Versöhnung oder Rache?
„Rache ist nicht mein
Sinnen… Ich wünsche mir Versöhnung.“ So etwas steht wörtlich in einem Interview von
Roland Jahn, dem neuen obersten Aktenverwalter der „Stasi-Unterlagenbehörde“,
mit der SUPERillu vom 5. Mai 2011.
„Rache war nie mein Sinnen“ erklärte
Jahn auch in einem Interview mit dem „Neuen Deutschland“ vom 19.05.2011. Man
müsse jedoch die Empfindungen der Opfer ernst nehmen. Für diese sei es einfach
unerträglich, dass ehemalige „Stasi“-Mitarbeiter in
seiner Behörde beschäftigt seien. Noch
deutlicher wurde er in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ vom 25.05.2011,
bei dem es um die Novellierung des „Stasi-Unterlagengesetzes“ ging: „…Und ich finde
es richtig, dass man diese Leute, die mit dieser Vergangenheit zu tun gehabt
haben, dass man die ausschaltet.“
Offenbar kein Ausrutscher, denn schon bei seiner Amtseinführung am 15.03.2011
hatte Roland Jahn erklärt: „Ich
persönlich finde, die weitere Überprüfung von Mitarbeitern des Öffentlichen
Dienstes ist auch für die Zukunft wichtig, wichtig für die politische Hygiene
in diesem Land“ Hygiene erinnert als Begriff hier schon fatal an den
Begriff der Rassenhygiene, mit dem Faschisten ihre Säuberungen und letztlich
sogar die fabrikmäßige Menschenvernichtung beschönigten.
Voraussetzung für Versöhnung seien nach
Ansicht von R. Jahn das Bekenntnis der „Täter“ zu ihrer Verantwortung und ihre
Reue. Versöhnung also nach den Vorstellungen und Bedingungen eines „Anwalts der
Opfer“.
20 Jahre nach dem Anschluss der DDR räumt R.
Jahn den ehemaligen MfS-Mitarbeitern generös eine zweite Chance ein, woran
offenbar sogar die BILD-Zeitung des Ostens, die SUPERillu nicht so recht glauben mag. Sie berichtet im
Kontext zum Interview mit Roland Jahn
über das Schicksal des Eiskunstlauftrainers Ingo Steuer, dessen Traumpaar bei
der WM 2011 in Moskau mit einer
Höchstwertung die Goldmedaille errang. Das wurde in den Medien eher am
Rande erwähnt. Ingo Steuer bleibt wegen seiner früheren IM-Tätigkeit weiter
eine Unperson, obwohl er sich offen dazu bekannt und davon distanziert hat und
obwohl Katharina Witt als Hauptbetroffene die Angelegenheit längst abgehakt
hat. Eine Ausgabe später berichtet die gleiche Zeitung über einen
Bürgermeisterkandidaten, der von 1983 bis 1985 drei Jahre als Unteroffizier im
MfS gedient hatte. Obwohl dieser seine Vergangenheit offengelegt hat und sich
reumütig zeigte, wird seine Eignung von Opferverbänden weiter bestritten.
Überschrift des Artikels: „Versöhnung im
Test“.
Nun ist allerdings schlicht unmöglich, alles
und jedes miteinander zu versöhnen.
Feuer und Wasser nicht, aber auch nicht die hemmungslose Profitgier
einiger Weniger mit sozialer Gerechtigkeit. Selbst der hoch zu würdigende
Versöhnungsprozess in Südafrika konnte die tiefen sozialen Gegensätze zwischen
der reichen weißen und der bitterarmen schwarzen Bevölkerung nicht aufheben.
Die Menschen hätten sich allerdings schon
längst alle gegenseitig umgebracht, wenn sie keine Regeln und Mechanismen für
die Lösung von Streitfällen und Konflikten gefunden hätten. Ein geradezu
klassisches Beispiel für Versöhnung ist der Westfälische Friede, der 1648 in
Münster und Osnabrück vereinbart wurde und den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland
und zugleich den Achtzigjährigen Unabhängigkeitskrieg der
Niederlande beendete. Nachdem sich Protestanten und Katholiken gegenseitig
unsägliches Leid angetan hatten, wurde u. a. vertraglich geregelt: „Vielmehr sollen
alle und jede von beiden Seiten sowohl vor dem Kriege als im Kriege durch Wort,
Schrift oder Tat zugefügten Unbilden, Gewaltsamkeiten, Feindseligkeiten,
Schäden, Unkosten ohne jedes Ansehen der Person oder Sache derart gänzlich
abgetan sein, daß alles, was immer der eine gegen den
anderen unter diesem Titel vorgeben könnte, in ewiger Vergessenheit begraben
sei“ Damit wurden keineswegs alle gegensätzlichen Positionen
zwischen Katholiken und Protestanten aufgehoben. Noch heute stößt die
Entwicklung der ökumenischen Arbeit an Grenzen. Erreicht wurde aber, dass
solche Konflikte und Streitigkeiten nunmehr ausschließlich gewaltfrei und in
gegenseitigem Respekt ausgetragen wurden und werden.
Der Versöhnungsgedanke findet sich in allen
großen Religionen und gipfelt in der zur Feindesliebe gesteigerten christlichen
Nächstenliebe. Er ist aber auch untrennbarer Bestandteil der Strategien des
gewaltfreien Widerstandes, und aller Versuche zur Befriedung nationaler und
internationaler Konflikte und der darauf zielenden Friedens- und
Konfliktforschung.
Eng damit verbunden ist das Streben nach der
Feststellung der historischen Wahrheit. Nicht nur in Südafrika wurden
Versöhnungsprozesse mit Wahrheitskommissionen befördert.
Die Wahrheit ist immer konkret. Und so ist zu
fragen, was die „Stasi“-Mitarbeiter denn bereuen,
wozu sie sich bekennen müssten. Warum sollen sich Mitarbeiter des MfS,
Verteidiger der DDR, bei Menschen
entschuldigen, die diesen Staat schaden und ihn letztlich beseitigen wollten,
die sich durchaus bewusst waren, dass sie dabei Gesetze der DDR verletzt haben.
Die Ergründung der offiziell gewünschten Wahrheit
mit rechtsstaatlichen Mitteln ist in ca. 30.000 Ermittlungsverfahren gegen
ehemalige Angehörige des MfS kläglich gescheitert. Da eine objektive, auf
Beweise gestützte Untersuchung
unerlässlich war, ließ sich die überwiegende Mehrheit der Anschuldigungen nicht
seriös begründen. Selbst die wenigen Verurteilungen sind eher Ausdruck kreativer
Rechtsanwendung als überzeugende Schuldvorwürfe. (Sogar die zarte Seele eines
üblen Terroristen wurde von der bundesdeutschen Justiz gestreichelt.) Der
Bundestag sah sich veranlasst, die lächerliche Bilanz solcher Verfahren nicht
publik zu machen. Sie sei den „Opfern“ nicht zu vermitteln. So werden
Anschuldigungen gegen das MfS hauptsächlich von fiktionalen Medienprodukten,
wie dem Film „Das Leben der Anderen“ genährt. Am Pfingstmontag dieses Jahres
konnten die ARD-Zuschauer einen Tatort („Nasse Sachen“) sehen, bei dem
krampfhaft konstruiert und frei erfunden wieder einmal die „Stasi“ als Reich
des Bösen thematisiert wurde. Noch immer erscheint der Kalte Krieg als
einseitige Angelegenheit. Die Aktionen der westlichen Seite bleiben gedeckelt und erscheinen so als untadelig und unangreifbar.
Wäre es nach mehr als 20 Jahren nicht an der
Zeit, wenigstens die übelsten Erfindungen zur Schürung des „gesunden
Volksempfindens“ gegen das MfS und seine Mitarbeiter zu dementieren? Was ist
aus Eppelmanns Güterzug mit Akten zum rumänischen Geheimdienst Securitate geworden? Wer hat sich für im Fernsehen gezeigte Gehaltsstreifen von Mitarbeitern des MfS
entschuldigt, nach denen sie alle mehr verdient hätten als ihr Minister? Wer
steckt hinter einem angeblichen Sprengstoffanschlag auf Jürgen Fuchs in
Westberlin? Wann endlich erklärt jemand ehrlich, wie es zum nachträglichen
Einbau von Wasserfolterzellen in Berlin-Hohenschönhausen kam, wann wir die
fiese Erfindung von der angeblichen Verstrahlung von Häftlingen zurückgenommen?
Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Versöhnung ist stets ein Prozess zwischen (wenigstens)
zwei Parteien. Das Diktat einer der Seiten über die andere ist keine Versöhnung
sondern Unterwerfung. Wenn Roland Jahn von Versöhnung spricht, so hat er entweder
ihr Wesen nicht verstanden oder er missbraucht diesen Begriff demagogisch.
Jedenfalls haben ehemalige Angehörige des MfS beachtliche Vorleistungen für
einen Versöhnungsprozess erbracht. Der gewaltfreie Verlauf der sog. friedlichen
Revolution ist zu wesentlichen Teilen auch ihr Verdienst. Er war – wie aktuelle
Ereignisse im Norden Afrikas und im Nahen Osten zeigen – keinesfalls
selbstverständlich. Ehemalige MfS-Mitarbeiter haben sich in zahlreichen
Veranstaltungen und Publikationen als Zeitzeugen kritisch und selbstkritisch
mit ihrer Tätigkeit in der DDR und der DDR-Geschichte auseinandergesetzt. (Das
Insiderkomitee hat dazu beigetragen.) Sie haben dabei weder ihre Biografie noch
ihre Verantwortung geleugnet. Sie haben sich aber auch nicht dazu hergegeben,
die DDR als „Unrechtsstaat“ zu verteufeln und das eigene Handeln pauschalisiert
als „menschenrechtswidrig“ zu diffamieren. Auf einen solchen Kniefall wird Herr
Jahn auch weiter warten müssen, auch und gerade, weil das von ihm hofierte
System weder das Ende der menschlichen Vernunft noch das Ende der Geschichte
repräsentiert.
Mit zunehmend größerer Perfektion und erkennbar
gleichgeschaltet werden Bemühungen von ehemaligen MfS-Angehörigen zur
Erforschung der historischen Wahrheit durch Politik und Medien ignoriert und
totgeschwiegen. Stattdessen werden „Stasi-Reflexe“ unentwegt geschürt und – wie
neuerdings vor allem im Land Brandenburg - politisch instrumentalisiert. Von
Versöhnung kann wahrlich keine Rede sein, von auch nach 20 Jahren anhaltender
Rache schon. Klaus Steiniger, der Chefredakteur des „RotFuchs“
wird allem Anschein nach recht behalten, wenn er in Roland Jahn nicht den
„Versöhner Nr. 1“ sondern den „deutschen Mc Carthy
Nr. 3“ sieht.
W. S.
14.06.2011