Durchsichtige
Verschwörungstheorie
„Der Spiegel“ ist auch nicht
mehr, was er einst war und der Werbeslogan „“Spiegel-Leser wissen mehr“ ist zur
Fabel geworden. Vor ziemlich langer Zeit, während meiner Tätigkeit als
Analytiker im MfS gehörte dieses Nachrichten-Magazin für mich zur
Pflichtliteratur. Es glänzte zuweilen durch solide recherchierte Beiträge,
intelligente Analysen, brach manches politische Tabu und stützte sich auf ein
gepflegtes, umfangreiches Archiv. Freilich musste man auch damals nicht alles
glauben, was im „Spiegel“ stand. „Der Spiegel“ stand nicht über handfesten
politischen Interessen, testete und manipulierte politische Meinungen und
manche seiner Enthüllungen war gewagte Spekulation.
Dass „Der Spiegel“ aber
einmal auf das Niveau billiger Verschwörungstheorien herabsinken würde, hätte
ich seinerzeit nicht geglaubt.
Am 14.08.2006 war in diesem
Magazin der Beitrag von Matthias Geyer mit der Überschrift „Das Leben des
anderen“ zu lesen. Darin wird Hans-Eberhard Zahn, Mitglied des Stiftungsrates
der „Gedenkstätte Hohenschönhausen“, gegen „Zersetzungsmaßnahmen der Stasi“ in
Schutz genommen, als deren Urheber der Autor den ehem. Leiter des AfNS, Wolfgang Schwanitz, den
„ranghöchsten lebenden Täter“, „schlauer als die anderen“, ausmacht.
Laut „Spiegel“ sei Herr Zahn
nun zum zweiten Mal „Opfer der Stasi“ geworden. Als „ganz normaler Bote“ der
aus Westberlin Gelder eines „kleinen Wohltätigkeitsverbandes“ an Verwandte von
Kommilitonen der Freien Universität Westberlin überbringen wollte, sei er am
14.11.1953 festgenommen worden. 67.000 Ostmark hatte er in einer Aktentasche
dabei. Laut „Spiegel“ also „nichts Illegales“. Erinnert werden aber sollten
Ahnungslose daran, dass ein aus Westberlin Kommender solche Summen nur in den
dortigen Wechselstuben zum Kurs von 1:5 abgehoben haben konnte, was der DDR
verständlicherweise missfiel, dieweil es ihr Währungsgefüge störte. Und ob es
sich wirklich nur um "Wohltätigkeit" handelte, wäre den Gerichtsakten zu
entnehmen. Deshalb ist
zu verstehen, dass das MfS, der Staatsanwalt und das Stadt-Gericht
den Sachverhalt anders beurteilten, als der „Spiegel“-Autor
53 Jahre später. Herr Zahn wurde damals zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt,
nach eigenen biografischen Angaben wegen "angeblicher" Militärspionage.
Ein Jahr seiner Haft
verbrachte Herr Zahn im Haftarbeitslager Berlin-Hohenschönhausen. Hier gab es
laut „Spiegel“ sogar ein Schwimmbad. Es gab auch einen von den Häftlingen
gewählten Kommando-Rat, der sich um eine sinnvolle Freizeitgestaltung der
Häftlinge bemühte und z.B. Sportwettkämpfe und kulturelle Veranstaltungen
organisierte. Dieses Haftarbeitslager galt unter den Strafgefangenen der DDR
wegen seiner Haftbedingungen als eine gute Adresse. Für Herrn Zahn war es
allerdings eine „Denunziationshölle“ und so erzählt er es allen, die er durch
die „Gedenkstätte Hohenschönhausen“ führt - und dem „Spiegel“. Und die meisten
glauben es, wiewohl ein Schwimmbad bislang kaum als idealer Schauplatz für das
Einsammeln von Denunziationen betrachtet wurde. Macht nichts: Es gab nichts,
was dem MfS nicht einfiel!
Am 18. Oktober 2005 wurde im
Bezirksamt Hohenschönhausen das Buch des Spotless-Verlages
mit dem Titel „Das Gruselkabinett des Dr. Knabe(lari)
vorgestellt. Herr Zahn war unter den Teilnehmern der Veranstaltung und hat dort
laut „Spiegel“ in der offenen Aussprache zum o. g. Buch nach eigener Erinnerung
geäußert: „In Hohenschönhausen ist nicht
körperlich, sondern psychisch gefoltert worden. Wenn man Folter auf körperliche
Schmerzzufügung reduziert, dann ist in der Tat nicht gefoltert worden. Und es
ist auch nicht auszuschließen, dass einige Führer in der Exklusivität der
Situation etwas behaupten, was nicht stimmt.“
Andere der etwa 250
Teilnehmer dieser Veranstaltung erinnern sich einer präziseren Aussage, in der
die Vokabeln „Es wird gelogen“ vorkamen. Zudem: Auch wenn jemand „in der
Exklusivität der Situation“ etwas sagt, was nicht stimmt, sagt er die
Unwahrheit und darum ging es doch wohl. Vorsichtshalber räumte der „Spiegel“
ein, dass es für Zahns Sätze „keine Belege gibt“ und erklärt kühn: „Aber es ist
glaubhaft, dass ... Zahn sie gesagt hat.“ Glaubhaft wodurch? „Er ist
stellvertretender Vorsitzender im Beirat der Gedenkstätte.“ Diese Auskunft könnte
eher das Gegenteil belegen, denn dort soll es großen Ärger wegen seiner
Erklärung gegeben haben und auch sein Versprechen die Sache wieder hinzurücken.
Seine Glaubwürdigkeit leidet auch darunter, dass er noch andere
Gedächtnislücken offenbarte, als er dem „Spiegel“ die Situation beschrieb:
„Schwanitz steht am Rednerpult... Als er fertig ist, läuft Hans-Eberhard Zahn
nach vorn.“ Damit „Spiegel-Leser“ tatsächlich mehr wissen, sollten sie
erfahren: Beide sprachen von ihrem Platz aus...
Und Herr Zahn hatte eingeräumt,
„es werde bei den Führungen gelogen, sogar schlimm gelogen“. Unter den Führern
gebe es Pappkameraden, die leider nicht zu kontrollieren seien. Das veranlasste
Klaus Huhn, der die Buchvorstellung moderierte, zu der launigen Bemerkung, ob
man denn nicht aus dem Heer der Arbeitslosen einige Kontrolleure beschäftigen
könne.
Niemand kann sich an jeden
Satz aus einer mehr als zweistündigen Veranstaltung genau erinnern. Eine
Ausnahme bilden aber Äußerungen, die einen sog. AHA-Effekt auslösen. Herr Zahn
war einigen der Teilnehmer durch sein bedächtiges, aber dennoch stets
konsequent antikommunistisches Auftreten hinlänglich bekannt. Sein Geständnis
überraschte viele im Saal. Es war für viele noch auf dem Heimweg
Gesprächsthema. Und bis zum Zahn-Dementi vergingen Monate. Der „Spiegel“
lieferte Flankenschutz:“ Hans-Eberhard Zahn hat in dieser Versammlung ein paar
Wörter gesagt, die man verdrehen kann, die man neu zusammensetzen kann zu einem
neuen Inhalt, zu einer Aussage, die aus einem Ankläger einen Verteidiger macht,
einen Zeugen für die Täter, nicht für die Opfer.“ Der „Spiegel“ hatte wohl
nicht seinen besten Mann mit dem Zahn-Job beauftragt: Ehe man Wörter drehen
kann, müssen sie gesagt werden...
Fast fünf Monate später, am
14.03.2006, fand am gleichen Ort eine Podiumsdiskussion zur geplanten
Markierung des ehem. Sperrgebietes Hohenschönhausen statt. Ich nutzte die
Gelegenheit, um den Kultursenator, Herrn Flierl
darauf aufmerksam zu machen, dass sich in der letzten Zeit Kritiken an der Seriösität der Gedenkstätte Hohenschönhausen häufen würden
und dass selbst Herr Zahn geäußert hätte, dass hier gelogen, sogar schlimm
gelogen werde. Ich fragte, ob es nicht angebracht sei, diesen Kritiken
nachzugehen, anstatt mit der geplanten Markierung die Gedenkstätte weiter
aufzuwerten.
Damit hatte ich Herrn Zahn
selbstverständlich in eine unangenehme Position der Rechtfertigung vor
Seinesgleichen gebracht. Es ist nachvollziehbar, dass er nun erst recht unter
Druck geraten und bemüht ist, seine strittigen Äußerungen zu relativieren.
Durch den „Spiegel“ erfahren wir jetzt, dass das Ganze eine Zersetzungsaktion
des MfS (Leitung: Wolfgang Schwanitz) gewesen sei. Die Äußerungen von Herrn
Zahn seien durch die „Stasi“ verfälscht worden, („Die Staatssicherheit ist tot,
aber die Methoden haben die Zeit überdauert.) er sei gegen seinen Willen zum
Kronzeugen gegen die Gedenkstätte gemacht worden.
Nun geht es aber gar nicht
so sehr um Herrn Zahn, sondern um die noch immer offene Frage, ob in der
Gedenkstätte Hohenschönhausen, einer offiziellen, von Steuergeldern
finanzierten Einrichtung, einer Stätte der politischen Bildung, gelogen wird
oder nicht. Diese Frage steht weiter im Raum und kann weder durch hysterische
Medienkampagnen über die angebliche „Beleidigung und Verhöhnung der Opfer durch
Stasi-Horden“ noch durch zurecht gebastelte
Verschwörungstheorien aus der Welt geschafft werden. Dabei kann man auch über
„museumspädagogische Mängel“ in der Gedenkstätte diskutieren, wie das von einer
Expertenkommission jüngst vornehm umschrieben wurde.
Wolfgang Schmidt
15.08.2006
Vgl. auch Schreiben von
Prof. Horst Schneider (Dresden) an die "Spiegel-Redaktion"