis 1986 erfolgreich führte, erklärte
zu Recht in einem Interview: »Wir haben ja nicht gegen Feindbilder operiert. Wir hatten
wirkliche Feinde.« Und das verziehen ihm diese Feinde bis an
sein Lebensende nicht. Als er in den 90er Jahren, nach allen Verfahren und
Verurteilungen, ein Visum für
die USA beantragte, wurde es ihm mit der
Begründung vom U.S. Department of
State verweigert, er habe eine terroristische
Vergangenheit. (»Markus Wolf Ineligible for U.S. Visa Due to Terrorist
Activity«, Daily Press Briefing vom 9. Juni 1997)
Wir wussten es damals, als wir der DDR dienten, und wir können es heute nicht übersehen,
weil wir es täglich
in den Nachrichten zur Kenntnis nehmen müssen: Sie sind die Terroristen. Unsere Kundschafter, die Topspione im Westen, haben zu
ihrer zeitweiligen Bändigung beigetragen. Darauf können alle friedliebenden Deutschen unverändert stolz sein.
Werner Großmann: Generaloberst a. D.,
seit 1952 Mitarbeiter des Außenpolitischen Nachrichtendienstes
(APN), der späteren Hauptverwaltung Aufklärung
des MfS, Chef der HV A von 1986 bis
1989, Stellvertretender Minister
Wolfgang
Schwanitz Generalleutnant a. D., Angehöriger
des MfS seit 1951, von 1986 bis 1989
Stellvertretender Minister, danach Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit und in dieser
Funktion Mitglied des DDR-Ministerrates
Klaus Eichner,
Gotthold Schramm (Hrsg.): Top-Spione im Westen. Spitzenquellen der DDR-Aufklärung erinnern sich. Das Neue Berlin, 2016,400 Seiten,
18,99 Euro, ab 15. Februar
im Buchhandel